Vielfalt und Schönheit:Es singt dem Herrn alle Welt!

Vielfalt und Schönheit: Auch die "Schola Sankt Martin", die im kommenden Jahr 30-jähriges Bestehen feiert, steuert zur Nach der Psalmen in der Zornedinger Pfarrkirche einige musikalische Entdeckungen bei.

Auch die "Schola Sankt Martin", die im kommenden Jahr 30-jähriges Bestehen feiert, steuert zur Nach der Psalmen in der Zornedinger Pfarrkirche einige musikalische Entdeckungen bei.

(Foto: Christian Endt)

Bei der "Nacht der Psalmen" in Zornedings Pfarrkirche Sank Martin bringen neun Chöre aus der Region seltene Schätze der Kirchenmusik zur Aufführung

Von Rita Baedeker

Gleich dreimal an diesem Abend wird Psalm 121, Vers 7, angestimmt: "Verleih uns Frieden gnädiglich, Herrgott, zu unseren Zeiten". Wie aktuell dieser uralte Appell doch ist, gerade heute! Zur "Nacht der Psalmen" hat am Samstag der Chorverband Region Münchener Osten in die katholische Pfarrkirche Sankt Martin in Zorneding geladen. Neun Chöre präsentieren ihr Repertoire, Musik von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert, mal a cappella aufgeführt, mal instrumental begleitet von Orgel, Klavier, Gitarre oder einer Jazzcombo mit Blechbläsern, Marimbaphon und Kontrabass; gesungen wird in lateinischer, deutscher und englischer Sprache. Der Eintritt ist frei, Spenden kommen Tsunamiopfern in Indonesien zugute.

Gleich fünf Jahrhunderte Kirchenmusik bringt etwa die Chorgemeinschaft Irschenberg unter Leitung von Hans Billo mit; beginnend mit dem Satz "Bevor des Tages Licht vergeht" ("Te ante terminum") von Bartholomäus Agricola. Der Ordensmann und Priester, nach seinem Tod 1621 selig gesprochen, hat Kirchenmusik geschrieben, die noch eher schmückendes Beiwerk zur Liturgie war. Die folgenden Vokalsätze aus Barock und Romantik zeigen, dass die sakrale Musik mehr und mehr dazu diente, die Herzen der Menschen für die frohe Botschaft zu öffnen, sie mitzureißen, jedem Text einen eigenen musikalischen Gedanken zuzuordnen. Carl Loewe etwa hat mit seiner Motette "Schaffe in mir Gott ein reines Herze", Psalm 51, Vers 12 bis 14, ein schlichtes, berührendes Kirchenlied geschaffen, das die Gläubigen aufrichtet und ihnen eine Stimme gibt.

Eine Gegenüberstellung zweier Musikstile präsentieren der Chor von Maria Königin und die Kantorei der Petrikirche in Baldham auf der Empore: Der Satz "Verleih uns Frieden" ist in der Fassung von Hugo Distler für dreistimmigen Chor und von Felix Mendelssohn-Bartholdy für Chor und Orgel zu hören. Beide haben auch Psalm 42 "wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser" vertont. Wie die Komponisten den hochdramatischen Text in Musik fassen, Distler als eher einfaches evangelisches Kirchenlied, Mendelssohn-Bartholdy als sehnsuchtsvolle orchestrale Kantate, ist überaus hörenswert.

Die Nacht der Psalmen offenbart dem Publikum in der fast voll besetzten Kirche viele weitere musikalische Schätze. Längstes Werk des Abends ist das "Psalmkonzert" von Heinz Werner Zimmermann, einem 1930 geborenen Kompositionslehrer. Spirituals, aber mehr noch der amerikanische Jazz der 50er Jahre haben ihn zu dem viersätzigen Konzert inspiriert. Aufgeführt wird es vom Kammerchor a cappella! aus Zorneding unter Eckhard Meissner, der den Abend ausrichtet - einschließlich Würstel- und Getränkeservice im Martinstadl nebenan - zusammen mit den Cantores iuvenes Sti Sebastiani aus Ebersberg, geleitet von Kirchenmusiker Markus Lugmayr, der an diesem Abend allerdings in der Kirchenbank Platz nimmt. Eine Bläserfanfare eröffnet das Werk, es folgt der Ruf "Singet dem Herrn alle Welt!" Der Bariton Florian Dengler singt den Solopart, eine Jazzcombo sorgt für jazzigen Sound. In der freien Rhythmik und Melodik der Stimmen bildet der gezupfte Kontrabass die metrische Basis, quasi im absolut gleichmäßigen Schritttempo ("walking"), wie es Zimmermann selbst beschrieben hat. Ganz passend, dass das Wort "Psalm" übersetzt so etwas bedeutet wie "das gezupfte Lied". Das sperrige und komplexe Werk aufzuführen, das eher den Kopf als das Herz berührt, ist eine große Leistung, die mit viel Applaus gewürdigt wird.

Gleich im Anschluss erzeugen die Sankt-Konrad-Gospelfriends aus Haar unter Leitung der Sopranistin Christa Maria Hell mit ihrem "fröhlichen Lärm" (Psalm 98) erheblichen Wellengang im Kirchenschiff. Etliche Zuhörer erwachen bei "Come, praise the Lord" (Psalm 134) und dem innigen "You raise me up" (Psalm 118) aus meditativer Starre und geben sich freudig der Bewegung hin. Zu den Entdeckungen des Abends zählt auch Musik, welche die Schola Sankt Martin unter Leitung von Amina Fliszar ausgewählt hat. Neben dem hymnischen Lied des britischen Organisten Samuel Sebastian Wesley "Lead me Lord" führt die Schola die Komposition eines zeitgenössischen Komponisten aus der ehemaligen DDR auf: "Nähme ich Flügel der Morgenröte." Mit den Solisten Rita König, Alt, Luise Dirmhirn, Sopran, Sepp Biesenberger, Bass, und Martin Baumann, Bariton, sowie dem Klangfarben-Ensemble präsentiert sich der evangelische Kirchenchor Grafing unter Leitung von Rita König in sängerischer Pracht. Mendelssohns "Friedensgebet" gehört ebenso zum Repertoire des gemischten Chors mit 20-jähriger Tradition wie ein schönes Stück des Engländers John Rutter.

Ein Höhepunkt sind die zu später Stunde dargebotenen kurzen Lieder, die der Kammerchor a cappella! zum Ausklang intoniert. Die Zahl der Zuhörer ist da bereits erheblich geschrumpft - schade! Denn beim "Beati quorum via" des irischen Romantikers Charles Villiers Stanford (1852 bis 1924) oder dem "Meine Seele ist stille zu Gott" von Moritz Hauptmann, Komponist des 19. Jahrhunderts, erlebt man staunend, wie rein und exakt Intonation und Stimmführung sind, wie klar die Artikulation, wie ausdrucksstark die Gestaltung. Meissner scheut sich auch nicht, einen Einsatz wiederholen zu lassen. Schließt man die Augen, schon etwas müde, klingen die Gesänge wie himmlische Chöre.

Ein gemeinsames Schlussstück von Mendelssohn-Bartholdy beendet einen langen Abend, der dreier Erkenntnisse wegen das Ausharren lohnte: Die Kirchenmusik birgt unendliche Vielfalt und Schönheit. Chöre und Chorleiter arbeiten auf staunenswert hohem Niveau. Und die Psalmen, sie sind nicht selten hochaktuell.

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