Junge Autoren:"Die haben was Wichtiges zu sagen"

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Beim Schreibwettbewerb der VHS Vaterstetten stellen zahlreiche Jugendliche erneut ihr Können unter Beweis - und zeigen mit Geschichten zum Thema "Grenzerfahrungen", wie tiefsinnig ihre Generation ist.

Von Karin Pill

Wenn die VHS Vaterstetten zum Literaturwettbewerb aufruft, dann heißt es, der Fantasie freien Lauf zu lassen und den Notizblock zu zücken. Im Herbst waren Jugendliche im Landkreis Ebersberg und im ganzen Münchener Umland bereits zum dritten Mal aufgerufen, Geschichten für einen Schreibwettbewerb einzureichen. Dieses Mal lautete das Thema: "Grenzerfahrungen - wenn plötzlich alles anders ist". Und was dazu im Pandemie-Jahr an Erzählungen herauskam, dürfte nicht nur Juliane Breinl, Schriftstellerin und eine von zwei Jurorinnen, beeindruckt haben. Die Storys handeln etwa von einem jungen Mädchen, das unerwartet fliegen kann, von einer Teenagerin mit Angststörung oder einer jungen Hexe, die mit ihrem magischen Talent Gutes tut. Aber auch Geschichten über den Tod, über die Berliner Mauer oder den Forscher Robert Koch schaffen es, den Leser in Bann zu ziehen.

Insgesamt wurden rund 130 Kurzgeschichten bei der VHS eingereicht. Für die beiden Jurorinnen bedeutete das: mehr als 600 Seiten Lesestoff. "Ein Rekord", sagt Anja Rahimpour, ebenfalls Jurorin und Leiterin der Fachbereiche Sprachen, Literatur und Tanz der VHS Vaterstetten. Besonders gefreut hat die Jurorinnen, dass dieses Mal viele Schulklassen mitgemacht haben. Das nämlich habe zur Folge, so Breinl, dass viele Kinder, die sonst eher nicht bei einem Schreibwettbewerb mitmachen würden, aufgefordert waren, Kurzgeschichten zu erfinden - egal, wie viel Erfahrung sie damit schon hatten. "Da gab es auch Einsendungen von Schülern, deren Deutsch nicht so gut ist", so Breinl, die selbst schon mit Kindern mit Migrationshintergrund gearbeitet hat. "Aus Erfahrung weiß ich, wie schwer es denen fallen kann, etwas zu schreiben. Deswegen finde ich das wirklich toll."

Julian Gräml (Foto) und Amelie Niederbäumer haben beim Literaturwettbewerb der VHS Vaterstetten 2021 den ersten Preis gewonnen. Die Preisverleihung mit Lesung findet am 10. September statt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Breinl erzählt außerdem, dass neben Liebes- oder Fantasygeschichten auch Texte über Krieg, Flucht oder Krankheit, tiefgründige Grenzerfahrungen also, eingereicht worden seien. Formell hätten diese im Vergleich zu den prämierten Einsendungen zwar schwächer abgeschnitten, doch sei klar herauszulesen gewesen, dass diese Geschichten nicht ausgedacht, sondern persönlich durchlebt waren. "Gerade das hat mich besonders berührt", so Breinl. Auch Rahimpour ist sich sicher, dass das Thema "Grenzerfahrungen" besonders viele Jugendliche zum Schreiben inspiriert hat.

Das Motto war bewusst so gewählt, dass die Texte mit der Pandemie zu tun haben konnten - aber nicht mussten. Dass Corona zum Abgabezeitpunkt im Februar noch so aktuell sein würde, hatte eigentlich auch niemand erwartet. "Wir sind davon ausgegangen, dass die Pandemie bei Einsendeschluss längt wieder vorbei sein würde. Dabei waren wir dann im tiefsten Lockdown", erzählt Rahimpour. So oder so, das Thema scheint einen Nerv getroffen zu haben: "Ich bin mir sicher, dass die Jungautorinnen und -autoren dieses Mal besonders viel zu verarbeiten und deshalb reichlich Inspiration hatten", so Rahimpour. Geschichten, die ausschließlich von Corona handeln, hat die VHS übrigens online in einer Sonderrubrik zusammengefasst, außerdem kann man auf der Homepage alle Gewinnergeschichten lesen.

Auch Amelie Niederbäumer hat einen ersten Preis gewonnen. (Foto: Privat)

"Ich hab' mich total gefreut, denn eigentlich dachte ich nicht, dass das was wird", erzählt Amelie Niederbäumer. Doch weit gefehlt, die 15-Jährige aus Kirchheim darf sich über den ersten Platz in der Kategorie der 13- bis 15-Jährigen freuen. Denn dass Amelie viel schreibt, sogar regelmäßig in einer Gruppe, merkt man ihrem Text durchaus an. Doch nicht nur sprachlich punktet Amelie: Sie zeigt auch, welch tiefgründigen Gedanken junge Menschen heutzutage umtreiben. Die prämierte Geschichte handelt von einem Professor, der den Tod abschafft und erst mal sehr glücklich ist über seine, wie er denkt, guten Tat. Doch bald muss er feststellen, dass er sich sein Lebensprojekt - im wahrsten Sinne des Wortes - eigentlich ganz anders vorgestellt hatte. Mehr sei an dieser Stelle jedoch nicht verraten...

Amelie Niederbäumer zählte übrigens bereits im vergangenen Jahr zu den Gewinnerinnen des Vaterstettener Wettbewerbs, damals ergatterte sie den dritten Platz. Vielleicht ein Fingerzeig für die Zukunft? Wer weiß. Noch hat sich die 15-Jährige nicht entschieden, ob sie das Schreiben später mal zu ihrem Beruf machen will. Ganz anders bei Julian Gräml aus Oberschleißheim. Der Gewinner in der Kategorie der 16- bis 18-Jährigen hat gerade sein Abitur gemacht und möchte nun Kommunikationswissenschaften studieren. Auch er schreibt schon länger Kurzgeschichten und hat gerade sogar seinen ersten Roman fertiggestellt, er umfasst rund 700 Seiten. Da die beiden Jurorinnen beim Lesen der Texte zunächst nicht wissen, wer sie verfasst hat, war die Freude groß, als sie eine der Gewinnergeschichten einem jungen Mann zuordnen konnten. Das sei nämlich eher selten der Fall, so Breinl.

An Julians Geschichte fasziniert die Komplexität, die der junge Autor rund um eine doch recht simple Frage auffächert: "Welche Probleme hatten Jugendliche zu den verschiedensten Zeiten der Weltgeschichte?", fasst er die Essenz seines Textes zusammen. "Zum Stichwort Grenzerfahrungen passen auch immer Probleme, und Jugendliche aller Zeiten standen vor Herausforderungen", erklärt der 17-Jährige. Auch wenn seine Geschichte den Leser zunächst grübeln lässt, welche Gedanken sich diese Generation wohl zum Thema Klimawandel oder über die Zukunft macht, so lässt sie einen erfreulicherweise doch nicht völlig pessimistisch zurück. "Ich wollte nicht, dass alles schwarz endet", sagt der junge Autor. "Es soll auch Hoffnung geben."

Julian gelinge es, so Breinl, seine Protagonisten wirklich zum Leben zu erwecken. "Es hat mich fasziniert, dass er es schafft, auf sechs Seiten drei verschiedene Figuren zu verschiedenen Jahrtausenden zu beschreiben und mich als Leserin dabei spüren zu lassen, mit welchen Problematiken sie zu kämpfen haben." Auf die Frage, was ihn zu seiner Geschichte inspiriert habe, sagt Julian, dass das, was gerade so in der Welt geschehe, schon Einfluss darauf gehabt habe. "Durch Corona wurde mir bewusst, dass viele Dinge einfach doch nicht so selbstverständlich sind. Etwa persönliche Treffen oder Präsenzunterricht." Außerdem habe er festgestellt, wie verwundbar die Gesellschaft sei. "Das hat meine Geschichte auf jeden Fall geprägt."

Neben Stilsicherheit und einem roten Erzählfaden ist eines der Kriterien, dass ein guter Text auch nach zwei Wochen noch im Kopf abrufbar sein muss. Die Gewinnergeschichten von Amelie und Julian erfüllen diese Vorgabe perfekt: Beim Telefonat mit Jurorin Breinl kann sie sich noch sehr detailliert an die beiden Erzählungen erinnern, sogar mehrere Monate, nachdem sie diese gelesen hat. "Das sind Texte die einen Wert haben für die Gesellschaft, die nicht nur unterhalten wollen, sondern etwas vermitteln." Gibt es ein größeres Lob? Ganz generell bedauert Juliane Breinl, dass oft übersehen werde, welchen Tiefsinn Teenager hätten. Nicht nur "egozentrische Dinge" beschäftigten die Jugend, so die Jurorin, sondern "Themen, wo man merkt, die gucken auf die Welt und haben was Wichtiges zu sagen". Gerade wegen ihres anderen Blickwinkels auf Probleme wünscht sich die Autorin, dass die Jugend in der Gesellschaft viel öfter zu Wort kommen möge.

© SZ vom 07.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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