VHS-Kurs:"Ich bin nach Deutschland gezogen, also muss ich auch Deutsch lernen"

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Familien-Domino im Deutsch-Kurs von Brigitte Wever. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mina spricht Englisch, Dänisch und Rumänisch. Bei der VHS-Vaterstetten lernt sie nun ihre vierte Sprache. Sie ist eine der letzten, die noch kommen. Warum eigentlich? Ein Besuch im Unterricht.

Von Julia Manon Gottfried und Merle Hubert, Vaterstetten

Kursteilnehmerin Mina spricht insgesamt schon drei Sprachen: Englisch, Dänisch und Rumänisch. Englisch spricht die junge Frau im Moment vor allem in der Arbeit, Dänisch hat sie bei einem zehn Jahre langen Aufenthalt in Dänemark gelernt und auf rumänisch versucht sie gerade, ihrem Mitschüler die Regeln des Dominospiels zu erklären. Für Mina ist es ganz selbstverständlich, dass sie jetzt auch noch Deutsch lernt. "Neues Land, neue Sprache", sagt sie, allerdings sicherheitshalber noch auf Englisch. "Ich bin nach Deutschland gezogen, also muss ich auch Deutsch lernen. So einfach ist das."

Deutschkurs an der Volkshochschule Vaterstetten. Brigitte Wever steht mit einem Stoß Papiere in der Hand am Pult. Es ist die letzte Stunde des Anfänger-Deutschkurses. Zum Abschluss des Semesters überreicht sie Teilnahmebescheinigungen an ihre Schülerinnen und Schüler. Mit einem breiten Lächeln nehmen sie die Urkunden entgegen. Dabei können sie mit dem Begriff "Teilnahmebescheinigung" noch gar nicht so viel anfangen. Schließlich ist das ein schweres Wort und die Schüler in diesem Kurs lernen noch nicht sehr lange Deutsch. In den letzten Jahren hat Wever immer zehn bis 15 Urkunden verteilt. Heute sind es nur drei, denn wegen Corona sind die Teilnehmerzahlen stark zurückgegangen.

Brigitte Wever im Deutschkurs mit drei von eigentlich sechs Teilnehmern, unter ihnen Mina. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Mehr kommen heute nicht", erklärt Wever. Von den eigentlich sechs Schülern in ihrem Kurs ist die Hälfte krankheitsbedingt zuhause geblieben. Dementsprechend leer wirkt das Klassenzimmer heute. Wever ist aber froh, dass ihr Kurs seit ein paar Monaten zumindest wieder in Präsenz stattfinden kann. Das war in der Pandemie lange Zeit nicht möglich.

"50 bis 75 Prozent der Kursteilnehmer sind nicht mehr gekommen - auch als wieder Präsenzkurse stattfanden"

"Innerhalb kürzester Zeit mussten wir auf online umsteigen", erzählt auch Annette Lölkes. Sie ist Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und gibt mehrere Kurse auf unterschiedlichen Niveaustufen an der VHS in Vaterstetten. Viele Kursteilnehmer konnten nicht gut genug Deutsch oder hatten keinen Computer, um am Online-Unterricht teilzunehmen. Brigitte Wevers Anfängerkurs musste sogar ganz ausfallen. "50 bis 75 Prozent der Kursteilnehmer sind nicht mehr gekommen - auch als wieder Präsenzkurse stattfanden", sagt Lölkes.

Brigitte Wever. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Woran liegt das? "Durch die Pandemie hatten viele Migranten Sorgen um ihren Arbeitsplatz", erklärt die Dozentin. "Der Deutschkurs hatte einfach nicht die oberste Priorität." Ein weiteres Problem sehen die beiden Kursleiterinnen in der 2G-Regelung. Einige der Teilnehmer sind nicht geimpft. Das hat unterschiedliche Gründe: "Viele informieren sich primär über Heimatnachrichten in ihrer Muttersprache und sind der Impfung gegenüber deshalb eher misstrauisch", vermutet Lölkes. Wever ist sich außerdem nicht sicher, wie gut die Notwendigkeit der Impfung bezüglich der Deutschkurse bei ihren Schülern ankommt. Zwar bekommen sie Mails mit allen Informationen von der VHS, das aber auf deutsch. Quereinsteiger, die mitten im Jahr dazustoßen wollen, wissen vielleicht vorher nicht, dass eine Impfung für die Teilnahme vorausgesetzt wird. Zudem sei allgemein die Nachfrage gesunken, da wegen der Pandemie weniger Gastarbeiter und Au-Pairs kommen.

Beide Deutschlehrerinnen hoffen, dass sich in Zukunft wieder mehr Teilnehmer anmelden. "Wenn man einmal den Faden verloren hat, ist es schwierig, wieder reinzukommen", sagt Lölkes. "Das ist wie mit den Fitnessstudios: Als die wieder aufgemacht haben nach der Pandemie, war es auch schwer, sich wieder aufs Neue für den Sport zu motivieren." Dasselbe gelte für die Sprachkurse. Gerade im Erwachsenenalter verlerne man Dinge schneller.

"Sprache bedeutet Integration"

Viele Migranten sehen nicht die gleiche Notwendigkeit, Deutsch zu lernen, wie Mina. Sie wählen den einfacheren Weg und bleiben unter Leuten, die ihre Sprache sprechen. Warum ist es für diese Menschen überhaupt so wichtig, Deutsch zu lernen? "Sprache bedeutet Integration", sagt Lölkes. Zudem erhöhen Sprachkenntnisse die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und: "Für viele tickt die Uhr", fügt sie hinzu. Viele der Kursteilnehmer sind Flüchtlinge mit einer Duldung - diese wird erteilt, wenn eine Abschiebung nicht möglich ist. Für einen festen Aufenthalt in Deutschland wird unter anderem ein Sprachniveau verlangt. So einen Nachweis erhalten sie durch die Teilnahme an einem VHS-Deutschkurs.

Von der geringen Teilnehmerzahl lassen sich die Anwesenden nicht entmutigen. Das Thema heute sind Familienmitglieder. Wever ist Sozialpädagogin und versucht den Teilnehmern die Wörter spielerisch beizubringen. Wie bei einem Dominospiel müssen die Schüler Begriffen von Familienmitgliedern passende Artikel zuordnen. "Die Leute kommen aus den verschiedensten Ländern hierher und können oft kein Deutsch und kaum Englisch", sagt die Kursleiterin. "Wir kommunizieren also viel mit Händen und Füßen."

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