Volkshochschule in Ebersberg:"Sind wir wirklich für alle da?"

VHS Grafing Ebersberg Leiterin Martina Eglauer

Die promovierte Sinologin Martina Eglauer leitet seit fast genau 15 Jahren die VHS Grafing-Ebersberg, im April 2006 fing sie dort an. Zuvor war sie fünf Jahre lang Chefin der VHS Puchheim im Landkreis Fürstenfeldbruck.

(Foto: VHS/oh)

Die VHS Grafing-Ebersberg hat die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet. Leiterin Martina Eglauer erklärt, wo es noch hapert - zum Beispiel bei den Männern.

Interview von Anja Blum

Die Volkshochschule im Zweckverband Kommunale Bildung für Ebersberg, Grafing, Kirchseeon und Markt Schwaben ist kürzlich der "Charta der Vielfalt" beigetreten, eine Arbeitgeberinitiative, die an diesem Dienstag, 18. Mai, ihren jährlichen "Diversity-Tag" veranstaltet. Er will mit zahlreichen Aktionen - online und offline, für die Belegschaft und für die Öffentlichkeit - darauf aufmerksam machen, dass die Arbeitswelt ebenso vielfältig ist wie die Gesellschaft. Doch wie bunt ist die VHS? Leiterin Martina Eglauer erklärt, wie man der Charta künftig gerecht werden will, welche Zielgruppen nur schwer zu erreichen sind und warum.

SZ: Frau Eglauer, was will diese Charta-Initiative erreichen?

Martina Eglauer: Ganz generell die Vielfalt in der Arbeitswelt fördern. Es sind schon etwa 3700 Unternehmen dabei, darunter auch einige Volkshochschulen, und jetzt eben auch wir.

Was bedeutet diese Unterzeichnung?

Das ist im Prinzip eine Selbstverpflichtung, dass man die Ziele der Charta umsetzen, leben und in der Praxis sichtbar machen will. Und sie ist ein Zeichen für Toleranz sowie gegen jede Art der Diskriminierung. Für uns war das ein konsequenter Schritt, denn die Vielfalt gehört zur DNA, zum Selbstverständnis jeder VHS. Unser Auftrag und Ziel lauten schließlich: Bildung für wirklich alle.

Müsste die VHS dann nicht schon lange Vielfalt leben?

Ja, und das tun wir auch. Aber wir sind da durchaus selbstkritisch, es gibt immer noch Luft nach oben. Vor allem auch, weil sich die Gesellschaft im Wandel befindet, immer bunter wird - und darauf wollen wir stets mit den passenden Angeboten reagieren.

Viele denken beim Stichwort VHS wahrscheinlich als Erstes an rüstige Rentner, die zusammen handarbeiten, was für ihre Gelenke tun oder ihre Allgemeinbildung verbessern. Das klingt nicht sonderlich divers...

Stimmt, aber dieser Eindruck geht absolut an der Realität vorbei. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer VHS sind wirklich sehr bunt gemischt. Gerade in den Integrationskursen, die einen sehr großen Bereich ausmachen, haben wir Menschen aus insgesamt 90 Herkunftsländern, da gibt es zahlreiche Sprachen, Religionen, Kulturen. Und auch was das Alter angeht, sind wir querbeet aufgestellt. Bei Jugendlichen sind Berufsorientierung und Unterstützung bei Schulabschlüssen sehr gefragt. Die Älteren sind tendenziell im Gesundheitsbereich stark vertreten. Und die mittlere Gruppe der 39- bis 60-Jährigen sind generell unser größtes Klientel, sie nutzen vor allem die Angebote der beruflichen Bildung. Es gibt aber auch viele Kurse, zum Beispiel bei den Sprachen, da trifft der 18-Jährige auf die 90-Jährige, da können die Generationen voneinander lernen. Das finde ich immer besonders schön.

Und wie sieht es aus mit der Verteilung der Geschlechter?

Tja, da gibt es tatsächlich ein großes Ungleichgewicht: Die VHS ist zu zwei Dritteln weiblich. Gerade im Gesundheitsbereich machen Frauen 70 Prozent der Teilnehmenden aus. Insofern sehen wir schon lange als Herausforderung, passende Angebote auch für Männer zu machen. Generell fragen wir uns nun eben verstärkt: Sind wir wirklich für alle da?

Welche Zielgruppen gibt es denn noch, um die sich die VHS künftig noch mehr bemühen möchte?

Zum Beispiel um Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Wir haben mobile Hörfunkanlagen angeschafft, kooperieren mit den Wohlfahrtsverbänden, um einen Hol- und Bringdienst anbieten zu können, und achten, wo es möglich ist, auf barrierefreie Zugänge. Und nun haben wir festgestellt, dass die digitalen Angebote dankend angenommen werden von Menschen, die - aus welchem Grund auch immer - an ihr Zuhause gebunden sind. Deswegen werden wir auch nach der Pandemie Online- und Hybridkurse im Programm haben.

Wie viele Menschen mit Behinderung besuchen denn die VHS?

Da führen wir keine Statistik. Aber grundsätzlich wollen wir bei allen Kursen inklusiv sein.

Was ist mit Menschen, die nur ein geringes Einkommen haben?

Auch um diese wollen wir uns weiterhin bemühen. Unter dem Motto "Bildung für alle" gibt es, bei entsprechendem Nachweis, alle Kurse zum Preis von einem Euro pro Doppelstunde. Und auch die Vortragskarte können Betroffene für nur einen Euro erwerben. Klar ist: Geld soll keine Hürde sein!

Gibt es auch Zielgruppen, bei denen die VHS bislang gescheitert ist?

Ja, eine sehr vulnerable Gruppe sind die funktionalen Analphabeten, also Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können. Und das sind gar nicht so wenige: Sie machen zwölf Prozent in Deutschland aus. Aber sie zu erreichen, ist für uns extrem schwierig. Insofern sind wir auch immer offen für Anregungen, wenn jemand eine Idee haben sollte, wie die VHS noch offener, besser werden kann. Das nehmen wir dankbar an.

Die Ziele der Charta richten sich aber auch nach innen, ins Unternehmen...

Ja, unbedingt, in der Organisation wie Kommunikation. Wir wollen uns als Team verstärkt mit dem Thema befassen. Wollen auch bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine bunte Mischung setzen, die ohnehin, gerade durch die wachsenden Sprachkenntnisse, schon gegeben ist. Außerdem geht es darum, im Service wirklich eine gute Willkommenskultur zu pflegen: Fußaufkleber, die den Weg zur Anmeldung weisen, Infomaterial in leichter und mehreren fremden Sprachen, eine gendergerechte Ausdrucksweise, in internationaler Kommunikation geschultes Personal. Denn wir empfinden die Vielfalt nicht nur als Herausforderung, sondern vor allem als Bereicherung. Sich mit anderen Perspektiven auseinanderzusetzen, weitet den Horizont und schafft Innovation. Davon bin ich überzeugt.

Das aktuelle Semesterthema lautet: "Wie wollen wir leben?". Da passen die Ideen der Charta sehr gut dazu, oder?

Ja. Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur eine Frage der Ökologie oder der Ökonomie, sondern auch der Gesellschaft. Dazu gilt es vor allem, Chancengleichheit herzustellen.

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