Versorgung vor Ort:Einer für alle

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Lange wurde in Egmating darüber gestritten, ob ein Dorfladen nötig ist. Nun will der Gemeinderat das Projekt doch in Angriff nehmen. Ein möglicher Standort ist bereits gefunden

Von Victor Sattler, Egmating

Nach langem Hin und Her soll es in Egmating nun doch einen Dorfladen geben: einen Laden um die Ecke, ein Tante-Emma-Modell, bloß dass statt einer einzelnen Emma alle Egmatinger mit anpacken müssten. Ein Geschäft im Dienste unmotorisierter Rentner und Kinder, die nicht über Ortsgrenzen hinweg pendeln können, aber auch zum Wohle aller, die mitten im Leben stehen und einander gern mit dem Einkaufswagen begegnen möchten. "Das muss unser Laden werden", sagt Dritter Bürgermeister Bernhard Wagner (SPD) überzeugt, "ein Ort der Identifikation."

Dass die Egmatinger ihn brauchen und haben wollen, diesen Laden, das hat dem Gemeinderat erst jemand von außerhalb vor Augen geführt: der Unternehmensberater und Dorfladen-Experte Wolfgang Gröll aus Berg, der sich bereits einen Namen in Bayern gemacht hat. "Wenn es schon einen Menschen gibt, der sich so mit Dorfläden auskennt, dann hören wir ihm auch zu", erklärt Gemeinderätin Uschi Breithaupt. Ihre Partei, die Aktive Bürgerliste Egmating (ABE), setzte sich seit Ende 2015 für bessere Einkaufsmöglichkeiten in Egmating ein, zuletzt im Arbeitskreis unter der Leitung des Zweiten Bürgermeisters Johann Heiler (ABE). Ihnen gegenüber sah sich die CSU unter Bürgermeister Ernst Eberherr als Skeptikerin. Er selbst sei kein Verfechter des Dorfladens, bekannte Eberherr noch 2016 und wartete lieber die Verhandlungen mit einem namhaften Discounter ab, der in Egmating eine Filiale aufmachen wollte.

Vielfältig, regional, biologisch: So wirbt der seit Frühjahr 2017 bestehende Moosacher Dorfladen für sich - hier Andrea Windecker im Gespräch mit dem Kunden Holger Baumgarten. (Foto: Christian Endt)

Heiler befürchtete, dass daraus schon wegen der Größe Egmatings nichts werden würde, und behielt Recht. Das Politikum Dorfladen spaltete den Gemeinderat und brachte die Bürgermeister dazu, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen und eigennützige Motive zu unterstellen. Die Gemüter einen konnte erst Unternehmensberater Gröll, er überzeugte im Mai 2017 parteiübergreifend.

Letztlich haben es weder Eberherr noch Heiler oder Gröll in der Hand, ob das Modell funktionieren wird. Es hängt vielmehr von den Egmatinger Bürgern ab, die eine Genossenschaft gründen, dann Anteilsscheine kaufen, ja, im Idealfall sogar regionale Produkte beisteuern sowie einen Job in dem neuen Laden annehmen, wenn auch nur für eine Wochenendschicht, betont Bernhard Wagner, und die auch hier einkaufen müssten, aus freien Stücken. Zu all dem müsste sich jemand bereit erklären. "Ich hab' schon gefragt: Wann gehen wir denn mal an den Türen Unterstützung sammeln?", sagt Wagner und lacht.

Dass der Wille da ist, hat Wolfgang Gröll mit einer Bedarfsabfrage belegt. Diesen Schritt musste die ABE erst mit einer knappen Mehrheit im Gemeinderat durchsetzen, und Uschi Breithaupt weiß, dass die teure Informationsbeschaffung bis heute sehr umstritten ist. 10 000 Euro kostet Egmating die Kooperation mit Wolfgang Grölls Beratungsfirma, die Ergebnisse stehen nun offen zugänglich auf der Website der Gemeinde: Von den 39 Prozent, die ihre Fragebögen zurücksandten, haben 29,2 Prozent Schwierigkeiten beim Lebensmitteleinkauf, das sind gut elf Prozent der Egmatinger. Als Grund gibt etwa die Hälfte die Berufstätigkeit an.

Im Grasbrunner Ortsteil Harthausen wurde 2009 ein Dorfladen eröffnet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

207 Mal wurde angekreuzt, dass für den Einkauf zum Edeka nach Höhenkirchen gefahren werde, 179 Teilnehmer der Befragung besuchen die Filiale in Oberpframmern regelmäßig. 79,8 Prozent derer, die Rede und Antwort standen, würden aber nach eigenen Angaben lieber in einem Dorfladen einkaufen - und 21,4 Prozent wäre es das auch wert, einen Genossenschaftsanteil für etwa 400 Euro zu kaufen. Die Prozentsätze von Interesse und Engagement bleiben bisweilen hinter dem bundesdeutschen Durchschnitt aus Wolfgang Grölls bisherigen Projektstätten zurück.

Abgefragt hat Gröll auch, wie man in Egmating zum Internetlebensmittelhandel steht, oder was die Bürger von "regional und bio" halten - denn "diese Schiene will man mit dem Laden fahren", erläutert Bürgermeister Eberherr. Und noch ein Stichwort taucht in der Befragung auf: das in den Laden integrierte "Tagescafé", über das man in den Wunschbeschreibungen der Gemeinderäte zwangsläufig immer wieder stolpert: "Ein paar Cent mehr fürs Klopapier - und dafür sieht man dann jemanden, den man mag", so stellt sich Breithaupt den Dorfladen plus Café vor. Vom "sozialen Treffpunkt" schwärmt Wagner, denn "wir wollen alle in Egmating alt werden können". Wolfgang Gröll kann diese Sehnsucht noch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnen: "Früher verschwand eine Kaffee-Ecke nach der anderen, man wollte nicht vom Nachbarn beim Nichtstun gesehen werden. Heute passiert der Gegentrend, die Leute suchen wieder Herzlichkeit und Kontakt."

Es geht den Egmatingern also auch um das persönliche Einkaufserlebnis, das vertraute Gesicht an der Fleischtheke. In den vergangenen drei Jahren war die Entwicklung in Egmating eher umgekehrt verlaufen: Ein Getränkemarkt, eine Bäckerei und eine Metzgerei sperrten zu, obwohl alle den großen Bedarf an Einkaufsmöglichkeiten beschwören. "Aus persönlichen Gründen" seien diese Geschäfte gemieden worden, sagt Eberherr; es habe die Bereitschaft gefehlt, das Sortiment den Wünschen anzupassen, berichtet Wagner.

Doch die Zeit der Diskussionen soll jetzt vorbei sein, den Worten sollen Taten folgen, verspricht Wagner: "Je mehr Schultern es tragen, desto besser wird es funktionieren." Zu allererst muss Egmating aber den richtigen Standort für den beschlossenen Dorfladen finden. Vier Flächen wurden von Gröll vorgeschlagen, zwei davon werden vom Gemeinderat favorisiert: Eine ist ein Gemeindegrundstück neben dem Gemeindehaus, was allerdings einen Neubau erfordern würde. Die beliebtere Variante ist hingegen eine bestehende landwirtschaftliche Halle in der Münchener Straße, die lediglich umgebaut werden müsste, so beschreiben es die Gemeinderäte übereinstimmend. Mit dem Eigentümer der Halle wird nun verhandelt. Der finanzielle Spielraum der Gemeinde sei dabei aber gering, mahnt Ernst Eberherr.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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