Vernissage in der Alten Brennerei:Eintauchen in Klang-Phantasien

Bei der Vernissage in der Alten Brennerei berichten Künstler und Besucher von ihren Erfahrungen mit der Musik von Keith Jarrett und ermitteln den Sieger des Publikumspreises.

Rita Baedeker

Ebersberg - Um kurz vor acht Uhr abends vermeldet Georg Schweiger, Schachmeister und ehemals Beirat des Kunstvereins, Ebbe an der Bar: Die letzte von 18 Flaschen Prosecco ist bis auf den letzten Tropfen leer. Nun gibt es nur noch Orangensaft. Dabei ist die Vernissage der Mitgliederausstellung noch nicht zu Ende. Aber dass so viele der Einladung folgen, hätte keiner vermutet.

Vernissage in der Alten Brennerei: Schauen, Vergleichen, Diskutieren: Bei der Eröffnung der Mitgliederausstellung zum Thema "Köln Concert von Keith Jarrett" des Kunstvereins Ebersberg am vergangenen Samstag in der Alten Brennerei durften die zahlreichen Besucher nicht nur staunen, sondern auch wählen. Auf ihrer Eintrittskarte konnte jeder, der Lust dazu hatte, seine Favoriten notieren. Aus denen werden dann die Sieger des Publikumspreises ermittelt. Bei 108 Arbeiten von 93 Künstlern keine leichte, aber eine reizvolle Aufgabe.

Schauen, Vergleichen, Diskutieren: Bei der Eröffnung der Mitgliederausstellung zum Thema "Köln Concert von Keith Jarrett" des Kunstvereins Ebersberg am vergangenen Samstag in der Alten Brennerei durften die zahlreichen Besucher nicht nur staunen, sondern auch wählen. Auf ihrer Eintrittskarte konnte jeder, der Lust dazu hatte, seine Favoriten notieren. Aus denen werden dann die Sieger des Publikumspreises ermittelt. Bei 108 Arbeiten von 93 Künstlern keine leichte, aber eine reizvolle Aufgabe.

(Foto: EBE)

An die 200 Gäste sind es, die am Samstag in die Alte Brennerei gekommen sind, um zu sehen, was den Künstlern zum gemeinsamen Thema, Keith Jarretts "Köln Concert", eingefallen ist. In kleinen Pulks wandern sie durch die Räume, die Liste mit Titeln und Nummern der Exponate in der einen, die Eintrittskarte und einen Stift in der anderen Hand. In Grüppchen wird beraten, diskutiert, verglichen. An der steilen Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock bilden sich Staus und Schlangen. Viel Zeit, um Prosecco zu trinken, haben die Besucher nicht. Denn dieses Mal bedeutet die Eröffnung der Ausstellung nicht nur Plauderei und Kunstgenuss, sondern Arbeit.

Die von Schatzmeister Paul Bross ausgeteilte Eintrittskarte ist gleichzeitig Stimmzettel. Darauf, so die Bitte der Veranstalter, sollen die Besucher ihre vier Favoriten eintragen. Aus diesen werden dann drei Sieger ermittelt, die bei der Finissage am 19. September einen von der Sparda Bank gestifteten Publikumspreis gewinnen. Zettel mit weniger als vier Einträgen seien ungültig, ermahnt Vorstandsmitglied Peter Gierse die Gäste in seiner Rede.

Um den Wählern die Entscheidung zu erleichtern, erklingen Jarretts legendäre Klangphantasien, die allerdings im Stimmengewirr fast untergehen und als musikalische Gattung ebenso wenig einzuordnen sind wie die Kunstwerke von 93 Mitgliedern, die mehr als hundert Werke eingereicht haben und damit ein Kunstmuseum bestücken könnten. Trotz dieser Fülle ist es der Hänge-Kommission gelungen, die Arbeiten so zu präsentieren, dass Schwerpunkte und Gemeinsamkeiten erkennbar sind.

"Die Ausstellung war für mich eine große Herausforderung", bekennt Joe Haneder, der außer im Kunstverein Ebersberg auch noch Mitglied ist im Taufkirchner Künstlerkreis. Wie andere auch, hat er nach einer Brücke zum ungewöhnlichen Thema gesucht - und sie in der Kölner Rheinbrücke mit den Türmen des Doms gefunden. In der filigranen Architektur, den Verstrebungen der Bauwerke, entdeckt, erkennt er Parallelen zum Rhythmus in der Musik.

Auch Margot Haringer stellte sich der Aufgabe zunächst mit gemischten Gefühlen. "Mir war das Stück neu. Normalerweise mag ich die Stille und höre beim Arbeiten keine Musik. Aber in diesem Fall habe ich Jarrett andauernd und sehr laut laufen lassen, um in die Musik einzutauchen. Das ganze Atelier hat gebrummt und vibriert. Das habe ich sogar körperlich gespürt", berichtet die Künstlerin. Vor allem der Rhythmus hat es ihr angetan. "Ich bin ein Mensch, der auf Rhythmen reagiert", erklärt sie. Ihre Körper- und Hörerfahrungen hat sie malerisch reizvoll umgesetzt. "Ich habe beim Zuhören nicht nur Töne wahrgenommen, sondern auch deren Verschwinden und die plötzliche Stille".

Die Reaktionen der Besucher zeigen: Keith Jarretts Klavierspiel lässt viele und auch gegensätzliche Erfahrungen zu. Ebersbergs Zweiter Bürgermeister Toni Ried etwa freut sich, dass auch die Stille einen Platz in der Austellung gefunden habe. Stille sei die Grundlage künstlerischen Schaffens, sagte er, eine Quelle der Energie in einer Zeit, in der Schrilles, Disharmonisches im Vordergrund stehe.

Die Künstlerin Hannelore Sahm ließ sich wiederum durch Wucht und Dynamik des Tasten-Anschlags zu dem viel bestaunten Objekt "Pianomania" hinreißen. "Der Ton springt raus und zwar in die Höhe und in die Tiefe", so kommentiert sie ihre auf einem Spiegel montierten und gewickelten hornartigen Auswüchse aus einem mit Klaviertasten bedruckten Stoff, den sie zufällig in einem kleinen Laden entdeckt und vom Meter gekauft hat. Auch ihr war Keith Jarrett zunächst nicht vertraut. "Ich war früher mehr auf der Rock-Schiene", erklärt sie. Und hat nun ebenfalls über das Thema der Ausstellung zu dieser speziellen Musik gefunden. Wie auch Franz Weber-Berg, seit 30 Jahren Mitglied des Kunstvereins, der dem Prinzip Zufall huldigt, seit er in russischer Kriegsgefangenschaft war und glücklich heimkehrte - und im Übrigen mehr für Jazz nach Art von Hazy Osterwald schwärmt, aber doch auch den Klängen Jarretts etwas abgewinnen kann - ein aggressives lautes Gelb, spitze Formen und die Zufälle der Improvisation. Fast schon Vollprofi ist die Künstlerin Alexandra Huber, deren Ehemann seine Diplomarbeit über Keith Jarrett geschrieben hat. Ihre Serie skurril hingekritzelter Köpfe, die den "Meister" am Flügel darstellen, entspringen genauer Beobachtung und Phantasie.

"Ich habe noch nie eine Ausstellung unseres Kunstvereins gesehen, die durchgehend von so hoher Qualität ist", lobt der frühere Landrat und Kunstförderer Hans Vollhardt. Künstler, die er lange kenne, hätten hier zu neuem und verblüffendem Ausdruck gefunden. Und wenn jemand hier zum Thema Jazz und Kunst etwas beitragen kann, dann er. Schließlich hat er bis vor einiger Zeit selbst Schlagzeug gespielt.

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