Süddeutsche Zeitung

Vernissage am Freitag:Tanz mit der Wirklichkeit

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Die Fotografin Janina Simone Kulcsar und der Künstler Gisbert Stach kannten sich bislang nicht, nun stellen sie gemeinsam beim Ebersberger Kunstverein aus: eine sehenswerte Premiere

Von Anja Blum

Einen jeweils ganz eigenen, spielerischen Blick auf die Welt haben die Fotografin Janina Simone Kulcsar und der Künstler Gisbert Stach. Daran teilhaben lassen sie uns nun in der Alten Brennerei, wo sie gemeinsam ausstellen. Die Jury des Ebersberger Kunstvereins habe die Idee gehabt, diese beiden einander bis dato unbekannten Bewerber "zusammenzustricken", wie die Zweite Vorsitzende Geraldine Frisch erzählt. Sie und Robert Glockner sind als Projektleiter für die Ausstellung verantwortlich - und zeigen sich beim Rundgang mehr als zufrieden.

In der Tat: Diese Schau lässt keine Wünsche offen, denn sie ist spannend, abwechslungsreich und zugleich in höchstem Maße harmonisch. Letzteres vermutlich deshalb, weil es beide Künstler verstehen, auf der schmalen Linie zwischen Abstraktion und Realismus gleichsam zu tanzen: Kulcsar aus Konstanz und Stach aus Gräfelfing geben dem Betrachter klare Hinweise, worum es geht, bieten mit ihren experimentellen Transformationen der Wirklichkeit aber doch neue Perspektiven. Hinzu kommen in beiden Fällen feiner Humor und ein Hauch Gesellschaftskritik. Der größte Unterschied liegt wohl im Medium: Kulcsar zeigt ausschließlich Fotografien, Stach hingegen ist ein Tausendsassa der Techniken und des Materials, er präsentiert Objekte aller Art sowie Performances.

Doch so unterschiedlich seine Arbeiten auf den ersten Blick daherkommen, so sehr eint sie ein Thema: Es geht um Schmuck im allerweitesten Sinne. Kein Wunder, denn Gisbert Stach, geboren 1963 in Freiburg, ist eigentlich Goldschmied, nur eben einer, der sehr gerne über den üblichen Rahmen seines Kunsthandwerks hinaus denkt und arbeitet. Vor allem Experimente haben es ihm angetan. Zum Beispiel zeigt Stach eine kleine Glasflasche mit fast schwarz eingefärbter Königssäure, in der sich ein Juwelenring aufgelöst hat: ein hoch toxischer Prozess, der die Arbeit des Schmieds umkehrt. "Das zu beobachten, fand ich sehr spannend", sagt Stach mit leuchtenden Augen.

Noch viel länger hat es gedauert, bis eine andere Idee von ihm Realität wurde: Vor einigen Jahren band Stach Ketten mit Perlen oder Kugeln um die Stämme junger Bäume - und ließ sie dann einwachsen. Die Assoziationen, die die von Rinde umgebenen Fremdkörper nun hervorrufen, sind zwiespältig: Ist das noch schmückend - oder schon verletzend? In die selbe Richtung zielt auch ein Performancevideo, in dem der Künstler eine Frau mit immer mehr Ketten behängt, bis hinauf zum Kinn, bis sie unter der Last zusammenbricht. "Ich habe es selbst ausprobiert, das ist wirklich sehr beklemmend", sagt Stach.

Manchmal basieren Stachs Werke auch einfach auf ungewöhnlichen Kombinationen, die er geschickt inszeniert: Eine lange, dicke Perlenkette ist am Boden um eine Säule in der Galerie geschlungen, ihr Verschluss: ein altes Zahlenschloss. Was sind Werte? Wie schützen wir sie? Und werden sie genau dadurch für andere nicht noch interessanter? Über einem Durchgang der Galerie prangt ein zweidimensionaler Diamant, geformt aus gelben, handelsüblichen Meterstäben: Das Symbol für Wertigkeit, Härte, Ewigkeit und Eleganz schlechthin wird hier also ganz schnöde vermessen, gleichsam demontiert.

Aber auch "echte" Schmuckstücke hat Stach mitgebracht - ob sie allerdings jemand anlegen möchte, sei dahingestellt: Broschen, die aussehen wie panierte Schnitzel, halbierte Spielzeugautos, in denen Steine "geschmuggelt" werden, und bernsteinartige Anhänger, die einen Blick in die ferne Zukunft werfen. So wie das frühere Baumharz heute oft kleine Insekten umschließt, kann man hier Reißzwecken, abgebrannte Streichhölzer oder Gummiringe entdecken.

Das Spiel mit der Wirklichkeit ist auch Janina Simone Kulcsars Metier. Ihre Fotografien bilden die Welt nicht einfach nur ab, sondern mischen ihr etwas bei - in erster Linie tiefe Emotionen. Das erreicht Kulcsar, geboren 1978, indem sie ihre Motive abstrahiert - sei es durch einen besonderen Blickwinkel bei der Aufnahme oder eine nachträgliche Bearbeitung. Allerdings, das betont die Künstlerin, bediene sie sich dabei ausschließlich analoger Mittel, keiner digitalen: Kulcsar baut sich ihre "Filter" praktisch selbst, indem sie durch Transparentpapier fotografiert, durch Stoffe oder Milchglas. "Das gibt so eine schönen, malerischen Charakter", schwärmt sie.

Ein Glücksfall war es für Kulcsar daher, als sie eine verlassene Gärtnerei entdeckte, in deren Glashäusern der schönste Wildwuchs herrschte. Die Aufnahmen von dort zeigen Gewächse wie Disteln oder Farne wie aus einer anderen Welt: durch die unebenen Scheiben leicht verzerrt, in schier surreal-gedeckten Farbtönen zwischen Altrosa und Blaugrau. Noch weiter in die Abstraktion reicht eine Serie, die in einem dunklen Kiefernwald mit punktuellem Lichteinfall entstanden ist. Hier hat Kulcsar die Kamera bewegt und im Nachhinein die Bilder in ihr Negativ verkehrt: Die Lichtspuren sind nun schwarz, die Flächen hell. "Aufruhr" heißt diese Serie, schließlich spiegelt sich im Äußeren bei Kulcsar stets das Innere wider.

Sehr bewegend auch die Selbstporträts ohne Selbst, wie man diese äußerst dekorative Serie nennen könnte: Sie gewährt einen spannenden Blick durch die "Haut" der Künstlerin, vielmehr durch ihre Kleidungsstücke. Das Jeansbein oder der Ärmel einer Blümchenbluse erscheinen hier als Tunnel nach draußen, wo Licht ist, aber auch kein Schutz mehr. "In meiner Haut" heißt auch eine andere Serie: Sie zeigt Models aus Zeitschriften, allerdings auf ziemlich zerknülltem Papier, so dass ihre Schönheit nur mehr erahnbar ist.

Eine Inspirationsquelle bietet Kulcsar auch der Flohmarkt: Feldpostbriefe zum Beispiel hat sie dort erstanden, die einst ein Vater seiner Tochter schrieb. Die Originale seien wunderbar erhalten, sagt sie. Doch die Künstlerin hat eine unleserliche Version geschaffen, dank starken Gegenlichts und blauer Farbe, mit der sie die Räume zwischen den Zeilen ausgefüllt hat. "Ich denke nämlich: auf die kommt es eigentlich an." Ein Flohmarktfundstück waren auch mehrere Tüten mit Zubehör fürs Angeln, vor allem Leinen und Widerhaken. Durch das Papier hat Kulcsar diese fotografiert, teils mehrere Tüten hintereinander. So ergibt sich wieder dieser milchige Effekt, der "Vom Fliegen und Fischen" bewusst ins Träumerische driften lässt.

Wer also schwelgen, lächeln, rätseln und staunen möchte, sollte demnächst zum Ebersberger Kunstverein gehen, der mit dieser Doppelschau ein glückliches Händchen bewiesen hat.

Ausstellung von Janina Simone Kulcsar und Gisbert Stach in der Galerie Alte Brennerei im Klosterbauhof, Freitag, 7. Juni, um 19.30 Uhr Eröffnung mit einer Performance von Stach, Sonntag, 30. Juni, um 18 Uhr Finissage. Öffnungszeiten: freitags 18 bis 20 Uhr, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr

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Quelle:
SZ vom 05.06.2019
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