Süddeutsche Zeitung

Vernissage am Donnerstag:Von wegen simpel

Der Grafinger Fotoclub "Blende 85567" breitet in seiner neuen Ausstellung das Semesterthema der VHS in vielen Facetten aus: "Einfach leben" vereint hier so unterschiedliche Motive wie die Dritte Welt, Konsumkritik und Genuss

Von Anja Blum

Viele würden gerne ein einfacheres Leben führen, wenn der Weg dahin nicht so kompliziert wäre." Das hatte bereits der spätmittelalterliche Reformator Justus Jonas erkannt. Heute, 500 Jahre später, ist die bewusste Reduktion auf das Wesentliche - mit Blick auf Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung, Migration und Informationsflut - wieder in aller Munde, weswegen die Ebersberger VHS den Ausdruck "Einfach leben" nun zu ihrem Semesterthema erkoren hat. Eine Wahl, mit der auch die Blende 85567 höchst zufrieden sein kann: Der Grafinger Fotoclub gestaltet zu jedem Semesterschwerpunkt eine Ausstellung im Ebersberger VHS-Haus - was bei "Einfach leben" besonders gut gelungen ist. Die Vernissage findet statt am Donnerstag, 24. Oktober, um 19.30 Uhr.

"Das Thema war für uns sehr spannend, weil es in sehr unterschiedliche Richtungen interpretiert und fotografisch umgesetzt werden kann", sagt Ulrike Hohnheiser, die bei der Blende 85567 seit längerem für die Hängung der Schau zuständig ist. "Einfach leben" könne, je nach Betonung, auf schlichte Verhältnisse abzielen, auf das konsumkritische Motto "weniger ist mehr", auf pure Lebensfreude oder auch auf das reine Überleben, zählt Hohnheiser gleich verschiedene Aspekte auf. Klar denke man bei Armut sofort an die Dritte Welt, und viele der Aufnahmen seien auch dort entstanden - "aber das heißt nicht, dass das einfache Leben dort nicht schön sei", betont die Fotografin, "es ist nur anders". Auch dort gebe es Gemeinschaft, Freude und Kultur. Sebastian Ciesielski etwa war mit seiner Kamera im arabischen Raum unterwegs und hat dort einen Tanz von Bandari-Männern in weißen Gewändern festgehalten.

Andere, alternative Lebensverhältnisse bloßzustellen oder übermäßig Mitleid zu erwecken für Menschen in ärmeren Ländern, ist jedenfalls die Sache der Blende-Mitglieder nicht. Allenfalls Hohnheisers "Nachtlager" in einer Hamburger U-Bahn-Station lässt einen kleinen Kloß im Hals zurück: Fast wohnlich hat sich an diesem unwirtlichen Ort jemand eingerichtet, eine Sonnenliege dient als Bett, daneben stehen ein Kaffeebecher und ein paar Blümchen, sämtliche Habseligkeiten sind in Tüten unter der Liege verstaut.

20 Mitglieder stellen diesmal Bilder aus, manche nur eines, manche zwei, das Maximum war drei, insgesamt sind 51 Fotos zu bewundern. Will man sie auf einen Nenner bringen, fällt vor allem auf, dass die üblichen Landschaftspanoramen fast gänzlich fehlen. Kein Wunder, denn solche haben über das einfache Leben nicht viel zu erzählen. Auch Tiere sind eher selten anzutreffen, hier fliegt eine Möwe, dort frisst ein Löwe - ihr Leben, dem ja das menschliche Bewusstsein fehlt, ist schließlich immer irgendwie simpel. Zu der Kategorie "Überlebenskünstler" allerdings zählen auch ein paar Gewächse, Johannes Schmieg präsentiert zum Beispiel einen durchaus üppigen Farn, der an einer völlig kargen Felswand zu gedeihen vermag.

Ansonsten aber dominiert das Motiv "Mensch" diese Ausstellung, inklusive vieler Stillleben aus Menschengemachtem. Behausungen aller Art etwa, allen voran eine maximal karge "Höhlenwohnung" in Griechenland, die Alex Pelka entdeckt hat, eine westliche Studentenbude als Platzsparwunder (Arne Kupfer), ein Ledersofa, das mitten im Grünen steht (Alfons Brückl), oder ein Badezimmer ganz ohne Wände auf Island: "Simplify your life" hat Anka Heinrich diese spektakulär-humorvolle Ansicht genannt. In die gleiche Richtung zielt Reiner Hullas "Café-Pause" aus Meran: Hier sieht man in einem Garten, an der Hauswand, einen alten Ofen stehen, daneben zwei ramponierte Holzstühle, auf der Herdplatte eine Espressokanne. Ob die wohl noch warm ist? Selbst ein wunderschöner Seeblick ist in dieser Schau eingerahmt von einem Fenster, schließlich braucht auch "Feel the freedom" von Natasha Blüm ein zumindest gedachtes Ich.

Viele der Bilder aber zeigen den oder die einfach lebenden Menschen ganz direkt, ohne Umschweife. Junge asiatische Mönche in roten Kutten, einen alten Fischer beim Netze knüpfen, Brettspieler, ein Liebespaar beim innigen Kuss. Der "Streetworker" von Harald Mayerthaler stellt Schlösser und Schlüssel her - mitten im Dreck am Straßenrand, eine vor allem auch farblich spannende, weil kontrastreiche Aufnahme.

Vom süßen, zukunftsweisenden Babyfüßchen bis zum erwachsenen Bein im warmen Sand rund ums Lagerfeuer - immer wieder machen die Motive Genuss und Lebensfreude greifbar: Eine Wanderin breitet die Arme aus, als wolle sie die ganze Welt umarmen, eine andere Frau reckt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen der winterlichen Sonne entgegen, ein Mann findet Ruhe in der Weite zwischen Himmel und Baum. Ein besondererer Hingucker ist auch die "Erste Klasse" von Franz Vielhuber: Auf einem Flugzeugfriedhof in Bangkok hat er einen dösenden Mann entdeckt, die Beine lässig an einen Baumstamm gelehnt. Zu tun gibt es hier offensichtlich schon lange nichts mehr.

Manchmal bedeutet "einfach Leben" aber auch Hektik, Annelies Grasnack zum Beispiel hat einen ganz besonderen "Familienausflug" beobachtet: Mehrere Menschen, von klein bis groß, sitzen hier zusammen auf einem Moped, ganz genau muss man Arme und Beine zählen, um zu wissen, dass es tatsächlich fünf sind. Und die "Muddy Angels" von Jürgen Bochynek sind auch nicht unbedingt meditativ unterwegs: vier Frauen die sich lachend im Schlamm wälzen wie die kleinen Kinder. Allerdings hat die Szene, wie der Fotograf erläutert, durchaus einen ernsten Hintergrund: Bei dem Sportevent seien Spenden gesammelt worden für die Bekämpfung von Brustkrebs. Da bekommt das Thema "Einfach Leben" noch einmal eine ganz andere Bedeutung.

Fotoausstellung "Einfach leben" des Grafinger Fotoclubs "Blende 85567" im VHS-Haus Ebersberg, Dr.-Wintrich-Str. 3, Vernissage am Donnerstag, 24. Oktober, um 19.30 Uhr, zu sehen bis Januar, täglich von 9.30 bis 21.30 Uhr

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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