Süddeutsche Zeitung

Vaterstetten:Unvergesslich vollkommen

Rathauskonzert mit "Minguet-Quartett" und Gérard Caussé

Von Claus Regnault, Vaterstetten

Gäbe es eine Galerie der größten Musikerlebnisse, man müsste dem Rathauskonzert des Minguet-Quartetts samt seinem Gast Gérard Caussé einen eigenen Saal einräumen: Es war dank seiner Vollkommenheit ein unvergessliches Erlebnis. Das Publikum hörte hier ein Ensemble von solcher Klangkultur und in Jahrzehnten gewachsener Übereinstimmung, wie es einem nur in seltenen Glücksfällen begegnet.

Ulrich Isfort (Violine), Annette Reisinger (Violine), Aroa Sorin (Viola) und Matthias Diener (Violoncello), ergänzt durch den französischen Ausnahme-Bratschisten Gérard Caussé, brachten in der Baldhamer Kirche Maria Königin zwei Streichquintette zur Aufführung: eingangs Mozarts lichtvolles Streichquintett C-Dur KV 515 und, nach der Pause, ein Alterswerk von Brahms, sein Streichquintett Nr. 2 G-Dur op 111 - beide in makelloser Interpretation. Da blieb zum Beispiel der Gesang von Mozarts drittem Menuettsatz, zunächst von Cello und Bratsche intoniert, dann von beiden Bratschen wiederholt, wie eine zärtliche Berührung haften. Brahms' spätes, von nahezu vollem Orchesterklang erfülltes Quintett wirkte gegenüber dem Zentralereignis des Abends, György Ligetis' Streichquartett Nr. 1, ein wenig altersgesprächig, ein Eindruck, der durch die fortwirkende Erinnerung an dessen geistvolle Fulminanz bewirkt worden sein mag.

Nun also zu Ligeti. Er errang seine herausragende Rolle in der neuen Musik erst nach seiner Flucht aus Ungarn 1956. Erst da kam er mit der jüngsten Entwicklung der modernen Musik, der Nach-Webernschen Reihentechnik, in Berührung - diese als Sackgasse im Labyrinth der Mechanisierung erkennend. Ligeti entwickelte also seine eigene Sprache in der Gestaltung des Klangs und der Differenzierung durch Mikrointervalle.

Aber schon sein erstes Streichquartett, 1953 noch in Ungarn komponiert, etabliert ihn als bedeutenden Komponisten, der seine Findungen mit souveräner Intellektualität und immer wieder durchscheinender Ironie zu formen vermag. Das Stück trägt den Titel "Métamorphoses nocturnes" und entwickelt aus einer kleinen Sekunden-Sequenz eine Fülle von Gestalten, wobei die im Tempo verhaltenen Teile die Herkunft Ligetis vom Vorbild Bartók erkennen lassen. Und zwischen diese "nächtlichen" Höhepunkte streut Ligeti meist in raschem Tempo bis zum Prestissimo dahineilende, aus seinem zum Grotesken neigenden Humor gewachsene Charaktere.

Die Interpretation durch die Minguets brachte die Fülle der Erfindungen dieser großartigen Komposition glanzvoll zur Geltung. Man spürte, wie die vier Musiker mit innigem Engagement an der Herstellung ihrer Vielfalt beteiligt waren, man erlebte eine Maßstab setzende Interpretation! Das Publikum geriet denn auch gerade bei dieser gewiss nicht gewöhnlichen Hörerfahrung in helle Begeisterung und reagierte mit Jubel.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2017
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