Literatur im Landkreis:Abenteuermärchen Nummer drei

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Ein Friedhof ist für die meisten Menschen ein Ort der Trauer, für Gregor Wolf aber vor allem ein Platz, an dem es sich ungestört nachdenken lässt. Und schaut man lange genug ins Wasserbecken, könnte dieses sogar zu einem mystischen Tümpel werden. (Foto: Christian Endt)

Der Vaterstettener Autor Gregor Wolf hat mit „Liva Bärentochter, wildes Kind des Waldes“ ein neues Buch für Kinder ab neun Jahren geschrieben. Es ist eine spannende Geschichte über eine Waldtrollige, die sich in ein Wildschwein verwandeln kann und einen Küchenjungen, der zum Helden wird.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Interviews mit Autoren lassen sich am Telefon, am Küchentisch oder dort führen, wo ein Schriftsteller besondere Inspiration gefunden hat. Für das Gespräch über sein aktuelles Buch schlägt Gregor Wolf den Vaterstettener Friedhof vor. „Das ist einer dieser verwunschenen Plätze, an denen ich gut nachdenken kann“, sagt er. Zumal für ihn als studierten Ägyptologen der Tod ohnehin immer präsent sei.

Wäre ein Treffen im Ebersberger Forst nicht passender gewesen? Schließlich heißt der Roman für Kinder ab neun Jahren „Liva Bärentochter, wildes Kind des Waldes“ und spielt zu großen Teilen in einem ebensolchen. „Da sind mir die Wege zu gerade für die Art Naturerlebnis, wie es in meiner Geschichte vorkommt“, erklärt Wolf. Außerdem gäbe es die Orte, an denen seine Bücher spielen, nie eins zu eins in der Wirklichkeit – er erschaffe die Schauplätze in seinem Kopf.

Grundlage sind unter anderem Eindrücke vergangener Forschungs- und Vortragsreisen, wie er sie während seines Ägyptologiestudiums überall auf der Welt unternommen hat. Bilder als Erinnerungsstütze brauche er dabei keine. Das, was er sehe, verbinde er gedanklich sofort mit einer bestimmten Szene. „Bei einem Foto ist das Gefühl weg.“

Auf seinen Forschungs- und Vortragsreisen hat Gregor Wolf schon die ganze Welt gesehen. Die Erinnerungen daran hat er in Kopf und Herz gespeichert - aus ihnen speisen sich die Orte seiner Geschichten. (Foto: Christian Endt)

Auch aus einem ganz praktischen Grund will sich der Vaterstettener in seiner Heimatgemeinde treffen. An diesem Tag ist der dreifache Vater zuständig für das Mittagessen seiner Kinder. Altersmäßig gehören sie genau zu jener Zielgruppe, für die der 47-Jährige seit einigen Jahren neben seinem Hauptberuf in der medizinischen Weiterbildung und Forschungsvernetzung seine „Abenteuermärchen“ schreibt.

Dem an Tolkien und Ende erinnernden Erstling „Die abenteuerliche Reise des Leopold Morsch“, erschienen 2019, folgte 2022 „Etzel Zauderkern“, ein wahrlich „zauber“-haftes Schelmenstück voller Ritter, Heiler und Halunken. Nun liegt mit „Liva Bärentochter“ also Buch Nummer drei vor.

Wieder hat sich Wolf faszinierende Figuren ausgedacht – allen voran die Titelheldin, eine „Waldtrollige“, die mit ihrer Mutter tief in einem verwunschenen Wald lebt. Beide Feen haben besondere Kräfte. Mama Milva – eigentlich „Lamilivasursamilva“ – kann sich in eine Bärin verwandeln, Liva – kurz für „Livalamirsursimani“ – in ein Wildschwein.

„Wildschweine sind stark und eigensinnig“

Warum eine Bache und kein Reh? „Viel zu langweilig und erwartbar. Wildschweine sind stark und eigensinnig. Sie haben ihren eigenen Willen und können ihn durchsetzen“, erklärt Wolf seine Entscheidung. Ihre körperliche Kraft, aber auch die Eigenschaft, sich mitunter gegen die „Bärenmutter“ aufzulehnen, die lieber abgeschottet von der Welt in ihrer Höhle leben will, braucht Liva ganz dringend, als sie Anders trifft. Der Küchenjunge im Schloss von Baronin Härtha ist als Feenmischling ein von allen schikanierter Außenseiter. Außerdem trachtet man ihm nach dem Leben. Deswegen flieht er in Milvas Reich. Die allerdings empfängt ihn nicht gerade mit offenen Armen, umso mehr als er die Verfolger in ihre Idylle führt ...

Dass seine Figuren in große Schwierigkeiten geraten, die sie nur durch die Kraft einer Gemeinschaft überwinden können, die sich erst einmal zurechtruckeln muss, kennt man schon aus den vorherigen Büchern. Ebenso wie Wolfs wunderbare „sprechende Namen“; so heißt etwa der Baronet „Faulenz“.

Perspektivenwechsel ist das Ziel

Lustig ist es auch, wie Liva manche aus der Menschenwelt entwendete Gegenstände ungeahnten Zwecken zuführt. So wird aus einem Nachttopf ein Helm, der vor herabfallenden Eicheln schützt. „Wie soll man auch etwas einordnen, wenn man es nie benutzt und keinen fragen kann, wozu es dient?“, sagt der Autor und fügt hinzu, seine diesbezügliche Warte sei eventuell ein Relikt aus der Zeit als Ägyptologe. „Auch da konnte ich bei mir unbekannten Darstellungen an Wänden nur das nutzen, was ich sah.“

Livas naiver Blick hat aber noch einen anderen Zweck: Er macht deutlich, dass es mehr als eine Perspektive gibt. „Nicht nur eine Sichtweise allein ist richtig, alle haben etwas Wahres“, erläutert Wolf. Zumal ein Perspektivwechsel echte Vorteile bieten könne: „Früher hatte ich Angst vor Spinnen. Dann gab ich ihnen Namen und betrachtete sie als Mitbewohner. Gleich besserte sich meine Beziehung zu ihnen.“

So ist also Dreh- und Angelpunkt und eine zentrale Botschaft des Buches: das Andersartige zulassen! Selbst wenn das dazu führt, unerfreuliche Eigenschaften der Mitgeschöpfe akzeptieren zu müssen. „Es geht um das Verhandeln. Einen Weg zu einem Miteinander zu finden.“ Wobei der nicht immer friedlich und idyllisch sein muss – ganz wie in der Realität, vor der auch Kinder den Blick nicht verschließen sollten. „Die Natur ist mal freundlich, mal grausam“, macht Wolf deutlich.

Feenmädchen Liva ist eine 'Waldtrollige' - und so geheimnisvoll wie der Name sind ihre Kräfte und die ihrer Bärenmutter Milva. (Foto: Christian Endt)

So faszinierend und spannend, mal witzig, mal mit starken emotionalen Momenten ist die 250 Seiten starke Geschichte, dass man gar nicht genug bekommt vom Leben in diesem verwunschenen Wald, der schon auf dem Cover so einladend daherkommt. Von dessen Illustratorin Mareike Ammersken ist Wolf sehr begeistert, „obwohl ich sie vorher noch gar nicht bewusst kannte“. Allerdings stellte sich dann heraus, dass die „genau eine“, bei der Frankfurter Buchmesse mitgenommene Postkarte, die ihn sofort angesprochen hatte, von eben jener Mareike stammte. Das Motiv: ein Fuchs im Wald.

Die Anekdote klingt wie eine dieser magischen Fügungen, die in Romanen, wie Wolf sie so gekonnt verfasst, an der Tagesordnung sind. Vielleicht deswegen fühlt er sich in diesem Genre immer noch so wohl. „Ich bin selbst Optimist, darum möchte ich gerne über das Gute, Richtige und die Hinwendung zum Guten schreiben.“ Wie es ja auch in „Liva Bärentochter“ geschieht, wo sich am Ende eine für alle beteiligten Parteien passende Lösung findet, wenn auch nach der höchst unerwarteten, aber effektvollen Einmischung eines griesgrämigen, sprechenden Baumes. Nicht zuletzt speist sich Wolfs Faible für Kinder- und Jugendliteratur aber auch, wie er sagt, aus der Zugehörigkeit zu den „Isarautoren“, mit denen er sich wunderbar versteht.

Am liebsten liest Gregor Wolf an Schulen

Ob er sich denn vorstellen könnte, Vollzeit als Schriftsteller tätig zu sein, will man wissen. Nach kurzer Bedenkzeit nickt Wolf: „Wenn man davon leben könnte, ja.“ Vor allem Schullesungen würde er dann sicher noch viel mehr machen als bisher schon. „Diese Begegnungen mit den Kindern geben mir viel. Ohne Netz und doppelten Boden mit der Geschichte rauszugehen und direkt Reaktionen zu bekommen, ist einfach unbeschreiblich“, sagt der Autor, der zuletzt am Gymnasium Vaterstetten für alle fünften Klassen gelesen hat.

Derzeit aber schätze er seine durch den Brotjob abgesicherte Freiheit, zu schreiben, „was, so lange und so intensiv wie ich will. Ohne den Druck einer Neuveröffentlichung alle sechs Monate.“ Das Schöne an der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit seinem Verlag sei, so Wolf, dass der ihm diese Zeit auch lasse. Darum wird das nächste Werk erst im Frühjahr 2026 erscheinen. „So kann es in Ruhe reifen.“ Über den Inhalt verrät der Autor nur so viel: „Eine Art Reiseroman mit Fantasy- und Märchenelementen, der mit meiner Ausbildung als Ägyptologe zu tun hat.“ Mal sehen, wo dann das nächste Gespräch stattfinden wird ...

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