Vaterstetten:Glühender Stern

Vaterstetten: Geben der Persönlichkeit Frédéric Chopins Gestalt und Stimme: Hideyo Harada am Flügel und Ulrich Noethen am Rezitierpult in Neukeferloh.

Geben der Persönlichkeit Frédéric Chopins Gestalt und Stimme: Hideyo Harada am Flügel und Ulrich Noethen am Rezitierpult in Neukeferloh.

(Foto: Christian Endt)

Der Schauspieler Ulrich Noethen und die Pianistin Hideyo Harada widmen beim Rathauskonzert Vaterstetten dem Leben und Werk Chopins einen ergreifenden literarisch-musikalischen Abend

Von Rita Baedeker, Vaterstetten

"Gott, schicke ein Erdbeben, dass es die Unmenschen des Jahrhunderts verschlinge!" Diese Worte stammen nicht etwa aus jüngster Zeit. Es war Frédéric Chopin, der diesen Satz aus Sorge um Eltern, Schwester und ein geliebtes Mädchen brieflich einem Freund anvertraute. Anlass war der vom zaristischen Russland blutig niedergeschlagene Aufstand in Warschau 1830. Von "des Schicksals herbem Wechsel" fortgetrieben, blieb der Komponist der polnischen Heimat sein ganzes kurzes Leben lang treu.

"Gleich einem Stern, der einsam zieht" (Herrmann Hesse) lautet der Titel des musikalisch-literarischen Programms, in dem die japanische Pianistin Hideyo Harada und der Schauspieler Ulrich Noethen sich im Bürgerhaus Neukeferloh auf rot ausgeleuchteter Bühne tief in Musik und Leben des polnischen Komponisten versenkten. Der Abend bildete den Ersatz für das Gastspiel von Geigerin Isabelle Faust und Roger Willemsen, das wegen dessen Erkrankung abgesagt werden musste.

Dass Noethen, ausgezeichnet mit allen Film- und Kulturpreisen, welche die Branche zu vergeben hat, und die gefeierte Harada die Lücke so grandios füllten, war keineswegs selbstverständlich. Noethen hatte die Lesung zwischen Verpflichtungen in Berlin und Jena eingeschoben, eine lange nächtliche Autofahrt eingeschlossen; und Harada, gerade aus Japan angereist, musste gleich wieder zurück nach Tokio fliegen.

Mit der feinsinnig-noblen Melancholie, die Ulrich Noethen in vielen seiner Rollen ausstrahlt, ist er der ideale Interpret für die in Briefen und anderen Texten dokumentierte Vielschichtigkeit im Charakter Chopins. Noethen agiert mehr als Chronist denn als Darsteller, Gestik und Mimik bleiben zurückhaltend, oft wirkt er in sich gekehrt, als sei er lediglich Medium für Chopins unsterbliche Seele. Dadurch gelingt es ihm, feinste Nuancen im Gefühlsleben des Komponisten, Stimmungen wie Glück, Zorn, Fantasie und Trauer hör- und fühlbar zu machen.

Seine Partnerin am Flügel, Hideyo Harada, übersetzt Chopins Seelenzustände in leidenschaftliche Klangfarben. Mit der Nocturne in F-Dur op. 15, Nummer 1, in welcher sich zwischen einfacher Melodik und rasenden Sechzehnteln Chopins zu Extremen neigende Persönlichkeit offenbart, eröffnet sie den Reigen. Ob glühende Emotion oder traumverlorene Poesie, ob sanft oder wild: Harada lässt sich von der Musik mitreißen, vom zarten Akkord bis zur Raserei schöpft sie alle Gefühlsregungen klanglich aus. Wer ihr zuhört, versteht, was Robert Schumann gemeint hat, als er über Chopin sagte, dessen Werke seien "unter Blumen eingesenkte Kanonen". Es kam ja nicht von ungefähr, dass Chopin mit seiner neuen Musik Kritiker zu Lobeshymnen ebenso hinriss wie zu vernichtender Ablehnung. Auch aus solch emotionsgeladenen Rezensionen las Noethen vor.

Die Texte und Musikstücke des Abends, Nocturnes, Walzer, Etüden, Balladen und Mazurken, ergänzten einander perfekt. Nach dem Wiedersehen Chopins mit seinen Eltern 1834 in Karlsbad verliebt Chopin sich Hals über Kopf in die 16-jährige Maria, Tochter von polnischen Freunden. Er will sie heiraten; wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung verweigern Marias Eltern jedoch ihre Zustimmung. Chopin ist tief getroffen. Nach seiner Liebe zu der Sängerin Konstanze, die unerfüllt blieb, erlebt er hier eine weitere Enttäuschung. Aufwühlend und klangselig spielt Harada die Ballade Nummer 1 in g-Moll op. 23, die gerade fertig ist, als Chopin Eingang in die feine Pariser Gesellschaft findet, wo man, wie er seinem Freund Tytus Woyciechowski schreibt, die "allergrößten Tugenden, aber auch die allergrößten Laster" findet. Er ist nun im Kreis von Fürsten und Diplomaten angekommen, allein, es ist niemand da, mit dem er "zusammen seufzen" könnte.

Im November 1836 berichtet er den Eltern erstmals von der Begegnung mit der Schriftstellerin George Sand. "Sie hat mir überhaupt nicht gefallen. Sie raucht Zigarren, trägt Hosen und geht keiner Debatte aus dem Weg", schreibt er. Dennoch wird aus den beiden ein Paar. Um Chopin zu gefallen, zwängt sie sich sogar in ein Schäferinnen-Mieder. Allein die Umstände dieser "Beziehungskiste", von Franz Liszt in dessen Chopin-Biografie geschildert, wären Stoff für eine Tragikomödie. "Er ist so ladylike, und sie ein vollendeter Gentleman", soll ein Zeitgenosse gelästert haben. Die gemeinsame Zeit auf Mallorca und in Nohant, dem Landsitz Sands, währt trotz aller Gegensätze neun Jahre, eine Zeit, in der Chopin viele bedeutende Werke schreibt.

Nachdem die Beziehung zerbrochen ist, reist Chopin nach England. Seine Briefe von dort offenbaren eine weitere Facette seiner Persönlichkeit, den sarkastischen Humor. "Musik gilt hier nicht als Kunst. Sie spielen verrückte Dinge und halten sie für schön", schreibt er über die Engländer. "Es sind Originale, Gott beschütze sie!"

Elender werdend, spricht Chopin in seiner Musik von Schmerz und Düsternis. Sein letztes Werk, die Mazurka Opus 68 Nummer 4, hat die Tonart f-Moll, und die steht für Schwermut, für "grabverlangende Sehnsucht", wie der Dichter und Komponist Christian Friedrich Daniel Schubart schrieb. Chopin, den wohlmeinende Schottinnen verheiraten wollen, sieht sich "dem Sarge näher als dem Ehebett". 1848 stirbt er im Alter von 39 Jahren in Paris. Sein Herz wird - auf eigenen Wunsch - in der Heilig-Kreuz-Kirche Warschau in eine Säule eingemauert. Das Publikum, sichtlich ergriffen, spendet lang anhaltenden Beifall.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: