Bildung im Landkreis Ebersberg:Fenster in die Vergangenheit

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Welche Geheimnisse verbergen sich im Schlamm? Ein Schüler versucht diesem Rätsel auf den Grund zu gehen. (Foto: Christian Endt)

Vaterstettener Gymnasiasten und Schüler aus Estland wirken an einem Forschungsprojekt für die LMU mit. Gemeinsam hoffen sie, neue Erkenntnisse über zurückliegende Veränderungen des Erdmagnetfelds zu gewinnen.

Von Henning Giesen, Vaterstetten

Der Chemie-Raum im Gymnasium Vaterstetten ist gut gefüllt. Zwar sind 34 Schülerinnen und Schülern gar nicht mal so ungewöhnlich viele, doch dass gleich vier Lehrer vor der Klasse stehen, sticht dann doch ins Auge. Zwei von ihnen sind jede Woche hier und leiten die Wissenschafts-AG. Die anderen beiden hingegen sind nur zu Besuch da, und zwar aus Tallinn, Estland. Und auch die Hälfte der Schüler im Raum ist sonst nicht hier - sie kommen ebenfalls aus Estland. Gemeinsam mit den Vaterstettenern nehmen sie teil an einem internationalen Forschungsprojekt: Die Jugendlichen arbeiten den Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München zu, um mehr über ein Lebewesen herauszufinden, das wichtige Erkenntnisse über die Geschichte unseres Planeten liefern soll.

Rund um die sechs Tische im Klassenraum haben sich kleine Gruppen versammelt. In manchen arbeiten Schüler aus Estland und Deutschland zusammen, andere bestehen aus Schülern aus nur einem der beiden Länder. Eifrig tauschen sie sich aus - englische, deutsche und estnische Worte fliegen durch den Raum. Alles dreht sich darum, was in der Mitte, auf den Tischen einer jeden Gruppe, passiert. Dort stehen Mikroskope und Schraubgläser, gefüllt mit einer schlammigen Flüssigkeit.

Um die Bakterien zu finden, muss man ganz genau hinschauen. Sie sind etwa zwanzigmal dünner als ein menschliches Haar. (Foto: Christian Endt)

Es handelt sich um Gewässerproben, die die Schüler aus Teichen, Seen, Bächen und Flüssen entnommen haben - hier im Landkreis Ebersberg sowie im estländischen Tallinn. Die Hoffnung ist, in den Wasserproben jenes Lebewesen zu entdecken, mit dessen Hilfe Geophysiker der LMU bisher ungelöste Fragen über die Geschichte der Erde beantworten wollen.

Gesucht werden sogenannte magnetotaktische Bakterien. Diese leben im Schlamm und finden sich zurecht, indem sie sich mithilfe winziger Magneten im Körper an den Magnetfeldlinien der Erde orientieren. "Findet man diese Bakterien in Fossilien, lassen sich Informationen über die Polung des Erdmagnetfelds in vergangenen Jahrtausenden gewinnen - so die Theorie", erklärt Sebastian Bauer, Mathe- und Physiklehrer am Vaterstettener Humboldt-Gymnasium. Mit anderen Worten: Der Schlamm von Ebersberg bietet möglicherweise ein Fenster in die weit entfernte Vergangenheit.

Mithilfe bestimmter Bakterien wollen die LMU-Forscher mehr über das Erdmagnetfeld lernen

Nicht nur bei Vaterstetten und Tallinn, sondern überall auf der Welt umgibt das Erdmagnetfeld den Planeten wie eine Hülle. Sie schützt vor kosmischer Strahlung sowie Sonnenwind und ermöglicht dadurch erst das Überleben auf der Erde. Doch dieser Schutzschild ist nicht konstant: Die Stärke der Pole schwankt. Im Durchschnitt etwa alle 250 000 Jahre kehrt sich das Feld sogar komplett um: Der heutige Südpol würde dann im Norden sein und umgekehrt - wobei die Landmassen natürlich an ihren ursprünglichen Plätzen verweilen.

Diese Diskontinuität hat Einfluss auf den Alltag, denn vieles heutzutage hängt von den Funktionsweisen des Magnetkraftfelds ab - "etwa GPS-Navigations-Systeme", wie eine der Schülerinnen erklärt. Doch bisher versteht die Wissenschaft das Verhalten des Erdmagnetfelds nur eingeschränkt. Der Blick in die Vergangenheit mithilfe der Bakterien soll helfen, das wissenschaftliche Verständnis zu erweitern.

Die vier Lehrer, die das Projekt leiten (von links): Daniel Kaasik, Sebastian Wendling, Reivo Maasik und Sebastian Bauer. (Foto: Christian Endt)

Die 15- bis 17-jährigen Schülerinnen und Schüler aus drei Jahrgangsstufen wollen zunächst einmal dabei helfen, mehr über die Bakterien herauszufinden. Denn auch über diese ist bisher eher wenig bekannt. "Einerseits wollen wir mehr darüber wissen, wie die Bakterien überhaupt verteilt sind - ob es in Estland zum Beispiel mehr gibt als in Bayern, oder in einem Bach mehr als in einem noch jungen Teich", erklärt einer der Schüler. Mögliche geografisch bedingte Unterschiede in den Merkmalen der Bakterien herauszufinden, das ist ein Grund für die Zusammenarbeit der Schulen aus den beiden Ländern. "Und dann wollen wir schauen, wie die Bakterien auf verschiedene Einflüsse reagieren, wenn wir sie beispielsweise erhitzen oder den pH-Wert verändern", fügt ein anderer Schüler hinzu.

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Von Henning Giesen

Die Wissenschafts-AG aus Vaterstetten experimentiert schon seit einigen Wochen mit magnetotaktischen Bakterien. Bei einem Besuch der LMU in München wurden sie von Geophysikern auf die Projektarbeit vorbereitet. Daraus ist schließlich der internationale Austausch gewachsen. "Wir wollten mal nicht einen reinen Sprachaustausch machen, sondern einen fachlichen. Für Technikprojekte mit osteuropäischen Schulen lassen sich besonders gut Fördergelder beantragen und Projektpartner finden", erzählt Physiklehrer Bauer.

Die an der LMU gelernten Techniken wollen die Schüler aus Vaterstetten nun an ihre estnischen Austauschpartner weitergeben. Etwa, wie man die Bakterien am besten unter einem Mikroskop findet, oder wie man sie durch magnetische Reize bewegen kann. Bereits im April sind sie deshalb für eine Woche nach Estland gereist - und jetzt trifft man sich am Vaterstettener Gymnasium wieder. "Ziel ist es auch, das Projekt so zu entwickeln, dass andere Schulen die Methode nachahmen können", erklärt Bauer weiter.

Bisher konnten die Schüler keine neuen Geheimnisse über den Planeten aufdecken. Doch, wie üblich in der Wissenschaft, plant man langfristig. Beide Schulen wollen weiter mit den Bakterien experimentieren und sich per Videocalls über ihre jeweiligen Fortschritte austauschen. Und auch der direkte interkulturelle Austausch soll fortgesetzt werden. "Die Schüler haben sehr viel Spaß an dem Projekt - es wollten viel mehr mitmachen als Plätze verfügbar waren", sagt Lehrer Reivo Maasik aus Estland. "Wir hoffen, im nächsten Jahr wiederzukommen und das Projekt und die Partnerschaft weiterentwickeln zu können, dann vermutlich mit neuen Schülern und neuen Ideen." Denn eines ist sicher: Den geheimnisvollen Schlamm in den Bächen und Flüssen im Landkreis Ebersberg wird es auch dann noch geben.

Weitere Infos über das LMU-Projekt "DeepDyn" sowie über die Arbeit der Wissenschafts-AG aus Vaterstetten gibt es unter www.geo.lmu.de/deepdyn/de/aktuelles .

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