Vaterstetten:Die Welt in Buchstaben

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Die Haarer Künstlerin Erika Lohr (links) bei ihrer Vernissage in der Vaterstettener Volkshochschule. Dort gibt sie auch Kurse. (Foto: Christian Endt)

Künstlerin Erika Lohr zeigt in der Volkshochschule Vaterstetten Schrift-Bilder und kalligrafische Experimente

Von Rita Baedeker, Vaterstetten

Einem Aphorismus des englischen Dichters William Blake zufolge kann man die Welt in einem Sandkorn sehen - und den Himmel in einer wilden Blume. Man kann sie aber auch in Schriftzeichen verewigen, so wie die Haarer Künstlerin Erika Lohr, die ihre Bilder und kalligrafischen Experimente derzeit in den Räumen der Volkshochschule Vaterstetten zeigt. Blakes Zeilen hat sie für ihre Komposition "Unendlichkeit" ausgewählt.

Unendlich auch der Fundus, aus dem Lohr schöpfen kann: Von den in Stein geritzten Zeichen der Urgeschichte über die Bilderschrift der ägyptischen Hieroglyphen bis zum Buchdruck und den Buchstaben der Gegenwart ist Schreiben die entscheidende Kulturtechnik, mit welcher sich der Mensch die Welt zu eigen macht und sich anderen mitteilt. Gerade wird mit den beliebten comicartigen "Emojis" auch die Bildsprache wieder neu entdeckt.

Das Wort "Kalligrafie" leitet sich von dem altgriechischen Wort "Schönheit" her. Eine ansprechende Handschrift - es gab in früheren Zeiten mal das Schulfach "Schönschreiben" - weckt Sympathie und Vertrauen, eine unästhetische, unleserliche stößt unweigerlich ab. Um Schönheit oder besser: Anmut, Ebenmaß, Harmonie, geht es auch in der Kalligrafie, eine Kunstform, zu der insbesondere die fernöstliche Gattung der Haikus gut passt.

Haikus sind kleine Gedichte, aus dem Moment heraus geschriebene Empfindungen und Andeutungen, literarische Sandkörner, wenn man so will. Meist handeln sie von Naturbeobachtungen, in denen sich ein Gefühl spiegelt: "Sie pflücken, fällt schwer. Sie nicht pflücken, fällt schwer, die kleinen Veilchen." Zum zarten Haiku passt formaler Minimalismus. In der Tradition des Zen wurden Schriftzeichen mit Pinsel und Tusche und in einer einzigen konzentrierten Geste mit langem Atem zu Papier gebracht. Erika Lohr macht es anders. "Ich habe zwar Bilder, die fernöstlich wirken", sagt sie, "aber ich schreibe nicht im japanischen Stil".

Lohr besucht mehrmals im Jahr Seminare bekannter Schriftkünstler, sie gehört unter anderem dem Förderkreis internationaler Kalligrafie an, dem Kalligrafiekreis Domberg-Freising und dem Künstlerkreis Haar, außerdem leitet sie Kalligrafiekurse an der VHS Vaterstetten. Bei ihrer künstlerischen Arbeit bedient sie sich verschiedener literarischer Gattungen, Schrifttypen und Formensprachen. Typografie und Malerei ergänzen einander oder verschmelzen gestalterisch zur Einheit. Etwa bei dem Bild "Horizonte": Über dem als Farbfeld gemalten blauen Horizont in der Mitte der Leinwand segeln blaue Federn dahin, nicht gebunden an jene Grenzen, von denen der das Motiv einhegende Text handelt. Bei anderen Arbeiten sind die Lettern selbst das Motiv. Etwa bei der Gouache "Pusteblume", bei der die Buchstaben wie Samen in alle Richtungen fliegen.

Erika Lohr arbeitet mit verschiedenen Sprachen und Schriftarten, unter anderem mit Fraktur, Antiqua und englischer Schreibschrift, gestaltet aber auch eigene Kreationen. "Ich habe mit der 'römischen Capitalis' begonnen", sagt Lohr. Es ist die klassische Schrift der antiken Marmor-und Sockelinschriften. "Die lässt sich wunderbar abwandeln und bildet die Grundlage für selbst erfundene Alphabete."

So vielfältig wie die Schriften sind auch ihre Schreibgeräte. Neben der "Bandzugfeder" nutzt Erika Lohr die "Ruling Pen" sowie eine aus dem feinen Blech von Coladosen geschnittene Feder, die, so Lohr, ein besonders ausdrucksstarkes Schriftbild erlaube, breit oder dünn, ausgefranst und exakt oder auch mit gewollten Spritzern für besondere Effekte. Für die filigrane englische Schreibschrift mit ihrem haarfeinen Strich benutzt sie Spitzfedern. Erika Lohr verwendet schwarze japanische Tinte und Gouache. Sie schreibt freihändig und auch bei den wie gedruckt wirkenden Lettern ganz ohne Schablonen.

Erika Lohr hat für ihre Schriftkunst Gedichte von Bert Brecht, Hilde Domin, Wilhelm Busch, Heraklit, Paul Célan und Pablo Neruda ausgesucht. Und immer wieder Haikus: "So schlicht und einfach fand sich der Frühling heut ein: Als Blau des Himmels." Ganz einfach also. Nur der Frühling in diesem Jahr hat das offenbar noch nicht mitbekommen.

Die Ausstellung "Schrift und mehr! Kalligrafische Experimente" mit Arbeiten von Erika Lohr ist zu den Öffnungszeiten der Volkshochschule Vaterstetten, Baldhamer Straße 39, zugänglich: Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr und Montag und Donnerstag von 16 bis 19 Uhr. Sie endet am 24. Juli.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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