Vaterstetten:Die Sprachlehrerin der Münchner Polizisten

Vaterstetten: In Grenoble lernte Evelyn Rädler ihren Mann Albert kennen, mit dem sie nach Vaterstetten zog. Ihrer Heimat Kanada ist sie sehr verbunden geblieben.

In Grenoble lernte Evelyn Rädler ihren Mann Albert kennen, mit dem sie nach Vaterstetten zog. Ihrer Heimat Kanada ist sie sehr verbunden geblieben.

(Foto: Christian Endt)

Die gebürtige Kanadierin Evelyn Rädler lebt seit 1962 in Bayern und brachte vielen Schülern gutes Englisch bei. Lange war sie auch Präsidentin des deutsch-amerikanischen Frauenclubs

Von Sebastian Hartinger, Vaterstetten

Als die heute 82-jährige Evelyn Rädler 1962 nach München kam, war sie schockiert, wie arm die Leute waren, daran erinnert sie sich noch gut. "Sie waren schlecht angezogen, hatten zerrissene Klamotten und Hunger, aber waren glücklich, dass der Krieg zu Ende war", erzählt sie.

Die gebürtige Kanadierin, die lange als Englischlehrerin an der Realschule Vaterstetten gearbeitet hat, machte zunächst eher schlechte Erfahrungen mit den Deutschen. In ihrem Heimatort Regina, der Hauptstadt der Provinz Saskatchewan, hatte die Bevölkerung für die dort lebenden Deutschen wenig Sympathien übrig. Diese hätten es aber nicht so schlecht gehabt. "Die meisten waren Handwerker, Bäcker oder Metzger, viel besser ausgebildet als die Kanadier, und somit eine Bereicherung." Viele von ihnen hätten dort auch geheiratet.

Die Ressentiments gegen die Deutschen seien trotzdem groß gewesen, auch in ihrer Familie. "Mein Vater war sehr antideutsch", berichtet sie. Dies änderte sich erst, als er ihren späteren Mann Albert kennen lernte. Doch auch der hatte zunächst keinen leichten Stand in ihrer Familie. "Mein Mann hatte als Kind Polio, genau wie meine Mutter. Bei meiner Mutter war es nicht schlimm, aber Albert hatte Probleme zu laufen. Meinen Eltern hat er ein bisschen leidgetan." Vollständig überzeugt wurde ihr Vater, als er selbst einmal nach Bayern kam. "Mein Vater war ein Autoliebhaber und besonders begeistert von deutschen Wagen und der Autobahn." Auf dieser sei er immer ein bisschen zu schnell gefahren.

Ihren Mann Albert hat Evelyn Rädler in Frankreich kennengelernt, als sie für zwei Jahre in Grenoble die Landessprache studierte. "Ich habe damals von der französischen Regierung ein sehr großzügiges Stipendium bekommen. Es kamen Leute aus aller Welt zum Studieren nach Frankreich." Nach ihrem Aufenthalt in Europa kehrte sie nach Kanada zurück, um als Französischlehrerin in Swift Current, knapp 250 Kilometer entfernt von Regina, zu arbeiten. Albert, der in Deutschland als Steuerberater und Professor an der Universität Hamburg gearbeitet hat, besuchte sie mehrmals.

Nachdem er um ihre Hand angehalten hatte, kam sie 1962 zunächst nach München und arbeitete als Englischlehrerin in der Städtischen Sprachenschule. Dort habe sie Münchner Polizisten unterrichtet. "Die waren sehr nett. Ich fand es lustig, sie zu unterrichten, da einige von ihnen schon 20 Jahre im Dienst waren." Sogar die Globe and Mail aus Toronto habe über sie und ihre Schüler berichtet. Die Arbeit mit den Ordnungshütern habe ihr auch manch zweifelhaften Vorteil gebracht, scherzt sie. "Ich konnte damals durch München so schnell fahren wie ich wollte, wenn ich aufgehalten wurde, habe ich immer einen meiner Schüler getroffen." Mit der Sprache habe sie sich am Anfang schwer getan, heute aber spricht sie perfekt Deutsch, auch wenn man einen ganz leichten Akzent noch heraushören kann.

Die Lage von damals beschreibt sie bis zum Wirtschaftsboom als schlecht. "Die Mark war damals nicht viel wert. Die meisten jungen Leute waren arm." Umso besser war es für das Ehepaar Rädler, dass Evelyn als Lehrerin in Kanada so gut verdient hat, dass sie sich ein Reihenhaus in Baldham leisten konnten. Nach der Geburt ihres ersten Kindes Thomas kümmerte sie sich um den Haushalt. Es folgten mit Albert, Walter und Georg drei weitere Söhne. 1970 zog die Familie nach Vaterstetten. "Hier war erst Bauernland", erklärt sie. "Die Regierung wollte die Leute aus der Stadt rausbringen und vergab billige Kredite." In Vaterstetten hätten sie außerdem deutlich mehr Platz gehabt und seien nicht mehr an der lauten B304 dran gewesen.

Nachdem sie 1979 als Englischlehrerin an der Realschule Vaterstetten begonnen hatte, lernte sie die deutsche Bürokratie kennen. Da sie nur kanadische Abschlüsse besaß, wollte man sie nicht unterrichten lassen. Evelyn Rädler wehrte sich aber. "Unglaublich, dass die Deutschen damals glaubten, besser Englisch unterrichten zu können als ich." Unterstützung bekam sie vom Vaterstettener Schulleiter und der SZ, die über die Verhandlungen berichtete. Am Ende bekam sie vor dem Bundesarbeitsgericht recht. "Das Urteil war für andere ausländische Lehrer sehr wichtig", meint sie. Bis zu ihrem Ruhestand mit 65 arbeitete sie an der Realschule. "Ich wollte eigentlich weiterarbeiten. Die Leute an der Schule meinten, so einen Schmarrn haben sie noch nie gehört."

Nach ihrer Pensionierung wurde sie Präsidentin des deutsch-amerikanischen Frauenclubs München, obwohl sie keine Amerikanerin, sondern Kanadierin ist. Dem Verein, der das gegenseitige Verständnis der Deutschen und Amerikaner fördern will, trat sie Mitte der 80er Jahre bei. Außerdem besucht sie regelmäßig den internationalen Stammtisch in Vaterstetten.

In ihre Heimat kehrt Evelyn Rädler immer wieder gerne zurück. Auch ihrem Mann, der vor vier Jahren starb, habe es dort sehr gut gefallen. Ihr jüngster Sohn Georg hat sogar in Toronto studiert. Obwohl sie Kanada sehr verbunden geblieben ist, sei auch Bayern ihre Heimat geworden.

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