Vaterstetten:Die Akustik der Zukunft

So klingt es in 50 Jahren: Kinder des Wahlkurses "Begabtenförderung" am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten entwerfen für den Klangforscher-Wettbewerb ein kreativ-kritisches Szenario des Jahres 2067

Von Viviane Rückner, Vaterstetten

Wir besteigen eine Zeitmaschine und reisen in die nahe Zukunft, in das Jahr 2067, die Menschen tragen etwas im Ohr, dass sie "Acoustical Life Assistants" oder "Alas" nennen, sie haben "Hundopusse" als Haustiere und essen "Melonanasse". So stellen sich die elf Kinder des Wahlkurses "Begabtenförderung" am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten die Zukunft vor. Ihre Ideen auch noch akustisch darzustellen und umzusetzen, bedurfte viel Kreativität und Arbeit.

Seit einiger Zeit arbeitet die Gruppe gemeinsam mit Mediencoach Mischa Drautz und Lehrerin Amelie Cocron an diesem Projekt. Cocron nimmt mit ihrem Kurs das zweite Mal in Folge an dem bundesweiten Klangforscher-Wettbewerb teil - sie sind eine von zehn Schulen, deren Projektidee angenommen wurde. Die Aufgabe der Kinder ist es in diesem Jahr, sich zu überlegen, wie die Zukunft klingt. "Ich finde es wirklich toll, dass die Kinder eine Mischung aus positiven und kritischen Ideen für die Zukunft hinbekommen haben", erzählt Drautz, der beim Bayerischen Rundfunk arbeitet.

Bilder zur dem Klangforscherprojekt des Vaterstettener Gymnasiums vom Mediencoach Mischa Drautz

Die Zukunfts- und Klangforscher vom Gymnasium Vaterstetten sammelten viele klangliche Eindrücke, etwa vom Elektroauto.

(Foto: oh)

In ihrem Hörspiel wollen die Kinder den Zuhörern einen Einblick in das Leben des Mädchens Sky geben, 15 Jahre alt im Jahr 2067. Die Schüler arbeiten vor allem an den Hintergrundgeräuschen, um die Geschichte passend zu unterstreichen und futuristisch wirken zu lassen. "Details machen lebendig", sagt Drautz. Es wurden beispielsweise die Geräusche eines Elektroautos aufgenommen, "es hört sich ein bisschen so an wie ein Computer, der hochfährt", witzeln die Kinder. Um den laufenden Hundopus, eine Kreuzung aus Hund und Oktopus, wie sie sich eigentlich nur Genetiker mit Frankenstein-Fantasie ausdenken können, akustisch darzustellen, nahmen sie das Geräusch von Saugknöpfen in Wasser auf.

Die Kinder haben eine sehr genaue Vorstellung davon, wie ihre Fantasie-Zukunftswelt aussieht, den ersten Tag der Projektwoche, die dem Kurs zur Verfügung gestellt wurde, verwendeten sie alleine zur Ideensammlung, erzählt Drautz. "Von der Architektur bis zur Mode haben sich die Kinder genau überlegt, wie die Welt in 50 Jahren ausschaut.", berichtet Drautz weiter.

Beinahe jeder, so das Ergebnis des Brainstormings, soll in der Zukunft ein Ala im Ohr einoperiert haben, ein Gerät, das Smartphones alt aussehen lässt, denn mit Alas könne man telefonieren, Nachrichten empfangen und verschicken, Geräusche ausblenden und hinzufügen, Termine abrufen und vieles mehr, so die Beschreibung, ohne auf einer Glasschreibe herumwischen zu müssen. Allerdings gebe es dabei auch Schattenseiten, gewisse Anwendungen, welche besonders die Kinder fürchten müssen: Zum einen kann das Gerät nicht ausgeschaltet werden, darüber hinaus funktioniert es wie ein Lügendetektor und Eltern - oh Schreck! - können sich beliebig einschalten, um bei Gesprächen der Kinder mitzuhören. Sie werden zwar angekündigt, doch die Kinder können nichts gegen die Überwachung tun.

Klangforscherprojekt am Gymnasium Vaterstetten

Das Geräusch der Fahrradklingel nahmen die Zukunfts- und Klangforscher vom Gymnasium Vaterstetten ebenfalls auf.

(Foto: Stiftung Zuhören)

Außerdem soll es anno 2067 Fettpillen geben, die verhindern, dass man zunimmt, wenn man zu viel fettes Essen zu sich nimmt. Wer träumt nicht davon, unendlich viele Pommes und Pancakes essen zu können, ohne dass die Jeans klemmen? Auch die Sprache werde sich, geht es nach den Zukunftsvorstellungen der Schüler, ändern, ein extremes "Denglisch" wird dann zum neuen coolen Jugendslang: "Helley Omi, yo, alles well. Ich freu mich auf unser Meet".

Wie viele Gedanken sich die Schüler zu ihrer Geschichte gemacht haben, wird besonders deutlich, als sie erklären, dass auch der Name der Hauptperson mit viel Mühe erdacht wurde. Es musste aufgrund der neuen Sprache und der vereinfachten Lebensweise ein kurzer, englischer Name sein, daher entschieden sie sich für Sky - das englische Wort für Himmel also. Und auch die kleinsten Hintergrundgeräusche wurden mehrmals überdacht, zum Beispiel, ob eine raschelnde Bettdecke in Zukunft anders klingen wird als heute, oder welches Geräusch das Öffnen des Kühlschranks macht. Der heißt im Jahr 2067 übrigens "universal food-maker", bereitet Speisen zu und bestellt Lebensmittel automatisch nach. "Soll er quietschend aufgehen oder surrend?", fragt ein Mädchen in die Runde. Wobei quietschen eindeutig zu den hoffnungslos altmodischen akustischen Signalen gehören dürfte.

Skys Oma, das ist die jetzige junge Generation in 50 Jahren; sie ist komplett überfordert mit der modernen neuen Technik und beharrt stur auf ihrer Meinung, früher sei alles besser gewesen - das also wird nicht viel anders sein als heute. Im Hörspiel gehen Sky und ihre Oma auch mal ins Deutsche Museum, in dem sie dann veraltete Technik wie etwa das iPhone 14 plus bewundern, und zumindest Sky sich vermutlich fragt, wie man damit bloß überleben konnte. Damit man den Trubel und das Stimmengewirr im Museum auch hört, laufen vier Mädchen aus dem Wahlkurs in der Pause möglichst unauffällig mit ihren Aufnahmegeräten durch die Gänge. Zudem soll noch, ganz seriös, ein Experteninterview mit einem Physiker in das Hörspiel eingebaut werden.

Klangforschergruppe am Gymnasium Vaterstetten

Fantasievoll: Einen "Hundopus", eine Kreuzung aus Hund und Oktopus, können sich die Klangforscher vom Gymnasium Vaterstetten als Haustier vorstellen.

(Foto: oh)

Anfangs hatte Drautz Zweifel hatte, ob die Aufgabe nicht zu kompliziert sei für Sechst- bis Neuntklässler. Es ist schließlich schon eine Herausforderung, sich aktiv mit den akustischen Klängen aus der Umgebung auseinanderzusetzen, und sich dazu noch zu überlegen, wie sich eine künftige Klangwelt anhören könnte. Mittlerweile ist Drautz sehr positiv überrascht, "die Kinder haben super cool mitgemacht und tolle Ideen", sagt er.

Auch die Schüler scheinen zufrieden mit ihrem Skript zu sein, sie erzählen aufgeregt, dass sie noch einen Studiotag beim BR vor sich haben, um das Hörspiel komplett aufzunehmen und die Soundeffekte zu vervollständigen. Um alles futuristisch klingen zu lassen, wollen sie mit Tonhöhe und Schnelligkeit arbeiten, so sollen auch die Stimmen der Kinder glaubwürdig verändert werden und klingen wie die einer alten Frau. "Die Rollen sind allerdings noch nicht verteilt worden", berichtet Deutschlehrerin Cocron.

Die Ausrüstung, wie Aufnahmegerät, Kopfhörer und Schnittprogramme wurden vom Klangforscher-Projekt bereit gestellt, erzählte sie. Am 20. Juni wird in Frankfurt am Main entschieden, welche Schulklasse mit ihrem Hörspiel in verschiedenen Kategorien, wie zum Beispiel dem originellsten Geräusch, der spannendsten Story oder der außergewöhnlichsten Musik, gewonnen hat.

Eine wirklich originelle Idee für ein lustiges und spannendes Hörspiel, in dem schon jetzt sehr viel Kreativität und Engagement steckt. Im Juni sollten die Vaterstettener also Daumen drücken, was im Jahr 2017 auch noch ohne die Mithilfe eines "Keeping Fingers Crossed Assistant" funktionieren dürfte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: