Süddeutsche Zeitung

In Vaterstetten:Viel Licht, keine Finsternis

Mit zwei Bläser-Serenaden von Mozart bringt die "Münchner Hofmusik" das lebendige Konzerterleben nach Baldham zurück.

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Bei Auftritten vor heimischem Publikum, das kennt man aus dem Sport, spielt es sich ambitionierter, mit mehr Schwung und Mut. Das ist in der Musik nicht anders. Vor allem dann, wenn ein Ensemble nach langer Bühnenabstinenz in die Öffentlichkeit zurückkehrt. Mögen die Menschen uns überhaupt noch? Und wenn: Wie werden sie reagieren? Das mag sich auch die Münchner Hofmusik vor ihrem Konzert am Dienstag auf dem Kirchplatz vor Maria Königin in Baldham gefragt haben. Die Antwort darauf aber fiel so überzeugend positiv aus, dass eine sichtlich gerührte Irene Daxinger beim Schlussapplaus noch einmal zum Mikro griff und dem Publikum eine tiefe, verbale Verneigung entbot. Die Vaterstettener Oboistin ist mit ihrem Mann Franz, Hornist, und Organistin Beatrice Menz die treibende Kraft hinter den Gastspielen der Hofmusik und bringt damit immer wieder hochklassigen Bläserklang in den Landkreis.

Unter den positiven Antworten seitens des Publikums stach eine heraus: der Zuspruch zum Konzert an sich. Die Stühle auf dem Kirchplatz reichten bei weitem nicht aus, um die Nachfrage zu bedienen. Bis unmittelbar vor Konzertbeginn schleppten unermüdliche Helfer alles heran, was an Sitzgelegenheiten aufzutreiben war - das höchste Glücksgefühl für einen Veranstalter. Dass der offene Raum dann auch noch einige Passanten zum Verweilen im Stehen einlud, war die Krönung. Man hatte dem Motorengeräusch nach sogar das Gefühl, dass Autofahrer ihr Tempo verringerten, um ein paar Takte aufzuschnappen von den beiden Mozart-Serenaden, deren Klänge sich wie eine feine Wolke über den Aufführungsort legten. Eine Wolke mit Zauberwirkung, den Mienen und Regungen war das allenthalben anzumerken.

Zwei Bläseroktette von Mozart standen auf dem Programm, beide mit einem ausgeprägten Innenleben und mit sehr verschiedenem Charakter. Den Anfang machte die Serenade Es-Dur KV 375, eine lebensfrohe Begleiterin beim Bummel durchs nächtliche Wien. Wobei die vielen liedhaften, lyrischen Elemente mehr für pochende Herzen sprechen als für Weinseligkeit - und das herzhafte Allegro zum Ende eher nach Weckruf klingt, denn nach Betthupferl. Mitreißend und belebend dabei die packenden Dialoge der beiden "Singstimmen": Wie sich die Oboen, Sergio Sanchez und Irene Draxinger, sowie die Klarinetten, Stefan Schneider und Oliver Klenk, die Melodien zuspielten und sich gegenseitig aus der Reserve lockten, hätte auch jedem Hoagarten oder einer Jamsession gut angestanden. Obwohl streng in Noten gefasst, hatte ihr Spiel jenen improvisatorischen Touch, der die überraschenden Wendungen des Komponisten das Ohr kitzeln lässt. Dass die beiden Instrumenten-Gruppen von der Aufstellung her die Außenflügel einnahmen, machte das Hin und Her und Miteinander umso packender. Nicht, dass die beiden Hörner, Franz Draxinger und Wolfram Sirotek, oder die beiden Fagotte, Ruth Gimpel und Cornelius Rinderle, nur Begleiterscheinungen gewesen wären; vielmehr fiel ihnen die tragende Rolle zu, sie waren das Fundament für die Lüftlmalerei der hohen Stimmen. Sie lieferten in den beiden feinsinnigen Menuetten des fünfsätzigen Opus nachdrücklich den Beleg dafür, wie akkurat Mozart diese Komposition angelegt hat, eine anspruchsvolle Bewerbungsmusik beim Kaiser.

Für zusätzliche Spannung sorgte in der Hofmusik-Interpretation die rhythmische Mitte des Ensembles: Tatjana Erler mit dem Kontrabass erweiterte die Gruppe zum Nonett - ein verführerischer Gedanke dies, mit dem süffigen Klang des Streichinstruments die Bläsertöne abzurunden. Auf diese Weise kommt ein wohliges Dunkel in die "Nacht"musik, ohne dass es völlig finster würde.

Es ist dann auch genau diese Wirkung, die dem zweiten Stück des Abends zugute kommt, der c-moll-Serenade KV 388, die zwar als "Nachtmusique" apostrophiert ist, aber wenig von der Leichtigkeit ihrer Schwester mitbringt. Mit sinfonischer Strenge dekliniert Mozart hier Kanon und Fuge - was von den Bläsern maximale Aufmerksamkeit erfordert, den Zuhörern aber maximales Staunen beschert. Darüber, welch gewagte Figuren im Wechselspiel hörbar werden, darüber, wie weit sich der Komponist von spielerischer Leichtigkeit entfernen kann, um Motive mit dem Diamantschneider herauszuarbeiten, und darüber, mit welcher Gelassenheit und selbstverständlicher Akkuratesse die Hofmusik diese Herausforderung meistert.

Dass dazu das Echo aus dem Publikum, diese mit Händen zu greifende, sprachlose Faszination, ihren eigenen Oberton beiträgt, motiviert das Ensemble spürbar. Ein Heimspiel also? Ja, aber eines, das für kurze Zeit aus dem lebendigen Erleben heraus ein eigenes Zuhause schafft, in dem einige Handvoll wirklich Glücklicher wohnen.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2021
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