Traditionelle Wirtshäuser:Die Keimzelle

Lange bevor die Gemeinde Vaterstetten gegründet wurde, existierte die Alte Post in Parsdorf. Dass es die Kommune heute überhaupt gibt, hat mit diesem alten Wirtshaus zu tun

Von Wieland Bögel

Kirche, Rathaus und Wirtschaft, die drei bilden traditionell das Zentrum einer bayerischen Ortschaft. In Parsdorf - heute ein Gemeindeteil von Vaterstetten - ist das nicht anders. Dass es neben Wirtshaus und Kirche auch ein Rathaus gibt, liegt daran, dass bis vor 43 Jahren Vaterstetten ein Gemeindeteil von Parsdorf war. Die Verwaltung ist bereits zehn Jahre zuvor ausgezogen, das alte Rathaus also lange keines mehr. Fast wäre auch der Alten Post ihre ursprüngliche Nutzung abhandengekommen, gut sechs Jahre ist es nun her, dass das Bangen um den Fortbestand der Tradition begann.

Die besteht so lange, dass gar nicht mehr bekannt ist, wann sie überhaupt begonnen hatte. Mindestens jedoch seit 577 Jahren: Wie Karl Müller in seinem 2018 erschienenen Bildband über die Geschichte des Wirtshauses schreibt, ist im Herdstättenverzeichnis aus dem Jahr 1443 für Parsdorf eine "Tafern", also eine Taverne vermerkt, deren Betreiber ein "Seldner" gewesen sei - wohl von "Seld", dem alten Wort von Herberge, abgeleitet. Offenbar wurden also bereits Mitte des 15. Jahrhunderts in Parsdorf sowohl Speis und Trank ausgegeben als auch Zimmer für die Nacht vermietet.

Bei der Sanierung vor drei Jahren stieß man auf den Teil einer Mauer, welche ebenfalls in die Zeit zwischen Mittelalter und Neuzeit verweist. Die verwendeten Ziegel besitzen eine Besonderheit: eine Rille auf der Außenseite, die mittig, aber nicht über die gesamte Länge verläuft. Laut Thomas Aumüller vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, der die alte Bausubstanz bei der Sanierung begutachtete, handelt es sich dabei um einen Typ Ziegel, der speziell in München und Umgebung im 14. und 15. Jahrhundert verwendet wurde. Ganz ähnliche Ziegel sind auch in der Nikolauskirche nebenan verbaut, die laut ihrem Schluss-Stein im Jahr 1457 fertiggestellt wurde.

Es gibt aber Hinweise, dass es in Parsdorf schon weit länger sowohl eine Kirche als auch ein Wirtshaus gegeben hatte. Müller zitiert ältere Urkunden, die einen Mesner von Parsdorf erwähnen. Zudem führte durch den Ort eine wichtige Straße, auf der viele Reisende unterwegs waren - die ja auch irgendwo essen und schlafen mussten.

Dass sie dies in Parsdorf taten, dafür könnten ausgerechnet die Ziegel in Kirche und Wirtshaus ein Indiz sein: Möglicherweise hatte die "Tafern" so viel Wohlstand in den Ort gebracht, dass man sich einen Neubau sowohl der Kirche als auch der Wirtschaft leisten und dafür auch noch teure Ziegel verwenden konnte.

Dass diese überhaupt wieder ans Licht kamen, ist gewissermaßen das vorletzte Kapitel der jüngeren Geschichte der Alten Post. Diese beginnt im Jahr 2014, als die Wirtschaft quasi über Nacht geschlossen wurde. Zunächst war von Baumängeln die Rede, später von Differenzen zwischen der Eigentümerin, der Katholischen Kirchenstiftung der Kuratie Neufarn, und dem Pächter über die Kosten einer möglichen Sanierung. Zwischenzeitlich bestand sogar die Befürchtung, dass das Gasthaus an einen Investor verkauft werden könnte, der das historische Gebäude abreißen und auf dem Grundstück ein Wohngebiet errichten könnte. Ein Szenario, das den Parsdorfern nicht sehr behagte, um es vorsichtig auszudrücken. Ein Verein zur Erhaltung der Alten Post wurde gegründet, der bald 187 Mitglieder zählte.

Auch Vaterstettens damaliger Bürgermeister Georg Reitsberger setzte sich dafür ein, dass das alte Wirtshaus erhalten bleibt. Denn es ist gewissermaßen die Keimzelle der Gemeinde. Diese entstand offiziell am 26. Juni 1818 wegen der Wirtschaft, genauer der Posthalterei. Seit dem Jahr 1691 verkehrte die Postkutsche zwischen Wien und München auf der sogenannten "Oberen Wiener Route", die durch Parsdorf führte. Dies tat sie noch ziemlich lange, auch nach der Ära der Postkutschen führte die B12 als wichtige Ost-West-Verbindung quasi hinter der Alten Post vorbei, bis 1989 die A94 eröffnet wurde. 171 Jahre und fünf Monate zuvor wurde im Zuge der Gebietsreformen des neuen Königreiches Bayern die Ortschaft Parsdorf zum Gemeindesitz der neuen Kommune ernannt, die heute den Namen Vaterstetten trägt. Das Wirts- war noch lange Zeit das Rathaus: Auch nachdem 1927 die Gemeindekanzlei, das alte Rathaus, direkt nebenan gebaut wurde, trafen sich die Gemeinderäte zu ihren Sitzungen meist in der Post. Erst 1970 mit dem Bau des heutigen Rathauses in Vaterstetten samt Sitzungssaal änderte sich dies.

Ausflugsziele

Auch wenn Parsdorf nicht mehr komplett von dichtem Forst umgeben ist, wie in früheren Jahrhunderten, ist der Wald für diesen Teil der Region immer noch prägend. Wer mehr über dieses einzigartige Ökosystem erfahren möchte, kann dies im Walderlebnispfad im Parsdorfer Hart an der Verbindungsstraße zwischen Baldham-Dorf und Purfing tun. Dieser ist etwa drei Kilometer lang und für Besucher jeden Alters geeignet. Wer es lieber sportlicher mag, kann sich im Vaterstettener Kletterpark an der Ottendichler Straße in die Wipfel schwingen - wegen Corona allerdings nur nach vorheriger Buchung unter www.muenchner-wald.de. Auch für den ebenfalls nicht weit entfernten Poinger Wildpark gibt es Karten derzeit nur online und zwar unter www.wildpark-poing.de. Wer dagegen mit Wald, Tieren und Sport weniger am Hut hat, kann sich im Parsdorfer Gewerbegebiet mit Shopping im Outlet-Center oder dem Möbelhaus vergnügen. Aber Obacht: Wer Geldbeutel oder Kreditkarte zu oft zückt, muss sich anschließend vielleicht die Spezialitäten in der Alten Post verkneifen. Wieland Bögel

Reitsberger ist es unter anderem auch zu verdanken, dass man zwei Jahrhunderte später am "Geburtsort" den runden Jahrestag feiern konnte. 2016 kaufte die Gemeinde das Gasthaus von der Kuratie für 850 000 Euro, um es einige Monate später für den gleichen Preis weiterzuverkaufen. Neue Eigentümer wurden Karl, Rosi und Heidi Müller aus Parsdorf. Karl Müller war zuvor als ehemaliger Kirchenpfleger der Kuratie auch für die Post zuständig und kannte das Haus gut. Im Herbst 2017 begann die Sanierung, im Zuge derer die Alte Post nicht nur ein neues Dach, sondern ein völlig neues Innenleben erhielt. Trotz einiger Unvorhersehbarkeiten, die Müller in seinem Buch ausführlich beschreibt, wurde das alte Wirtshaus in Rekordzeit renoviert, sodass im Juni 2018 Eröffnung und Gemeindegeburtstag gefeiert werden konnten.

Tatsächlich scheint die Aufregung eine gewisse Konstante des altehrwürdigen Gasthauses zu sein. Bereits mehrmals stand seine Existenz auf der Kippe. Etwa Ende der 1970er Jahre: Damals war das Gasthaus in keinem guten Zustand mehr, der Saal war wegen Einsturzgefahr gesperrt worden, und, wie Müller in seinem Buch berichtet, das ganze Gebäude war von Ratten bewohnt. 1978 kaufte die Kirchenstiftung das Haus, Anfang 1981 begann die Renovierung, an der sich viele Parsdorfer tatkräftig beteiligten: Ehrenamtlich schufteten sie auf der Baustelle, im Juli konnten sie Einweihung feiern.

Knapp 200 Jahre zuvor fiel die Post zumindest teilweise dem großen Dorfbrand zum Opfer, Spuren davon fanden sich bei späteren Renovierungen sowohl in der Kirche als auch in der Wirtschaft. Doch auch 1783 haben die Parsdorfer, wie in späteren Jahrhunderten, ihre Post wieder aufgebaut, wie es sich für ein Ortszentrum eben gehört.

Zur SZ-Startseite
Wirtshausserie - Parsdorf

Alte Post in Parsdorf
:Tradition verpflichtet

Der Wirt will dem Stil des Hauses gerecht werden, das merkt man auch an der Speisekarte

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: