Urlaubspfarrerin:In Paulus' Geiste

Eine Theologin berichtet beim Grafinger Ökumene-Abend über ihre Jahre in Polen und Italien

Von Thorsten Rienth, Grafing

Ein Halb-halb-Leben sei es, ein Dasein und Wegsein, ein Kommen und Gehen, aber am Ende oft ein Wiederkommen. Bei der Münchner Pfarrerin Elisabeth Schneider-Böklen war es zuerst im österreichischen Zell am See so, dann im polnischen Giżycko und auch im italienischen Lazise am Gardasee. Seit über zehn Jahren ist sie zusammen mit ihrem Mann Herbert Schneider, einem katholischen Theologen, als Urlaubspfarrerin unterwegs.

Reisen, Pilgerwege, die Paulus-Briefe, die Berichte von Begegnungen, von bislang gänzlich Unbekanntem und vor allem von der Quintessenz daraus - irgendwie gehöre das doch alles zusammen, erzählte Schneider-Böklen am Mittwoch beim Grafinger Ökumeneabend. Im Drei-Wochen-Rhytmus plant die evangelische Landeskirche in Bayern die Urlaubspfarrer-Schichten. Es gibt gar eine Sachbearbeiterstelle, die allein für die Koordination von Pfarrern zu Urlaubspfarreien zuständig ist.

"Zur Hälfte als Pfarrer und Seelsorger da sein, zur anderen Hälfte Urlaub machen", beschrieb es die Münchnerin. Natürlich sollte die erste Hälfte überwiegen. Was aber in der Praxis nicht allzu schwer sei. Das Kennenlernen, das Herantasten an das, was für Urlauber vielleicht von Interesse sein könnte, brauche Zeit.

"Sie können ja nicht einfach irgendwo hingehen und sagen: Hallo, ich bin jetzt da und habe diesen und jenen Plan." In Giżycko in den Masuren zum Beispiel, von München aus mehr als eine Tagesreise entfernt, habe sie schnell gelernt "mein Oberlehrertum etwas zurückzuschrauben". Über Jahrhunderte konnte sich die Kirchengemeinde in Giżycko entwickeln. Sie gehört zu den ganz wenigen evangelischen Kirchen in Polen, die seit der Reformation stets evangelisch blieben. "Denen brauchen Sie nichts zu erzählen."

Viel von der seelsorgerischen Arbeit sei in Ostpreußen ohnehin vorbestimmt. Das hängt mit Geschichte der Region des polnischen Nordosten und dem sogenannten Heimweh-Tourismus zusammen: "Leute aus Deutschland kommen, weil sie die Kirche sehen wollen, in der vielleicht ihre Eltern getraut worden sind oder interessieren sich für das Taufbecken, in dem ihre Großeltern getauft wurden", erzählte Schneider-Böklen. "Die Kirche liegt außerdem mitten im Ort - da mache ich mich doch schlau, und biete Führungen an."

Im nächsten Jahr kamen die Schneiders wieder, im übernächsten auch. Um sich im Kontakt mit der lokalen Bevölkerung leichter zu tun, lernten sie das Jahr über gemeinsam Polnisch in der Abendschule. Erst nach dem siebten Sommer führte sie das Leben woanders hin. Die Enkelkinder waren da, der Gardasee von München aus in nur ein paar Stunden erreichbar.

Was die Stellung der Kirche angeht, da trennen die beiden Länder Welten: In Polen sei die Kirche ein staatlich-gesellschaftlicher Akteur, an dem kaum etwas vorbei führe. "Unsere Kirche in Italien, obwohl aus dem achten Jahrhundert, gehört dagegen zu gar keiner kirchlichen Organisationsform", erzählte Schneider-Böklen. Sie sei nebenher von der Gemeinde mitverwaltet worden. "Einfach mal die Touristen zum Abendgebet einladen, das war schon leicht illegal. Das hätten wir anmelden müssen, erzählte man uns später."

Herzlich aufgenommen worden sei sie dennoch überall, fasste die Münchnerin am Ende zusammen. Nur einmal hätte es Beschwerden gegeben. "In Polen hat sich jemand beklagt, dass wir in der Kirche für die Arbeitslosen gebetet haben." Die machten in der Gegend damals immerhin 20 Prozent der Bevölkerung aus. "Aber der Mann war der festen Überzeugung, dass sie vor allem faul seien - und man deswegen nicht für sie beten müsste." Reibungspunkte als Horizonterweiterung - in Paulus' Sinne wäre das jedenfalls.

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