Unterwegs mit Bürgermeister Walter Brilmayer:"Er erhob sich, als ich eintrat"

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Olaleye Akintola interviewt Ebersbergs Bürgermeister Walter Brilmayer bei einer Tasse Kaffee. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

SZ-Kolumnist Olaleye Akintola, der in Nigeria politisch verfolgt wurde, wohnt seit einem Jahr in Ebersberg. Einen Tag lang begleitete er Bürgermeister Walter Brilmayer - und staunt über Pressefreiheit und Paläste für Kinder.

Von Olaleye Akintola, Ebersberg

Ich wollte immer schon einen Politiker treffen, dem ich meine Fragen ohne Furcht vor Konsequenzen für meine Karriere oder mein Leben stellen kann. Aus der Feder eines Reporters mag das seltsam klingen, aber in Nigeria ist das Journalisten-Dasein nun mal ganz anders als hier in Deutschland, nicht so frei, weniger gesundheitsfördernd.

Ich war nervös vor diesem Termin mit Walter Brilmayer, ich wollte diese Chance, jetzt wo sie endlich da ist, nicht vermasseln: Ein Bürgermeister, der einen Journalisten empfängt, einen Störenfried oder Feind, wie nigerianische Politiker sagen würden. Um 8.30 Uhr war es soweit und ich öffnete die Tür des Ebersberger Rathauses.

Jetzt hatte ich diese seltene Chance, endlich meine Fragen loszuwerden - Fragen, die nicht nur mich betreffen sondern viele der 200 Flüchtlinge, die derzeit in der Stadt wohnen. Fragen, wie es weitergeht, wo man eine Wohnung finden kann, wenn es tatsächlich klappen sollte mit dem Asylantrag. Gerade hier, wo es nur so wenig Wohnraum gibt.

Klar, ich bin nicht nur Journalist, für die meisten bin ich wahrscheinlich in erster Linie ein Flüchtling, und natürlich sind Themen, die für andere Flüchtlinge wichtig sind, auch für mich wichtig. Nur ein Verrückter kann seelenruhig ins Bett gehen und einschlafen, wenn sein Hausdach brennt.

In einem nigerianischen Politiker-Büro wäre man von Bewaffneten umringt

Welch eine Wohltat: Hinter der Rathaustür hielt mich niemand zurück und niemand wollte meinen Ausweis sehen. Walter Brilmayer wartete bereits in seinem Büro auf mich, die Sekretärin bat mich mit einem Lächeln herein, keine Papiere, keine Sicherheitskontrolle. Brilmayer trug ein Jackett, er erhob sich als ich eintrat, bot mir Kaffee an und dann einen Stuhl, den mit dem weichen Polster. Stünde ich in einem Büro eines nigerianischen Lokalpolitikers, wären wir jetzt längst von bewaffneten Sicherheitsleuten umringt, als Journalist ist man solche Empfänge dort gewöhnt.

In Brilmayers Büro stand niemand um uns herum, und so konnte ich gut erkennen, wie schlicht er sich eingerichtet hat, fast wie eine Stube, wie man sie in Bayern häufig sieht. Brilmayer wird nachgesagt, dass er sehr volksnah sei, sich dafür interessiert, wie es den Menschen in seiner Stadt geht. Demnach müsste er sich auch für mich und meine Belange interessieren. Vielleicht aber auch nicht, als Asylbewerber bin ich schließlich dem Landratsamt zugewiesen. Diese Frage galt es zu klären.

Auch wenn Brilmayers Foto manchmal in der Zeitung ist, so hatte ich aus irgendeinem Grund ganz etwas anderes erwartet. Beim Gedanken an einen Politiker in seiner Position habe ich noch immer einen überfütterten Mann mit einem dicken Bauch vor mir, mein Bild des nigerianischen Parade-Politikers, viel Komfort, üppige Speisen, finanziert durch einen Staatsapparat, der mit Eritrea und Syrien um die Krone der korruptesten Länder der Welt konkurriert.

Deutschland hat in diesem Ranking kaum Ambitionen, stattdessen kommen hier viele zusammen, Geflüchtete und Vertriebene. Ebersberg betreibt einen erheblichen Aufwand, um Menschen wie mir zu helfen, dass die Bande zwischen Einheimischen und Asylbewerbern gestärkt werden, dafür helfen vor allem Freiwillige. Ihr Ziel ist, dass Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsgenehmigung eine eigene Wohnung finden - nur: Wie soll das geschehen? Hier, im Herzen jenes Landkreises, der schneller wächst als jede andere Region in Bayern?

Walter Brilmayer bemüht sein bestes Schulenglisch

Der Bürgermeister spricht gestenreich, mit wachen Augen, ihm liegt was an dem Thema, ganz offensichtlich. "Die 200 Asylbewerber wohnen alle an unterschiedlichen Orten", sagt er, das helfe, damit sich die Zugezogenen mit den Eingesessenen mischen. Viele Freiwillige von der Kirche und vom Helferkreis würden unermüdlich dafür arbeiten, damit Asylbewerber sich in ihrer Umgebung einleben können, sagt Brilmayer, er zieht eine positive Zwischenbilanz: "Wir haben unter Flüchtlingen bisher keine Fälle von Protesten oder Vandalismus zu verzeichnen."

Das Interview findet nicht auf Deutsch statt, Brilmayer bemüht sein bestes Schulenglisch. Welche Herausforderungen stehen der Stadt demnächst bevor? Bei dem Wort "Challenges" beugt sich Brilmayer mit großen Augen zu mir, vielleicht ist es mein süd-west-nigerianischer Dialekt, oder Brilmayers Englischunterricht ist schon zu lange her. Brilmayer bittet die Sekretärin um Übersetzungshilfe. Damit mir das Interview nicht entgleitet, versuche ich es mit dem Begriff "Problems" zu retten - dieses Wort klärt das Missverständnis.

Das mit den Deutschkursen sei nicht immer optimal, sagt Brilmayer, er verweist auf die Kurse an der Volkshochschule, und dass es eine gute Anzahl an Helfern gebe, die sich darum bemühen, dass Flüchtlinge Deutsch lernen. Und noch einen Tipp habe er, das dürfe man nicht unterschätzen. Besonders effektiv zur Sprachförderung seien Sportkurse und Vereine, "da bekommt man schnell das Gefühl, dass man dazugehört", sagt Brilmayer - ein Plädoyer für den Sport, da müsse man zusammenhalten. Seine Leidenschaft, sagt Brilmayer, das sei die Bergsteigerei.

Die Kindergärten sind wie Paläste

Schon seltsam, wie die Bayern ihre Freizeit verbringen, in Nigeria besteigt man Berge nur, wenn man zu Gott betet und möglichst nahe dran sein will. Brilmayer ist auch nah dran, vielleicht an Gott, vor allem aber an den Leuten: An diesem Vormittag besucht er die jüngsten Bürger der Stadt.

Vom Büro aus starten wir zu seinem ersten Außeneinsatz an diesem Tag, einem Rundgang durch zwei Ebersberger Einrichtungen für Kinder. In der "Arche" unweit der Kreisklinik muss ein Walter Brilmayer sich nicht mit Namen vorstellen, die Kinder kennen sein Gesicht längst, sie interessierten sich vor allem dafür, dass der Bürgermeister seine Bürgermeisterkette mit dem stählernen Stadtwappen vorne drauf mitgebracht hat. Wenn man die Kette schon mal in die Hände nehmen darf, dann muss man die Gelegenheit nutzen.

Wie hier fiel mir auch bei unserer zweiten Station, dem katholischer Kindergarten "St. Benedikt", auf, wie gut ausgestattet die Zimmer sind. Stühle und Tische allesamt kindgerecht, die Kanten rund geschliffen, sodass man sich nicht so leicht verletzt. Die Toiletten sind sondergefertigt und blitzen so sauber, als ob sie noch nie benutzt wurden - vielleicht der Bürgermeistereffekt, aber sonderlich dreckig können sie nicht gewesen sein.

Wenn man nach einer schlaflosen Nacht in meiner Gemeinschaftsunterkunft in der Wasserburger Straße aufsteht und dann diese Kindergärten betritt, dann fühlt sich das an als ob man sich in Palästen wiederfindet. Die Kinder sind die Könige und ihre Vasallen haben einen Namen, den es im englischen nicht gibt - irgendwas zwischen Babysitter und Lehrer. Kein Wunder, dass Kindergartenplätze so begehrt sind.

Nostalgie kommt da bei einem bürgerlichen Nigerianer nicht gerade auf, ich selbst habe nie einen Kindergarten besucht, und kenne keinen, der es soweit gebracht hat. In Nigeria ist dieses Privileg der Oberschicht vorbehalten, und selbst dann sind die meisten Kindergärten ähnlich heruntergekommen wie die demolierte Inneneinrichtung nach einer Schlägerei in der Plieninger Traglufthalle.

Und so inspirierend und friedlich dieser Vormittag mit dem Bürgermeister auch war: In diesem Moment wünschte ich mir, hier nicht als ausgewachsener Reporter zu stehen, sondern als kleiner Bub, der die Bagger in der Spielzeugecke ausprobieren darf.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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