Unterrichtsfach Hauswirtschaft:Lebensgefahr am Bügelbrett

Lehrerin Herma Schlömer geht nach 42 Jahre in Pension - ihr Schulfach hat sich grundlegend geändert.

Oliver Hollenstein

Herma Schlömer schließt kurz die Augen, atmet einmal tief durch und blickt dann mit hochgezogenen Augenbrauen in die letzte Reihe. "Nils, bitte!" Nils, der nur in der Zeitung so heißt, geht in die erste Klasse der Vaterstettener Grundschule in der Gluckstraße. Und während seine Mitschüler Masken aus Pappe basteln, wälzt sich Nils lieber auf dem Boden.

Als Herma Schlömer 1970 zum ersten Mal vor einer Klasse stand, war sie Lehrerin für Handarbeit und Hauswirtschaft. An diesem Dienstag wird sie zum letzten Mal unterrichten - und damit nicht mehr Lehrerin für Ernährung und Gestaltung sein, wie es heute offiziell heißt. Wohl kaum ein Fach hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so verändert wie die Hauswirtschaftslehre, weil es "nicht mehr nur um Kochen, sondern auch um Teambildung geht", wie Herma Schlömer erzählt. Und Bügeln, Nähen und Socken stricken, lernen die Schüler auch nicht mehr.

Ihr mache der Job immer noch Spaß, sagt Herma Schlömer. Aber mit 62 Jahren fehle ihr manchmal einfach die Gelassenheit. "Ich fühle mich nicht mehr wie eine Lehrerin, sondern wie eine Dompteurin." Die meisten Kinder könnten nicht mehr still sitzen. "Dauernd macht einer Unsinn. Das bringt mich an den Rand meiner Kräfte. Ich will gar nicht streng sein und muss trotzdem dauernd schimpfen." Trotzdem: Früher sei zwar vieles anders, aber bestimmt nicht alles besser gewesen.

Das größte Problem heute seien die großen Klassen, sagt sie. "Früher wurden Buben und Mädchen getrennt unterrichtet und ich hatte maximal 15 Kinder in der Klasse." Heute sei kaum noch eine Klasse kleiner als 25 Schüler. "Da ist es einfach unmöglich, auf jeden einzugehen." Daher sei es heute auch nicht mehr möglich, mit den Kindern Socken oder Mützen zu stricken, was früher üblich gewesen sei. "Dafür haben wir zum einen zu wenig Zeit, zum anderen habe ich einfach nicht die Gelegenheit, bei jedem Einzelnen zu schauen, ob er es richtig macht." Statt Socken oder Mützen würden heute "höchstens kleine Teddybären" gestrickt.

Aber die Schüler haben heute nicht nur weniger Unterricht in Werken und gezwungenermaßen weniger Aufmerksamkeit vom Lehrer, "sie haben auch ganz andere Talente", sagt Schlömer. "Wenn ich versuche, einer sechsten Klasse Stricken beizubringen, ist das wirklich schwierig. Die können das feinmotorisch nicht." Die Elternhäuser würden offenbar auf andere Dinge Wert legen. "Früher haben alle Schüler zuhause Bügeln gelernt. Wenn ich die Kinder heute ihre bedruckten Taschen bügeln lasse - das ist wirklich lebensgefährlich."

Aber natürlich könnten die Kinder heute auch vieles besser als ihre Vorgänger, sagt Schlömer. "Sie wissen viel mehr, weil sie selbstständig im Internet recherchieren. Überhaupt sind sie viel selbstbestimmter, dürfen entscheiden, was sie machen und was nicht." Das werde auch im Unterricht gefördert. "Meinen Job macht das schwieriger, weil ich den Kindern immer etwas bieten muss."

Das wird immer schwieriger, findet Herma Schlömer. Und das ist deshalb nun auch der Grund, warum sie in Altersteilzeit geht. Ganz aufgeben will sie ihren Job aber nicht. "Ich möchte ab und an Projekte machen", sagt sie und hat mit dem 1970er-Jahre-Bau der Grundschule schon ein Ziel: "Wir haben in den vergangenen Jahren Teile der Schule mit Künstlern und Schülern freundlicher gestaltet. Aber da gibt es noch viel zu tun."

Doch zunächst kommt der Abschied. Der naht auch für Nils und seine Mitschüler in der ersten Klasse an der Gluckstraße. "Frau Schlömer, meine Mama hat gesagt, du gehst in Rente", sagt ein kleines Mädchen. "Oh schade", rufen ihre Banknachbarinnen. "Ich darf jetzt ausschlafen", ruft Herma Schlömer zurück. Dann verabschiedet sie an der Tür jedes Kind einzeln. Als letzter ist Nils an der Reihe. "Entschuldigung", sagt der Kleine und schaut seine Lehrerin mit großen Augen an. Herma Schlömer lacht, beugt sich zu dem Erstklässler und flüstert ihm etwas ins Ohr. Dann ruft sie ihm hinterher: "Denk darüber nach!"

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