Ungewöhnliches Hobby:Großes ganz klein

Ludwig Deuringer aus Forstinning baut Schiffe und Türme detailgetreu nach.

Von Isabel Meixner, Forstinning

Jetzt muss Ludwig Deuringer ein ruhiges Händchen beweisen: Vorsichtig fädelt er den weißen Faden mit der Pinzette durch das Loch, das er mit seinen 0,3 Millimetern Durchmesser nur unter der Lupe erkennen kann. Dann zieht er ihn straff - nicht zu fest, sonst geht etwas kaputt - und klebt ihn mit ein bisschen Leim an. Während der Kleber trocknet, wandert der Blick zu dem Wust an Fäden, der noch vom Masten herunterhängt. Der 66-Jährige ahnt: Das wird noch eine Heidenarbeit, bis alle Seile, Netze und Wanten der "Alexander von Humboldt" gespannt sind.

Ludwig Deuringer aus Sempt ist leidenschaftlicher Bastler. In seiner kleinen Werkstatt stehen allerlei Modelle großer Schiffe und verschiedener Türme. Das stolze Fünfmastschiff "Preußen" etwa hat der Rentner bereits nachgebaut, das Passagierschiff "Bremen", ebenso den Chinesischen Turm in München sowie den alten und den neuen Ebersberger Aussichtsturm. Allein im Hausflur sind sechs Schiffe aufgebaut. Dabei arbeitet Deuringer mit sehr viel Liebe zum Detail: Die Farben der Segel sind authentisch, die Muster im Geländer der Aussichtstürme ebenso, die Menschen sind wie der Rest der Modelle im Maßstab 1:50.

Ungewöhnliches Hobby: Ebersberger Aussichtsturm in klein: Manchmal verflucht sich Ludwig Deuringer selbst für seine schier grenzenlose Liebe zum Detail.

Ebersberger Aussichtsturm in klein: Manchmal verflucht sich Ludwig Deuringer selbst für seine schier grenzenlose Liebe zum Detail.

(Foto: Christian Endt)

Vor 15 Jahren ist Deuringer unter die Bastler gegangen. Meist zog er sich, wenn er als Mitarbeiter des Forstinninger Bauhofs Feierabend hatte, zurück und tüftelte über seinen Modellen. Mittlerweile gesellt sich häufig seine Enkelin Anna dazu, die am Kindertisch neben ihm malt. Deuringer genießt die Ruhe. Acht Monate hat er am Chinesischen Turm gearbeitet, drei Jahre und neun Monate sogar an der "Preußen", die er in einer Glasvitrine präsentiert. Eineinhalb Monate, schätzt Deuringer, wird er sicherlich noch an der "Alexander von Humboldt" sitzen. Das dreimastige Segelschiff will er Mitte November bei einer Ausstellung im Forstinninger Pfarrheim präsentieren.

Was für ihn das Hobby ausmacht? Spaß jedenfalls nicht, wie Deuringer bekennt: "Spaß macht mir das eigentlich nicht so. Da ist ein wahnsinniger Ernst, weil ich genau arbeiten muss." Stolz empfindet er wohl eher, vor allem dann, wenn er an die Missgeschicke denken muss, die während des Aufbaus passieren. Einmal wickelte sich bei einem Schiff ein Faden um den Bohrer - und riss das Segel und ein Teil der Takelage herunter. Stundenlage Arbeit in Sekundenbruchteilen zunichte gemacht. Auch für den ein oder anderen Schnickschnack verteufle er sich, gibt Deuringer zu. Wenn er die Rollen für die Seile an den Segeln aus dünnem Blech biegt oder anfängt, die Netze mit einer selbstgebogenen Nadel zu knüpfen. "Das war eine Hundearbeit", sagt er und blickt auf sein Werk. "Die anderen werde ich kleben."

Ungewöhnliches Hobby: Zeitaufwendig: Allein acht Monate hat Deuringer am Modell des Chinesischen Turms gearbeitet.

Zeitaufwendig: Allein acht Monate hat Deuringer am Modell des Chinesischen Turms gearbeitet.

(Foto: Christian Endt)

Nicht nur bei den Modellen muss Deuringer ausdauernd sein. sondern manchmal auch, um überhaupt an geeignete Pläne zu kommen. Der erste Plan des Chinesischen Turms, den er von der Stadt erhalten hat, sei nicht größer gewesen als eine Postkarte. Ludwig Deuringer vergrößerte ihn, fing an, das Modell zu bauen - und stellte fest, dass entscheidende Angaben fehlten. Er fragte ein erstes Mal nach, ob er den Chinesischen Turm ausmessen dürfe. Antwort: nein. Beim zweiten Fragen hatte er mehr Erfolg. Deuringer wusste etwa, dass die Treppe nach oben hin schmäler wird. Wie sehr, fand er erst vor Ort heraus. Doch auch die Messungen waren dem Forstinninger zu ungenau: Er besorgte sich den Originalplan vom Hochbauamt. "Jetzt stimmt der Turm genau", erklärt er stolz. Selbst die 48 Lämpchen am Ende der Balken sind maßstabsgerecht. Um sie mit einem kaum sichtbaren Draht zu befestigen, hat der Rentner seinen kleinsten Bohrer verwendet, Durchmesser: 0,3 Millimeter.

Deuringer baut auch Werkzeuge neu oder um, damit er sie für seine Miniaturarbeiten verwenden kann. Zum Beispiel die kleine Kreissäge, mit der er die Schindeln für den Chinesischen Turm in eine selbstgeschnittene, millimeterdicke Holzplatte gesägt hat - 35 690 Mal für das gesamte Bauwerk. Wenn Ludwig Deuringer von seinem Hobby erzählt, fällt häufig beiläufig ein Satz wie ". . . und dann habe ich mir das Werkzeug gemacht . . .". Wie er auf die Ideen für die Werkzeuge und die Modelle kommt? "Mir fällt's so ein und dann muss ich's so machen."

Sein nächstes Projekt? Der Schiefe Turm von Pisa? Deuringer lacht. Nein, sagt er, "davon habe ich keinen Plan". In der Ecke steht schon der Bausatz für das Viermastschiff "Pamir". Und einen großen Traum will sich der 66-Jährige noch erfüllen: die Titanic zu bauen. Doch spätestens, wenn er keinen Platz mehr hat für seine Modelle, will er aufhören. "Es kommen ja noch mehr Enkelkinder, um die ich mich kümmern muss", sagt Deuringer und schaut Anna zu, die unter dem Tisch herumturnt. Ein Modell herschenken oder verkaufen würde er niemals, sagt er: "Nicht für eine Million. Da steckt viel zu viel Arbeit drin."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: