Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Ein Forum für den Wald

Zu einer Expertenrunde der "Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst" kommen 100 Zuhörer. Es geht um die Einzigartigkeit des Landschaftsschutzgebiets - Fragen zu zwei umstrittenen Projekten werden nicht zugelassen

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Nach knapp zwei Stunden wird es selbst einem Waldliebhaber zuviel der Lobhudelei für den Forst. "Mei, das hab ich doch schon gehört, stundenlang", stänkert der Mann von der Bierbank in Richtung Podium. Dort sitzen am Freitagabend drei Waldexperten, analysieren und beschreiben den Ebersberger Forst in seiner ökologischen Einzigartigkeit. Zum Frust so manchen Zuhörers: Die von vielen gefürchteten Eingriffe in Teile des Waldgebiets - eine Umfahrung und ein Windpark - sollen an diesem Abend in der Ebersberger Alm tabu sein, so hat es Kerstin Mertens, die Vorsitzende der Schutzgemeinschaft, gleich zu Beginn vorgegeben.

Dabei sind es gerade diese Themen, die mehr als 100 Zuschauer in den Saal der Ebersberger Alm gelockt haben, sie noch vor Beginn hitzig die Köpfe zusammenstecken und diskutieren ließen. "Wir wollen keinen Aufruhr", erklärte Mertens, die selbst am Waldrand wohnt, nach der Veranstaltung - und dass man die beiden Projekte in einer Veranstaltungsreihe einzeln mit jeweiligen Experten behandeln wolle - "auch mit der Gegenseite." So blieben die beiden umstrittenen Projekte Umfahrung und Windpark am Freitagabend das unausgesprochene Thema im schwül-warmen Saal. Was Hans Kornprobst nicht daran hinderte, den Projekten immer wieder indirekt Raum zu geben. Zum Beispiel, als der pensionierte Forstmann und Sprecher des "Arbeitskreises Wald" im Bund Naturschutz in seinem Referat die vielen Katastrophen aufzählte, die der 10 000 Hektar große Wald schon verkraften musste. Raupen der Nonnenfalter, die Ende des 19. Jahrhunderts den halben Wald kahlfraßen, Kiefernspanner, Sturmschäden, Hagelschäden, Frostschäden, Bissschäden, Borkenkäfer, Windwurf. Das wiederkehrende Bild: Kahlflächen, deren Aufforstung "sehr, sehr schwierig ist." Die Botschaft: Finger weg vom Forst.

Kerstin Mertens Schutzgemeinschaft, die geladen hatte, ist ein Mosaikstein in der Interessens-Gemengelage zu den Projekten Umfahrung und Windpark: Die einen - darunter auch die Schutzgemeinschaft - wollen gar keine Eingriffe in den Wald sehen. Bei den anderen rumpelt so viel Verkehr an der Haustür vorbei, dass sie lieber gestern als heute eine Umgehungsstraße durch den Forst gebaut haben wollen. Andere befürworten einen Windpark im Forst, zu dem zur Zeit ein Gutachten erstellt wird. Zu jenen mit einer differenzierten Haltung - Umfahrung nein, Windräder ja -, gehören die Kreis-Grünen und der Ebersberger Bund Naturschutz.

Wer dem Forstmann Kornprobst am Freitagabend lauschte, konnte viel lernen. Zum Beispiel, dass der einst von Fichten geprägte Wald in den vergangenen 40 Jahren wieder heterogener und gesünder geworden, er wegen der Eingriffe aber immer noch weit weg von einem Naturwald ist, der sich selbst regulieren könnte. Sein Vortrag war eine fachliche, aber auch durchaus romantische Liebeserklärung an einen Wald, der in umweltgerechter Manier einerseits Holz liefert, aber auch Staub filtert, Arten erhält - und den Menschen ein Areal für ein erholendes "Waldbad" bietet.

Die Frage ist: Wären Umfahrung oder Windpark, also ein erstmaliges Rütteln am Landschaftsschutzgebiet seit 200 Jahren der Anfang vom Ende dieser grünen Lunge? Dass mit einem Projekt die Hemmschwelle für weitere Zerschneidungen sinkt, ist die Befürchtung der Gegner dieser Projekte. Deshalb wanderte am Freitagabend ein Zettel entlang der Biertische: "Hände weg vom Landschaftsschutzgebiet Ebersberger Forst" stand darauf - die umstrittene Petition der Schutzgemeinschaft und drei weiterer Interessensgruppen. Umstritten ist sie, weil es zunächst nur um die Umgehung ging, und später der Aufruf gegen den geplanten Windpark dazu kam. Das brachte den Urhebern Kritik ein; das Beispiel Grüne und Bund Naturschutz zeigen, dass nicht jeder, der das eine ablehnt, auch das andere nicht will.

Weil Umfahrung und Windräder am Freitagabend ja Tabu sind, sortierte Kerstin Mertens die Zettel mit den Zuschauerfragen. Die übrig gebliebenen Fragen waren allesamt Steilvorlagen für Argumente, den Forst in Frieden zu lassen. "Wie war die Stimmung, damals in den Sechzigern, als die Menschen gegen eine Ansiedlung des Cern-Teilchenbeschleunigers im Forst kämpften?", "Warum macht man heute keinen Kahlschlag mehr?", " Wie lange dauert es, bis sich der Wald von einem Kahlschlag erholt hat?" Man erfährt soviel: Die Stimmung in den Sechzgern glich einem "Volksaufstand" gegen Cern, erzählte Walter Schantz vom Kuratorium für Waldarbeit und Forsttechnik. Der ehemalige Forstdirektor Harald Loher warnte, mit einem Kahlschlag würden "die Nährstoffe im Boden ausgewaschen, die Keimlinge einziehen, lokales Genmaterial verloren." Und er erklärte, bis sich der Wald wieder generiert, "da muss man mit 80 bis 100 Jahren rechnen."

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SZ vom 24.09.2018
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