Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:"Ich gehe gerne aufs Feld, da ist es so schön leise"

Seit vier Wochen lebt Nadja Schwed mit ihrer Mutter und den beiden kleinen Söhnen bei einer Gastfamilie in Zorneding. Die große Anspannung nach der Flucht aus der Ukraine hat sich gelegt. Aber das Dauergrollen der russischen Bomben kann die 39-Jährige nicht vergessen.

Von Karin Kampwerth, Zorneding

Rhabarberkuchen. Obsttorte. Muffins. Xaver Preis, 10, hat mit seinen Freunden Vincent, 9, Amelie, 10, und Lea, 10, zum Charity-Café in den Garten der Familie Preis in Zorneding eingeladen. Der schwere Holztisch in der Küche biegt sich unter den leckeren Kuchen, die die Kinder gebacken und Freunde der Familie gespendet haben. Auf der Terrasse ist die Kaffeemaschine aufgebaut, Tassen und Gläser stehen in Reih und Glied. Die Kids haben sich Schürzen umgebunden und wuseln mit Tabletts durch den Garten, um die Bestellungen aufzunehmen. Auf einem Bistrotisch steht ein mit blauem Papier beklebter Schuhkarton. Durch den Schlitz im Deckel werden die Besucher später allerhand Geldscheine stecken, denn die Kinder sammeln für die ukrainischen Gäste der Familie Preis.

Die ersten Wochen waren schwierig. Die Kinder fieberten nahezu täglich

Daniela und Reinhard Preis haben vor vier Wochen Nadja Schwed, 39, ihre beiden Söhne Vladi, 3, und Andrii, 5, und Mutter Valentina Makukh, 58, nach deren dramatischer Flucht aus der Ukraine in Zorneding aufgenommen. Seitdem leben die vier im Kinderzimmer von Xaver, der in den Hobbyraum im Keller gezogen ist. Die ersten Wochen waren schwierig. Die Kinder fieberten nahezu täglich, auch Mutter und Großmutter wurden am Ende krank. Und dann entzündeten sich auch noch die Weisheitszähne von Nadja Schwed, sie mussten raus. Nicht zuletzt ist da die große Angst um die Ehemänner, die zurückbleiben mussten, und um Nadja Schweds Bruder, der an der Front kämpft.

An diesem Nachmittag hat man das gute Gefühl, dass sich trotz aller Sorgen die extreme Anspannung der ersten Wochen ein wenig gelegt hat. Vladi und Andrii sind endlich gesund und machen sich fröhlich über ein Osternest mit Schokoladenhasen her, das eine Besucherin für die beiden mitgebracht hat. Nadja Schwed schiebt die Sonnenbrille ins Haar und wagt ein leichtes Lächeln. "Heute Morgen und heute Mittag ging es unseren Männern noch gut", sagt sie.

Natalia Neumann übersetzt auch an diesem Nachmittag wieder eigentlich Unaussprechliches. Die Inhaberin einer Künstleragentur in Zorneding, die selber aus Odessa stammt, ist so etwas wie die gute Fee vieler Geflüchteter in der Gemeinde, sie hilft bei Behördengängen und unterstützt Gastfamilien, wo sie nur kann. Oma Valentina achtet darauf, dass die Jungs nicht die ganze Schokolade aus dem Osternest auf einmal verdrücken. Doch der Krieg ist allgegenwärtig.

Nadja Schwed erzählt, dass sie jeden Mittag mit dem Hund der Familie Preis einen Spaziergang macht. "Ich gehe gerne aufs Feld, da ist es so schön leise", sagt sie. Das Dauergrollen der russischen Bomben bekommt sie nicht aus ihrem Kopf. "Wer wissen will, wie sich das anhört, kann sich in eine Bahnunterführung stellen und warten, bis ein Zug drüber fährt", schildert Nadja Schwed die Geräuschkulisse aus ihrer Heimat. Nur dass der Zug dort kein Ende hat.

Die Familie lebt in der Nähe von Mykolajiw im Süden der Ukraine. Auf die 500 000-Einwohnerstadt, auf Charkiw und Donezk konzentrieren sich gerade die russischen Angriffe. Valentina Makukh blinzelt im kleinen Zornedinger Reihenhausgrün in die Sonne. Zuhause hat sie einen großen Garten. "Da wächst alles", sagt sie. Vor ihrem Haus steht eine mächtige Birke, deren Saft die Familie immer trinkt. Köstlich soll das sein. Und gesund. "Hoffentlich steht die Birke noch."

Eine ältere Dame kommt vorbei, nimmt Nadja Schweds Hand und drückt sie fest an sich. "Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute", sagt sie. Doch richtig antworten kann die Ukrainerin noch nicht. Die ersten Vokabeln, die sie im Deutschkurs des Zornedinger Helferkreises gelernt hat, sind: Tisch, Schrank, Stuhl. Drei Mal in der Woche geht sie in die evangelische Kirche, um die Sprache ihres Gastlandes möglichst schnell zu lernen. Bis dahin hilft Google Translate. Valentina Makukh tippt auf ihr Handy. In Mykolajiw ist es gerade sehr kalt, ist dort zu lesen. Vladi streckt seiner Oma mit schelmischem Blick die kleine Hand mit einem platten Osterhasen entgegen. Die Schokolade ist in der warmen Zornedinger Frühlingssonne geschmolzen.

Xaver und seine Freunde sind am späten Nachmittag sehr zufrieden. Der Aufwand hat sich gelohnt, die Kinder haben für Friseurgutscheine gesammelt. Valentina Makukh löst ihren gleich am nächsten Tag ein. Nadja Schwed zögert: "Ich habe mir gesagt, ich lasse meine Haare erst wieder schneiden, wenn der Krieg vorbei ist."

Die SZ Ebersberg berichtet in den kommenden Wochen regelmäßig darüber, wie es Nadja Schwed, ihren beiden Söhnen und ihrer Mutter in Zorneding ergeht.

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