Über Tabus sprechen:Blick hinter die Fassade

Häusliche Gewalt kommt in allen sozialen Schichten vor - wie eine Ausstellung in Ebersberg zeigt.

Inga Rahmsdorf

Nie hätte Ines gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte. Bei Vergewaltigung hatte die Studentin immer nur an fremde Männer gedacht - bis sie sexuelle Gewalt in der eigenen Beziehung erlebte. Die Geschäftsfrau Ivana erzählt, wie sie von ihrem Mann verprügelt wird. Die Rentnerin Klara schildert, wie ihr Mann im Alter immer schlimmer wird. Die Situationen der Frauen werden derzeit in der Ausstellung "Blick dahinter" in der Kreisklinik Ebersberg gezeigt, auf großen Bildern begleitet von Texten. An Audiostationen kann man sich zudem Zitate von Betroffenen anhören. Dass häusliche Gewalt nicht nur in bestimmten sozialen Schichten vorkommt, sondern Mädchen und Frauen quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen trifft, wird dabei deutlich.

Häusliche Gewalt gibt es auch im Landkreis Ebersberg, sagt Tanja Haffner vom Frauen- und Mädchennotruf. "Häusliche Gewalt ist kein Einzelschicksal, sondern ein gesellschaftliches Phänomen." Dreiviertel der Anrufe, die bei dem Notruf im Landkreis eingehen, würden häusliche Gewalt betreffen. Der Runde Tisch gegen häusliche Gewalt im Landkreis, zu dem der Frauen- und Mädchennotruf, Anwälte, Vertreter von Landratsamt, Polizei und Amtsgericht gehören, hat nun die Ausstellung zusammen mit einem Begleitprogramm organisiert.

Immer wieder kommen Frauen mit unspezifischen Symptomen in die Kreisklinik Ebersberg, und dann stelle sich heraus, dass sie unter Gewalt leiden, sagte Chefarzt Claus E. Krüger von der Abteilung für Psychosomatische Medizin bei der Ausstellungseröffnung am Montagabend. Gewalt beginne zudem nicht erst mit körperlicher Gewalt, sondern häufig schon früher, mit psychischer Gewalt. "Die körperliche Gewalt ist erst die Spitze des Eisbergs", sagte Haffner vom Frauen- und Mädchennotruf. Die Betroffenen brauchen Unterstützung, um sich einzugestehen, dass sie Opfer von Gewalt sind und um die Situation zu verändern, so Krüger. Denn die meisten Frauen würden die Schuld erst einmal bei sich selbst suchen. Hinzu kommt, dass viele der Opfer sich schämen, darüber zu sprechen.

Es sei kein leichtes Thema, sagte der ärztliche Direktor der Kreisklinik Hans L. Schneider, aber man müsse sich auch als Klinik solchen Themen stellen. Wichtig sei zudem die Vernetzung zwischen den vielen sozialen Institutionen und der stationären Klinik.

Runde Tische und Hilfsangebote auf regionaler Ebene würden häufig die Betroffenen am besten erreichen und am meisten bewirken, sagte Monika Schröttle, Wissenschaftlerin von der Universität Bielefeld, die bei der Ausstellungseröffnung in Ebersberg ihre Forschungsergebnisse zum Thema häusliche Gewalt vorstellte. "Das Ausmaß von Gewalt ist höher als man vermuten würde oder in seinem Umfeld wahrnimmt", sagt Schröttle. Schröttles Studie zufolge hat jede vierte Frau in Deutschland schon einmal körperliche und oder sexuelle Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner erlebt. Dass die größte Gefahr auf dunklen Straßen und von fremden Männern ausgehe, sei ein Mythos, so Schröttle. Sehr viel größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass Mädchen und Frauen zu Hause und von ihnen bekannten Personen tyrannisiert, verprügelt oder vergewaltigt werden - mit oft erheblichen körperlichen und psychischen Folgen. 58 Prozent der Frauen gaben an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Dazu zähle auch die Belästigung am Arbeitsplatz, sagte Schröttle.

Die Ausstellung "Blick dahinter" ist noch bis zum 24. Mai in der Kreisklinik in Ebersberg zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos.

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