Süddeutsche Zeitung

Trotz langem Vorstrafenregister:Therapie statt Knast

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Das Ebersberger Amtsgericht gewährt einem notorischen Kriminellen eine letzte Chance

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Termine ohne Entschuldigung ausfallen zu lassen, gilt zwar als unhöflich, ins Gefängnis kommt man dafür in aller Regel aber nicht. Anders im Fall eines jungen Mannes, den genau das auf die Anklagebank des Ebersberger Amtsgerichts führte. Eingesperrt wurde er zwar am Ende auch nicht - aber beinahe.

Die Geschichte begann im Mai vergangenen Jahres, das Drama des heute 29-Jährigen indes schon vor vielen Jahren. Der Sohn eines in Bad Windsheim stationierten US-Soldaten ist für die Justiz ein alter Bekannter. Nach der Trennung der Eltern, der Vater soll Alkoholiker und gewalttätig gewesen sein, kam der nun Angeklagte in ein Kinderheim. Einer Psychiaterin, die als Sachverständige aussagte, habe der Angeklagte erklärt, seit dem Grundschulalter Alkohol zu trinken, mit der Pubertät kamen Cannabis und Kokain dazu.

Mit 14 hatte er den ersten Gefängnisaufenthalt. Wegen Diebstählen, Einbrüchen und Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen musste er zweieinhalb Jahre hinter Gitter. Was offensichtlich wenig Eindruck gemacht hat: Weitere Verurteilungen folgten, wieder wegen Diebstahl, Einbruch und Hehlerei. Insgesamt verbrachte er vor dem 20. Geburtstag fast fünf Jahre im Gefängnis. 2011 musste er wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen - eine 14-Jährige - drei Jahre ins Gefängnis. Nach der Entlassung stand er jedes Jahr vor Gericht, wegen Drogendelikten und Körperverletzung, nach Geldstrafen folgte 2017 eine Haftstrafe auf Bewährung.

Diese war noch nicht abgelaufen, als er im Mai 2018 mit seiner Ehefrau in deren Wohnung in Poing so heftig aneinander geriet, dass die Polizei gerufen wurde. Da, so erklärten es vier an dem Einsatz beteiligte Beamte vor Gericht, sei der Angeklagte ausgerastet. Er habe seine Frau und die Polizisten beschimpft und bedroht: Er werde seine Machete holen und "ein Massaker" anrichten. Auch eine Schusswaffe könne er besorgen und "allen in den Kopf schießen", dazu machte er entsprechende Gesten. In der Polizeizelle, in der der Angeklagte nach gut zwei Stunden Einsatz dann saß, habe er weiter geschimpft und gedroht. Letztlich habe man den Mann dann nach Haar in die Psychiatrie gebracht, wo er einige Tage blieb.

Wegen des angedrohten Waffeneinsatzes durchsuchten die Polizisten die Wohnung des Mannes im Landkreis München und wurden fündig - zumindest teilweise. Echte Schusswaffen gab es dort zwar nicht, aber mehrere Schreckschusspistolen, einen Elektroschocker und ein verbotenes Messer. Im Falle des Angeklagten kommt erschwerend hinzu, dass ihm von einem Gericht vor Jahren dauerhaft verboten wurde, auch erlaubnisfreie Waffen, wie Schreckschusspistolen, zu besitzen.

Dass ihn sein Auftritt bei der Polizei und sein kleines Arsenal in Schwierigkeiten bringen kann, war dem Angeklagten wohl klar. Zudem gab es nach seiner Entlassung aus Haar Zweifel daran, ob das eine gute Idee gewesen war - und es wurde eine längere Unterbringung angeordnet. Als er das erfuhr, verschwand der 29-Jährige, auch für seine Bewährungshelferin und seinen Therapeuten. Was in seinem Fall aber ein Verstoß gegen seine Auflagen und eine weitere Straftat darstellt.

Nach einem kurzen Rechtsgespräch zwischen Richterin Vera Hörauf, Staatsanwältin und Verteidiger, konnte der seinen Mandanten zu einem Geständnis überreden. Den Verstoß gegen die Meldeauflagen gab er sofort zu. Er habe befürchtet, sofort eingesperrt zu werden, wenn jemand sein Versteck wüsste. Das allerdings nicht wirklich versteckt war, er wohnte einfach einige Wochen bei seiner Frau in Poing, bei einer Personenkontrolle wurde er dort festgenommen. Die Waffen gehörten großteils jemand anderem, der sie vor geraumer Zeit bei ihm untergestellt habe. Er selbst habe das schon völlig vergessen. Fragen konnte das Gericht den angeblichen Eigentümer indes nicht, der befindet sich in einer anderen Sache auf der Flucht. An die Ausfälle gegen die Polizisten könne er sich zwar nicht im Detail erinnern, aber vermutlich stimme das schon so. Bei den anwesenden Polizisten entschuldigte er sich, "das war nicht ich, das war meine Wut". Ein Problem, das er schon sein ganzes Leben habe - und das sich auch in der Verhandlung durch gelegentliches spontanes Geschimpfe zeigte.

Und das durch seinen Drogenkonsum nicht besser wird, wie die Sachverständige bestätigt. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Angeklagte mit dem Konsum aufhöre, eher, dass er dadurch weiter Straftaten begeht. Was dieser zumindest zum Teil bestätigte: Er habe vor der Verhandlung Drogen genommen und plane dies auch für danach. Trotzdem empfahl die Sachverständige, dem Angeklagten noch einmal eine Bewährungsstrafe zu geben. Denn er hat einen stationären Therapieplatz in Aussicht, neben seinem Drogenproblem soll er dort auch an seinem Gewaltproblem arbeiten. Auch eine Paar-Therapie ist Teil des Programms, seine Frau ist bereit, ebenfalls daran teilzunehmen, "auch wegen der Kinder", wie sie in der Verhandlung sagte.

Unter der Bedingung, dass er seine Therapie bis Ende August antritt, folgte Richterin Hörauf der Einschätzung der Sachverständigen und verurteilte den 29-Jährigen zu eineinhalb Jahren auf Bewährung. Die Therapie muss er erfolgreich abschließen, danach falls nötig auch weitere Angebote wahrnehmen und sich um einen Job bemühen. "Das ist ihre allerletzte Chance, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sonst geht es immer so weiter", ermahnte sie den Verurteilten. Der zeigte sich ebenso einsichtig, wie realistisch: "Mein Ziel ist, die Therapie zu machen - aber das wird nicht einfach."

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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