Treffpunkt in Grafing:Gegen soziale Verwahrlosung

Menschen mit einer Suchterkrankung fallen oft durch das Netz an Hilfsangeboten - zu hoch sind die Hürden, um dort anzudocken. Seit Juli gibt es bei der Caritas in Grafing die Kontakt- und Begegnungsstätte "SorgLos", die eine sehr niederschwellige Anlaufstelle darstellt

Von Johanna Feckl

Die Türe steht offen. Im Erdgeschoss des Caritas-Zentrums in Grafing ist dort, wo bislang Büros für Verwaltung und Geschäftsleitung sowie der ambulante Pflegedienst war, seit Juli die Kontakt- und Begegnungsstätte (KuB) "SorgLos" untergebracht. Es ist ein niederschwelliges Angebot für erwachsene Menschen mit einer Suchterkrankung, die dort Gestaltungsmöglichkeiten für ihren Alltag kennenlernen können - auch anonym. Und, wie der Name schon verrät: Die KuB ist ein Ort des sozialen Austauschs - etwas, das bei Frauen und Männer mit einem Suchtproblem nur allzu oft verkümmert. Es ist das neueste Projekt der Fachambulanz für Suchterkrankungen.

Treffpunkt in Grafing: Der Gemeinschaftsraum der Kontakt- und Begegnungsstätte ist bereits komplett ausgestattet.

Der Gemeinschaftsraum der Kontakt- und Begegnungsstätte ist bereits komplett ausgestattet.

(Foto: Christian Endt)

Im "Gartenhof" der Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDI) Ebersberg gibt es bereits seit gut 30 Jahren einen offenen Treff für chronisch kranke Menschen im Landkreis. Dort gibt es zum Beispiel Kultur- und Bildungsangebote, gemeinsames Essen oder Kunsttherapie. Aber er richtet sich an Menschen, die unter seelischen Belastungen leiden oder psychisch erkrankt sind. Das mag auf einige Suchtkranke zutreffen, aber eben nicht auf alle. "Ein Angebot, das speziell auf unser Klientel abgestimmt ist, gab es nicht", sagt Monika Ehrnstraßer. Sie leitet die KuB.

Treffpunkt in Grafing: Emanuel Fendl, Monika Ehrnstraßer und das restliche Team haben besonders viel Wert auf eine gemütliche Atmosphäre gelegt.

Emanuel Fendl, Monika Ehrnstraßer und das restliche Team haben besonders viel Wert auf eine gemütliche Atmosphäre gelegt.

(Foto: Christian Endt)

Das Klientel, von dem die Sozialpädagogin spricht, besteht überwiegend aus Menschen ab 45 Jahren, die alkoholabhängig sind, aufgrund ihrer Erkrankung keiner geregelten Arbeit nachgehen können und im herkömmlichen Hilfesystem gar nicht oder kaum angekommen sind. "Kommen kann zu uns aber grundsätzlich jeder, der mindestens 21 Jahre alt ist", betont Emanuel Fendl, einer von insgesamt fünf sozialpädogischen Kräften, die sich um den Treffpunkt kümmern. "Unser Hauptziel ist, einer Verwahrlosung der Betroffenen entgegenzuwirken", ergänzt Ehrnstraßer, "und zwar in psychischer, körperlicher und seelischer Hinsicht." Eine Vermittlung in eine Therapie oder gar die Bereitschaft zu einer Abstinenz sind aber keine Voraussetzungen.

Abhängigkeit oder Missbrauch

Eine Abhängigkeit von Alkohol oder einem anderen Rauschmittel besteht laut der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) dann, wenn ein starker Konsumdrang besteht, die Kontrolle darüber vermindert ist, körperliche Entzugserscheinungen, wie Zittern oder Schweißausbrüche, vorhanden sind, immer mehr getrunken werden muss, andere Lebensbereiche vernachlässigt werden, der Konsum trotz eindeutig negativer Folgen nicht gestoppt werden kann und drei oder mehr dieser Kriterien mindestens einen Monat lang oder wiederholt innerhalb von zwölf Monaten bestanden haben.

Von einem schädlichen Gebrauch oder einem Missbrauch von Alkohol oder anderen Rauschmitteln spricht man, so die ICD-Definition, wenn der Konsum eindeutig verantwortlich für körperliche oder psychische Schäden sowie negative Folgen für soziale Beziehungen ist, die Art der Schädigung klar bezeichnet werden kann, das Gebrauchsmuster mindestens einen Monat lang oder wiederholt innerhalb von zwölf Monaten bestanden hat und sofern keine oder nur bedingt Kriterien einer anderen psychischen oder Verhaltensstörung zutreffen. FEJO

"Wir kochen hier gemeinsam", sagt Brigitte Schmiederl, eine der Besucherinnen der KuB. An diesem Tag gab es Spaghetti Napoli und einen gemischten Salat. Die Suchtgeschichte der 60-Jährigen, die eigentlich anders heißt, dreht sich um Alkohol. Nur Wein, keine härteren Sachen, eine leichte Sucht also, wie sie sagt. Sie kommt einmal in der Woche hier her. Mit dem Laufen tut sie sich schwer, deshalb wird sie vom Fahrdienst von zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht. Heute ist Fendl der Fahrdienst. Wenn alles wie geplant klappt, finanziert der Bezirk künftig einen Fahrdienst mit zwei eigenen Fahrern mit. Denn nicht nur für Gbeeinträchtigte ist ein Besuch der KuB ohne Hilfe kaum möglich, sondern auch für Bewohner aus dem nördlichen Landkreis - viele der Klienten seien nicht in der Lage, diese lange Anreise mit den Öffentlichen zu bewerkstelligen, auch in finanzieller Hinsicht, so Ehrnstraßer.

Treffpunkt in Grafing: Ebenso wichtig wie eine gemütliche Atmosphäre ist den Caritas-Kräften, dass die Türe des Treffpunkts während der Öffnungszeiten immer offen ist.

Ebenso wichtig wie eine gemütliche Atmosphäre ist den Caritas-Kräften, dass die Türe des Treffpunkts während der Öffnungszeiten immer offen ist.

(Foto: Christian Endt)

Brigitte Schmiederl sitzt an der Stirnseite des langen Tisches in der Gemeinschaftsküche. "Ich finde das super hier, weil kein Zwang dahinter steht", sagt sie. Die 60-Jährige ist eine von vier Frauen und drei Männern, die im Moment in der KuB sind. Für gewöhnlich besuchen die KuB mehr Frauen als Männer. Ehrnstraßer schätzt das Verhältnis auf zwei zu eins. "Männer tun sich allgemein schwerer, sich ein Problem einzugestehen und Hilfe in Anspruch zu nehmen", sagt Fendl. Ehrnstraßer stimmt zu. Im Bereich des Betreuten Einzelwohnens (BEW), wo suchtkranke Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags in der eigenen Wohnung unterstützt werden, sehe sie oft, dass Männer zurückgezogener leben als Frauen.

Wie beinahe alle an diesem Tag ist auch Schmiederl Klientin beim BEW. So hat sie von der KuB erfahren. Genau wie Georg Lehmer, der in Wahrheit anders heißt. Der 51-Jährige sitzt neben Schmiederl. Er ist mit seiner Frau gekommen. "Hier kann ich ganz frei sein", sagt er. "Wenn ich was sagen will, kann ich es sagen - und wenn nicht, dann eben nicht." Ab und an kommt Lehmer auch alleine in die KuB, zum Beispiel wenn ihn etwas bedrückt. Dann geht er mit einem der KuB-Mitarbeiter in den Ruheraum. Zum Reden. Gegenüber des Ruheraums gibt es noch mehr Räume. Der Gemeinschaftsraum mit Sofas, kleinen Tischen und Teppichen ist bereits fertig ausgestattet. Einer von den zwei weiteren Räumen soll einmal zum Werken benutzt werden können, in dem anderen sitzen gerade zwei Männer und spielen Romé.

Dass noch nicht alles fertiggestellt ist, bewerten Ehrnstraßer und Fendl als positiv. So können die Besucherinnen und Besucher die Räume und das Programm mitgestalten, fühlen sich dadurch vielleicht verbundener mit der KuB und kommen häufiger. Wenn einmal regelmäßig 15 Leute das Angebot nutzen, möchten Ehrnstraßer und ihr Team den offenen Treffpunkt erweitern, sodass einmal bis zu 20 Menschen kommen können. Im Moment schwanken die Besucherzahlen sehr - an manchen Tagen kommen nur drei, andern anderen zehn. Und manchmal verirren sich auch Menschen versehentlich in die KuB. Wie das Ehepaar, das eigentlich wegen einer Beratung zur Pflege ins Caritashaus gekommen war. "Den beiden hat es so gut gefallen bei uns, dass der Mann bei uns geblieben ist und einen Kaffee getrunken hat, während seine Frau das erledigte, weshalb sie eigentlich gekommen waren", erzählt Ehrnstraßer. Die KuB-Leiterin fand das toll. Denn genau darum ginge es ja bei dem Treffpunkt, um Begegnungen.

Die Kontakt- und Begegnungsstätte befindet sich im Erdgeschoss des Caritas-Zentrums in Grafing, Bahnhofstraße 1. Öffnungszeiten sind montags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 14 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, alle Angebote können auch anonym genutzt werden.

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