Trans- und Homosexualität:Auszeichnung für die Akzeptanz

Preisverleihung

Die Klasse 9a mit dem Laudator, Vizebürgermeister Albert Luppert (rechts), und Klassenleiterin Marion Berberich (links).

(Foto: privat)

Eine Klasse der Mittelschule Aßling gewinnt den Michael-Schmidpeter-Preis, der an den Tod eines homosexuellen Jugendlichen erinnert. Mit Gedichten zum Thema gelingt den Schülern eine Premiere

Von Jonas Wengert, Aßling

Die Videobotschaft von Jim sei für ihre Schülerinnen und Schüler ein Highlight gewesen, erzählt Lehrerin Marion Berberich. Jim hieß früher Isabella, ein Junge, geboren im Körper eines Mädchens. Die Geschichte seiner Transsexualität verfolge die Klasse 9 a der Mittelschule Aßling in der mehrteiligen Dokumentation "Transgender - der lange Weg zum eigenen Ich" des Bayerischen Rundfunks. Ihre Eindrücke und Empfindungen aus den Filmen verarbeiteten die Schüler in Gedichten, welche dann der damaligen Partnerklasse aus der sechsten Jahrgangsstufe vorgestellt wurden. "Egal wie es für andere klingt, es ist wichtig, dass sie glücklich sind", heißt es in einem Vers bezogen auf homo- und transsexuelle Menschen. Für ihr kreatives Werben um Toleranz wurden die Jugendlichen mit dem zweiten Platz des Michael-Schmidpeter-Preises ausgezeichnet. Jim richtete einen persönlichen Dank an die Klasse und meinte, er hätte sich gewünscht, dass es so etwas auch an seiner Schule gegeben hätte, dann wäre sein Weg vermutlich leichter gewesen.

Den Stein ins Rollen brachte Klassenleiterin Berberich. Sie besuche mit jeder ihrer Abschlussklasse die HIV-Beratung von Stephan Zippel von der Uniklinik München. Dieser werbe seit Jahren für den Michael-Schmidpeter-Preis. "Bei der letztjährigen neunten Klasse hatte ich von Anfang an das Gefühl, die könnte ein gutes Projekt auf die Beine stellen", sagt Berberich. Man müsse alles tun, damit sich ein Fall wie der von Michael Schmidpeter nicht wiederhole. Obwohl sein Coming-Out von der Familie gut aufgenommen wurde, nahm sich Michael Schmidpeter 2006 das Leben. Gerade mal 17 Jahre alt, war er am Coming-out-Prozess seiner Homosexualität innerhalb der Gesellschaft verzweifelt und sah in der damaligen Zeit keine andere Möglichkeit. Seine Eltern riefen daraufhin mit Hilfe des Jugendnetzwerks "Lambda Bayern" den Michael-Schmidpeter-Preis ins Leben. Dieser wird jährlich an Schulen, die sich mit den Themen Homo- oder Transsexualität auseinandersetzen, verliehen.

"Vielleicht geht es ja einer Schülerin oder einem Schüler von mir genauso wie damals Michael Schmidpeter", meint Berberich. Dieser Gedanke sei ihr schon oft gekommen. Ausdrücke wie "Schwuchtel" würden auf dem Schulhof immer noch als Beleidigung verwendet. Zwar habe sie, so sie es mitbekam, derlei Äußerungen stets aufgefangen, im Unterricht fehlt aber oft auch die Zeit, das Thema detaillierter zu besprechen. Die Parade am Christopher-Street-Day 2018 in München sei Anlass gewesen, um sich mit der TV-Dokumentation über Transsexualität zu beschäftigen.

Aßling sei ein sehr konservatives Dorf, sagt die 35-Jährige, ihre Klasse sei der Thematik jedoch sehr offen begegnet. Jims Lebensweg sei nicht belächelt worden nach dem Motto: "Schau mal, der lässt sich umoperieren." Das gesamte Thema Sexualität sei für Jugendliche in der Pubertät ein heikles, sagt die Lehrerin. Die Neigung zum eigenen Geschlecht oder das Gefühl, im falschen Körper geboren worden zu sein, seien da zusätzliche Reizpunkte. "Ich glaube, dass sich Jungs mit dem Thema schwerer tun als Mädchen", so Berberich. Sie könne sich das mit dem Mangel an schwulen Vorbildern beispielsweise im Sport erklären. Das Klischee "schwul gleich Weichei" sei unterschwellig noch vorhanden. In den Gedichten sei der Tenor am Ende "Akzeptanz für Alle" gewesen. Es solle jeder und jede so sein können wie er oder sie ist, keine Personengruppe diskriminiert werden.

Das Projekt sei in der gesamten Schulgemeinschaft gut angekommen. "Meine Kollegen waren begeistert, dass wir uns damit beschäftigen", erzählt die Klassenleiterin. Ihre Schüler hätten sich nach den stressigen Abschlussprüfungen mit der nicht unkomplizierten Thematik auseinandergesetzt. Auch bei jüngeren Schülern der Aßlinger Mittelschule sei man mit dem Vortrag der Gedichte auf Interesse gestoßen. Auf Betreiben der Schüler habe man sich noch eine Stunde danach über die Akzeptanz verschiedener Lebensformen ausgetauscht. Berberich möchte auch schlichtes Bewusstsein schaffen. Vielleicht denke nun der ein oder andere noch einmal darüber nach, wenn ihm das Wort "schwul" in einem negativen Kontext herausrutsche.

Die Auszeichnung unterstütze den positiven Prozess zusätzlich. Aßling wurde als erste Mittelschule mit dem Michael-Schmidpeter-Preis ausgezeichnet - als Zweitplatzierter, vor einem Gymnasium und einer Realschule . "Das ist eine Bestätigung für die Schüler, dass ihre Arbeit mithalten kann", sagt Berberich. Jeder in ihrer Klasse sei durch die Ehrung und den persönlichen Gruß von Jim sprichwörtlich um einen halben Kopf gewachsen. Auch dieses Gefühl von Stolz auf die eigene Leistung trage dazu bei, dass der Gedanke der gegenseitigen Akzeptanz nachhaltig in den Köpfen verankert bleibe.

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