Spätestens seitdem das Reisen für alle komplizierter geworden ist, gelten nicht nur New York, Rio und Tokio als erstrebenswerte Urlaubsdestinationen. Dass man aber etwa in Australien, Kenia und Chile schon lange auch den Landkreis Ebersberg als Ziel auf dem Schirm hat, weiß Brigitte Binder ganz genau. Nicht nur, weil sie in ihrer gemütlichen Grafinger Ferienwohnung bereits Gäste aus den genannten Ländern begrüßen konnte, sondern vor allem deswegen, weil sie als Vorsitzende des Tourismus-Vereins einen Überblick hat über die bis zu 15 000 Übernachtungen, die vor der Pandemie jährlich bei den Mitgliedern des 1996 als Verkehrs-Verein Grafing e.V. gegründeten und später in Tourismus-Verein Grafing e.V. umbenannten TVG stattfanden.
Dass zu den Aktivitäten aber weit mehr als die Vermittlung von Zimmern, Appartements, Gästehäusern und seit diesem Jahr auch einem Tiny House gehört, wird beim persönlichen Gespräch schnell deutlich. Dazu hat sich neben Binder auch ihr Vorgänger Wolfram Staude eingefunden, zusammen mit Hans-Joachim Höhl einer der Hauptinitiatoren bei der Gründung und danach viele Jahre im Vorstand des Vereins aktiv.
Binder und Staude erinnern sich noch gut an die ersten Schritte, zu denen in Grafing neben der Errichtung eines eigenen Touristeninformationsbüros bei der Firma Urscher auch ein Wettbewerb zur Fassadengestaltung gehörte. Unter der Leitung von Anja Walz und in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz habe man die schönsten restaurierten Häuserfronten mit einem Pokal prämiert. "Wenn einer den Anfang machte, zog der Nachbar nach, um nicht alt auszusehen - deswegen ist die früher so graue Griesstraße so schön", sagt Staude und lacht.
Zu einer Zeit, in der die "Ortsverschönerung" eine große Rolle spielte, trug man zu dieser mit der Stiftung von mehr als einem Dutzend Ruhebänken bei, die sich auch heute noch in gutem Zustand an "lauschigen Plätzen und Wanderwegen rund um Grafing" befinden. Gleichzeitig profitierten davon nicht nur Einheimische, sondern auch die Nutzerinnen und Nutzer der neu geschaffenen Zimmervermittlung. "Jeder Besucher lässt täglich 80 Euro am Urlaubsort", erklärt Binder. Das errechne sich nicht nur aus dem Übernachtungsentgelt, sondern beinhalte auch die Ausgaben der Gäste an der Tankstelle, im Supermarkt oder im Restaurant, ganz zu schweigen davon, dass auch die Vermieter das Geld wieder in Umlauf brächten.
Doch wie lockt man Menschen an den Ort oder besser noch in den gesamten Landkreis? Einerseits, indem man auf Messen Präsenz zeigt, andererseits aber vor allem durch innovative Ideen. Dazu gehört die Entwicklung und Realisierung der, mit historischer Beschilderung ausgestatteten, Fernradwege "Sempt-Mangfall" (2004) und "Panoramaweg Isar-Inn" (2002), in Zusammenarbeit mit ADFC und den angrenzenden Landkreisen sowie von 14 modern ausgeschilderten Radrundwegen, die alle an einer S-Bahn-Station beginnen.
Mit dem jährlich in einer Stückzahl von 20 000 neu aufgelegten Übersichtsplan "Fernradwege im Münchner Osten" habe man seitdem Tausende von Flyer unter die Leute gebracht und dafür gesorgt, dass die Gegend vom "Noname zu einem festen Begriff für Radlfahrer" geworden sei, sagt Staude. Dazu passt ein Projekt, das sich laut Binder derzeit im Aufbau befindet und mit dem Verleih von Zweirädern aller Art zu tun hat.
Es ist die kontinuierliche Weiterentwicklung mit ergänzenden Angeboten wie diesem, die für eine ungebrochene Relevanz des Vereins sorgt - selbst heute, da die Zahl von Zimmervermittlungsportalen im Internet fast so groß ist wie die teils unliebsamen Überraschungen, die man dort bei einer Buchung erleben kann. Beim TVG hingegen werde die Qualität der Unterkünfte dadurch gesichert, dass die Mitglieder alle nach den strengen Vorgaben des Deutschen Tourismusverbands klassifiziert sind - möglicherweise auch ein Grund für die vielen "Wiederholungstäter" unter den Gästen.
Warum man gerade in der Stadt Grafing seit jeher gewohnt ist, Gäste aus aller Herren Länder willkommen zu heißen, führt Staude darauf zurück, dass die Bevölkerung nach dem Krieg zur Hälfte aus Flüchtlingen bestanden habe und sich in der "Alten Villa" ab Mitte der 50er Jahre für mehrere Jahrzehnte eine Außenstelle des Goetheinstituts befand. Und wahrscheinlich hätten sich schon damals die Auswärtigen über die zahlreichen Wegweiser des sogenannten Besucher-Informations-Systems (BISI) gefreut, entstanden vor mehr als 20 Jahren ebenfalls auf Anregung des TVG.
Ob also nun in Sachen Beschilderung, Ortsverschönerung, Messegeschäft oder tatkräftige Unterstützung und Vernetzung der in der Zimmervermittlung aktiven Mitglieder - es ist eine Menge passiert seit der Gründung. Nicht von ungefähr formuliert Staude es so: "Mehr als 25 Jahre waren wir der Motor, der den Tourismus im Landkreis vorangebracht hat."
Das werde durchaus von offizieller Seite anerkannt - sowohl von den Verantwortlichen des Landratsamts, mit denen man gemeinsam auf Messen fährt oder sich zu verschiedenen "Runden Tischen" zusammenfindet, als auch durch den Bürgermeister der Stadt Grafing. Lobend erwähnt Binder in diesem Zusammenhang das neue Büro, den Zuschuss zum aktuellen Prospekt und die generelle Offenheit für neue Projektvorschläge. Und so kann man damit rechnen, dass der Tourismus-Verein Grafing mindestens weitere 25 Jahre lang dazu beitragen wird, den "südlichen Landkreis Ebersberg zwischen München und den Alpen" zu einem weltweit bekannten und beliebten Reiseziel zu machen.