Geflüchtete:"Ich muss eine wandelnde Datenbank sein"

Geflüchtete: Janika Gaßner, seit Mai 2020 Ehrenamtskoordinatorin des Kreisbildungswerks, sagt: "Jede Situation ist neu, wir müssen uns auf sie einstellen."

Janika Gaßner, seit Mai 2020 Ehrenamtskoordinatorin des Kreisbildungswerks, sagt: "Jede Situation ist neu, wir müssen uns auf sie einstellen."

(Foto: Kreisbildungswerk/oh)

Die meisten ukrainischen Geflüchteten im Landkreis werden von Privathaushalten aufgenommen. Wie verändert das die Arbeit der Helferinnen und Helfer? Tobias Vorburg von "Seite an Seite" und Janika Gaßner vom Katholischen Kreisbildungswerk berichten.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!" Als Johann Wolfang von Goethe diesen Appell 1783 niederschrieb, ging gerade der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg zu Ende. Ob Goethe die Menschen, die in diesem Krieg kämpften, litten und flohen, sich aber auch gegenseitig unterstützten und Schutz boten, im Sinn hatte, ist ungewiss.

Gewiss ist hingegen, dass viele Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Ebersberg den Appell gehört haben und sich derjenigen annehmen, die vor dem Ukraine-Krieg geflohen sind. Von etwa 1800 Geflüchteten ist die überwältigende Mehrzahl in privaten Haushalten untergekommen. Doch welche Auswirkungen haben diese noblen Gesten auf die Arbeit derjenigen, die Geflüchtete hauptberuflich und ehrenamtlich unterstützen?

"Meine Arbeit ist schon sehr anders jetzt"

Tobias Vorburg leitet den Verein "Seite an Seite" in Markt Schwaben. Er hilft Schutzsuchenden, bürokratische Hürden zu meistern, etwa bei Asylanträgen oder der Wohnungssuche. Der Verein bietet außerdem Lernunterstützung an und ermöglicht interkulturellen Austausch.

"Meine Arbeit ist schon sehr anders jetzt", erzählt Vorburg. "Weil so viele Menschen privat untergebracht sind, ist es schwer, sie zu erreichen." Oft wisse er überhaupt nicht, wo jemand untergebracht ist. Bei zentralen oder dezentralen Unterkünften, wie sie zur Zeit der großen Fluchtbewegungen in den Jahren nach 2015 gebräuchlich waren, war das noch anders. "Da konnte man einfach anrufen und hat erfahren: Ah, der und der ist da und braucht eventuell diese und jene Unterstützung", so Vorburg.

Geflüchtete: Tobias Vorburg von "Seite für Seite" wünscht sich, dass alle Geflüchteten die Chance auf eine private Unterbringung bekommen.

Tobias Vorburg von "Seite für Seite" wünscht sich, dass alle Geflüchteten die Chance auf eine private Unterbringung bekommen.

(Foto: Christian Endt)

"Seite an Seite" hat sich darauf eingestellt, indem sie offene Sprechstunden anbieten sowie zweiwöchig stattfindende Sonntagstreffs. Beide Angebote würden "gut angenommen", sagt Vorburg: "Die Sonntage sind immer voll und bei den Sprechstunden ist auch immer jemand da."

Vorburg freut sich, dass die Unterbringung der Geflüchteten in private Haushalte klappt und lobt hier auch das Landratsamt: "Die machen grad echt gute Arbeit und halten die Bürokratie in Schach." Gleichzeitig wünscht er sich, dass die Ungleichbehandlung der Geflüchteten aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen aufhört. "Für die Ukrainerinnen und Ukrainer hat das geklappt, das ist schön. Aber viele andere hocken ewig in Unterkünften herum, das tut ihnen einfach nicht gut." Vorburg hofft, dass die private Unterbringung bald auch für andere Menschen klappt.

Gaßner hat großen Respekt vor denen, die Geflüchtete aufgenommen haben

Auch Janika Gaßner findet die Unterbringung in Privathaushalten grundsätzlich gut. Sie ist Ehrenamtskoordinatorin Asyl beim Katholischen Kreisbildungswerk (KBW) und hat großen Respekt gegenüber den Menschen, die Geflüchtete aufgenommen haben. "In einer WG mit jemandem zu leben ist schon schwierig", sagt Gaßner. "Und da gibt es einen Auswahlprozess. Hier nehmen Leute einfach Wildfremde auf, das ist beeindruckend."

Ein paar Bedenken hat sie allerdings auch: "Man braucht schon ein bestimmtes Rüstzeug, um damit umgehen zu können." Es könne schließlich sein, dass die Gäste traumatisiert sind - wie geht man dann richtig damit um? Doch auch kleinere kulturelle Unterschiede können zu Konflikten führen.

Eine der Arten, wie sich die Arbeit Gaßners und des KBW verändert hat, ist deswegen das Schaffen beziehungsweise Vermitteln interkultureller Bildungsangebote. " Wir können Kontakt mit Supervisoren herstellen, damit die in einem Konfliktfall vermitteln können", sagt Gaßner. Oft reiche es, eine Erklärung für ein störendes Verhalten zu bekommen, um es besser einzuordnen.

Doch auch an anderen Stellen hat sich Gaßners Arbeit verändert. "Früher konnte ich für einen bestimmten Bedarf ein Angebot finden - das geht jetzt nicht mehr", meint die Koordinatorin. Es gebe zu viele Menschen, die Hilfe benötigten und die auch nicht einfach aufzuspüren seien. Jetzt gehe es mehr darum, "jemanden zu kennen, der jemanden kennt. Ich muss eine wandelnde Datenbank sein."

Jemanden zu kennen hilft zum Beispiel bei den online stattfindenden Austauschtreffen, bei denen sich Ehrenämtler gegenseitig informieren und miteinander reden können. "Diese Treffen finden jetzt alle sieben Tage statt, nicht mehr alle vierzehn", erklärt Gaßner. Außerdem lädt sie mittlerweile zu den Treffen immer einen Inputgeber mit ein, etwa vom Jobcenter, um auf Anliegen und Fragen zu reagieren.

Das Begegnungscafé bietet eine Auszeit für die Ehrenämtler und einen Tapetenwechsel für die Geflüchteten

Schließlich gibt es noch weitere Angebote beim KBW, die Geflüchteten helfen sollen anzukommen und Ehrenämtler, die Menschen betreuen oder aufgenommen haben, zu entlasten. Zum einen sind die Eltern-Kind-Gruppen des Bildungswerks auch für Ukrainer zugänglich. "Da können sich Eltern austauschen und Kinder neue Spielgefährten finden", sagt Gaßner.

Neu ins Leben gerufen - gemeinsam mit der Ausländerhilfe Ebersberg - wurden zudem die Begegnungscafés: bei Kaffee und Kuchen kann man hier entspannen und neue Leute kennenlernen. "Das ist auch insofern gut, weil man dann nicht die ganze Zeit aufeinander hockt, so gibt es mal einen Tapetenwechsel", findet Gaßner. Auch dieses Angebot wird gut angenommen. Mit Blick auf die Hilfsbereitschaft in Ebersberg dürfte dem guten Goethe also das Herz aufgehen.

Weitere Informationen: Über die Website von "Seite an Seite" können Interessierte Kontakt zu dem Verein aufnehmen. Die Begegnungscafés finden immer montagvormittags im KBW, in der Heinrich-Vogel-Straße 4 statt sowie mittwochs und freitags in der Ausländerhilfe Ebersberg, Von-Feury-Straße 10. Die Austauschtreffen des KBW finden jeden Mittwoch um 19 Uhr über Zoom statt, der Link bleibt immer gleich.

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