Theater Wasserburg:Die Überraschung im dritten Abort

Theater Wasserburg: "Die Präsidentinnen" am Theater Wasserburg nehmen kein Blatt vor den Mund.

"Die Präsidentinnen" am Theater Wasserburg nehmen kein Blatt vor den Mund.

(Foto: Christian Flamm/oh)

"Die Präsidentinnen" im Theater Wasserburg spülen menschliche Abgründe zutage. Allerdings auf eine Weise, dass es eine wahre Freude ist. Es ist die erste Premiere seit dem Tod von Theater-Gründer Uwe Bertram.

Von Ulrich Pfaffenberger, Wasserburg

"Das macht man nicht." "Das sagt man nicht." "Das fasst man nicht an." Nichts ist seit Kindesbeinen an mit so vielen Tabus und Verboten belegt, als das, was bei Mensch und Tier hinten rauskommt. Selbst hier in dieser Rezension setzen wir ein "*", wenn wir über ein Theaterstück schreiben, in dem drei Frauen eineinhalb Stunden ihre Mono- und Dialoge um Schei*e kreisen lassen. Ohne Umschreibung, grad so wie's ist, nehmen sich "Die Präsidentinnen" im Theater Wasserburg des Themas an, wie es der österreichische Autor Werner Schwab vor gut 30 Jahren in ein Kammerstück gepackt hat. Weil das Trio seine Gedanken und Sätze mit unverhohlener Gleichgültigkeit in den Raum schleudert, so als sprächen sie über den Inhalt der Kaffeemaschinen, die vor ihnen dahinröcheln (manche aus dem Publikum wird das wohl wie ein Ohrwurm noch eine Zeitlang verfolgen), wirken sie umso authentischer.

Vermutlich alle im Saal ahnen es, aber so ganz sicher kann man sich eben nicht sein: Dass eine solche Unterhaltung im richtigen Leben auch zustande kommt. Dass Grete (Susan Hecker), Erna (Amelie Heiler) und Mariedl (Rosalie Schlagheck) einen alltäglichen Plausch darüber beginnen, warum der Metzger, der wie ein Papst heißt, seinen Leberkäs zum Dumpingpreis verschleudert, welch religiöse Verzückung es auslöst, mit der bloßen Hand die Verstopfung im Abfluss vom Abort zu reinigen - "Gott hat auch die Jauche erschaffen!" - und wie überwältigend die erotische Dimension von Fredy aus der Blasmusik ist. Im normalen Leben mit derlei konfrontiert, wäre die erwart- und vertretbare Reaktion auf Derartiges vermutlich ein "Was soll der Schei*?". Aber man braucht sich nur in die Kavernen so mancher Online-Unterhaltungen oder gerichtlicher Nachbarschafts-Streitereien zu begeben, um das scharfe Auge des Autors für seine Mitmenschen und mithin seine prophetische Gabe zu bewundern. Dabei vergeht einem dann auch das Wundern darüber, warum diese Aufführung heute keinen Anlass mehr gibt, "Skandal" zu rufen.

Auf der Bühne geht es zu wie im Splatterfilm, aber halt ohne Blut

Das Publikum kichert sich in die Versuchsanordnung auf der Bühne hinein, man sieht im Dunkeln des Zuschauerraums ja kein Erröten, wie damals, als wir uns als Kinder an Witzen mit Fäkalhintergrund beömmelt haben. Was die drei Frauen dort vorn im Gitterkäfig von sich geben, schreit ja nach einer Reaktion, die lässt sich nicht verkneifen, wenn man das Gebotene adäquat verdauen möchte. Es geht zu wie im Splatterfilm, aber halt ohne Blut, sondern mit dem anderen, was wir nicht sehen wollen, können, dürfen. Ein Geschenk ans brodelnde Unterbewusstsein ist dieser Tabubruch in kräftigen Worten und zum Himmel stinkenden G'schertheiten, immer wieder unterbrochen von süßlichem Schlagergesang, mit Augenaufschlag und spitzen Lippen dahingeträllert: "Griechischer Wein", "Du bist nicht allein", "Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei". Kleine Perfidien wie das hühnergackernde Echo im Refrain oder die kurze Abzweigung ins Kirchenlied verstärken das Zerrbild noch. Zwischen Frauenchor und Bierzeltsound wabern die Lieder wie der Dunst des Duftsteins auf dem Häusl, versprüht mit dem lautstark hinausgeratschten Selbstverständnis, dass die andere immer mehr stinkt als man selbst.

Theater Wasserburg: Autor Werner Schwab beweist in seinem Stück ein scharfes Auge für seine Mitmenschen - und offenbart sogar eine prophetische Gabe.

Autor Werner Schwab beweist in seinem Stück ein scharfes Auge für seine Mitmenschen - und offenbart sogar eine prophetische Gabe.

(Foto: Christian Flamm/oh)

Die Inszenierung, die sich Regisseurin Annett Segerer mit ihrem Ensemble erarbeitet hat, agiert mit hintersinnigen Kontrasten und ins Absurde übersteigerter Verspieltheit, dass es eine Freude ist. In optischem Gleichklang sitzen die drei Frauen hinter ihren Tischchen, vollführen ein unkoordiniertes Ballett sich wiederholender Bewegungen beim Wasserzapfen, Kaffeebrühen, Becherauffüllen und Platzieren derselben in der Ablaufrinne. Ein nicht versiegender Strom von Kaffee als Treibstoff für die Gosch'n geht hinaus, wie er hineingekommen ist - eine inszenatorische Gemme im Schatzkästlein einer sowieso schon höchst geistreichen Dualität von Witz und Aberwitz.

Im Hintergrund lächeln idyllische Kleintiere von Gute-Stube-Gemälden durchs kleine Karo des Käfigs. Zwischendrin klatscht mal die eine oder andere weichgefüllte Filtertüte zu Boden. Gelegentlich betätigt Grete einen Hebel, die Szene taucht in Rotlicht, elektrisches Summen durchflutet den Raum, nächste Szene. Aber nichts wird gelöscht, im Raum-Zeit-Kontinuum unterm Käfig sammeln sich Plastikbecher, die braune Brühe rinnt ungebremst vor sich hin und der Kaffeeduft, der sich im Raum breit macht, verdichtet sich zu einer unangenehm einprägsamen Intensität. In diesem Biotop gedeihen das Gifteln und Kritteln, das einander Übertrumpfen und Runterputzen zu einer Kakophonie abgesonderter Sprache, die anderer Leute Worte nicht mehr zu Gehör kommen lässt, sondern die eigenen mit Karacho durchdrückt.

Mit Shakespear'scher Lust an der Wichtigtuerei der kleinen Leute steigern sich schließlich die Präsidentinnen, denen der Elektroschock-Reset, wie man so sagt: "Am *rsch vorbeigeht", in ein Sommernachts-Alptraum-Szenario auf einem Außer-Toiletten-Rand-und-Band geratenen Volksfest hinein, in dem die Grenzen zwischen Gaudi und Inferno zerfließen. Wie im richtigen Leben eben: Wunschtraum im Viervierteltakt im Gewittersturm des leidigen Alltags, dem man wenigstens verbal entkommen will, "Ich war noch niemals in New York"...

Was die erste Premiere in Wasserburg nach dem Tod des Gründers Uwe Bertram so bemerkenswert macht? Die unverbrüchliche Liebe zum Spiel mit dem Wort und zum kunstvollen Umgang mit Sprache, die er gesät hat, blüht wieder. Das Team hat seine Talente nicht im Schmerz vergraben, sondern die Energie des Wandels aufgenommen, um wieder zu gestalten. Bertrams Arbeit war so prägend, dass sie eine vierte Dimension geschaffen hat, die nun ihre Wirkung entfaltet. Darum leben die Menschen auf der Bühne ihre Rollen und die Menschen hinter der Bühne haben so gut und nachhaltig gearbeitet, dass man keine Spuren davon bemerkt, sondern nur das fertige Werk seine Kraft zeigt. Das ist Schauspiel, wie man es sich wünscht, das ist Regie, die überzeugt. Das schafft eine Singularität im Bühnenvakuum zwischen München und Salzburg. Darum müssen sich "Die Präsidentinnen" aus Wasserburg erst gar nicht mit anderen Inszenierungen dieses Stücks vergleichen lassen, sie stehen für sich. Das Publikum im vollbesetzten Haus würdigt den umwerfenden Auftritt mit stehendem Applaus und mit einem Chor von Jubelrufen. Höchst verdient.

"Die Präsidentinnen" am Theater Wasserburg. Die nächsten Spieltermine sind am Wochenende vom 24./25. und 26. März. Mehr Informationen, Details zum Spielplan und Karten gibt es online unter www.theaterwasserburg.de. Die Abendkasse öffnet jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusWaldarbeit mit Pferden
:"Man ist eine Einheit mit so einem Viech"

Wie holt man geschlagenes Holz am besten aus dem Wald? Bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten versuchen sie es mit einer traditionellen Methode: mit zwei Pferden und viel Muskelkraft.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: