Theater am Burgerfeld:Zwischen zwei Semmelhälften

Theaterhalle MS 'Wifling'

Ein bisschen Heimatkrimi, ein bisschen absurde Komödie - dem Publikum im ausverkauften Haus gefiel die Mischung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Raffael Scherer würzt seine schwarze Komödie "Wifling - Zwischen Baggersee und Leberkas" mit moralischen Untertönen

Von Ulrich Pfaffenberger, Markt Schwaben

Das wahre Drama bei der samstäglichen dritten Aufführung von "Wifling - Zwischen Baggersee und Leberkas" spielte sich im Zuschauerraum ab. Während droben auf der Bühne Jan, der nichtsnutzige Sohn der Polizistin Isabella, genüsslich in seine weißgottwievielte Leberkassemmel biss, darbte das Publikum an den Tischen in der Theaterhalle am Burgerfeld. Es darbte seufzend, es darbte grummelnd und mit bitterem Lachen - die Küche des Theatervereins hatte schon lange vor dem ersten Vorhang "ausverkauft" gemeldet. Glücklich, wer noch einen Schokoriegel oder ein paar Nüsschen in der Handtasche hatten, denn einen aggressiveren Appetitmacher hätte sich kein noch so cooler Werbemensch ausdenken können.

Dabei wäre wohl manchem schnell der Appetit vergangen, wäre zu diesem Zeitpunkt schon die Schlusspointe des von Raffael Scherer verfassten und regierten Stücks bekannt gewesen: Im wohlschmeckenden Produkt, das Metzgermeister Sepp kreierte, verbargen sich die letzten Reste zweier Opfer mehr oder wenig zufälliger Messerstiche, die aus dem Blickfeld der neugierigen, aber in Wifling eh' nicht vorhandenen Öffentlichkeit entfernt worden waren. Wenngleich Autor und Ensemble mehrfach bekräftigten, dass der namensgebende Ort aller Ehren wert und sein See ein geschätztes Ausflugsziel der Markt Schwabener sei: Das Stück lief darauf hinaus, dass es kein erstrebenswertes Schicksal ist, dort zuhause und damit gar so weit von München entfernt zu sein.

Grundsätzlich hat Scherer sein Stück kräftig mit einem Wechselspiel aus Ironie und verzweifelter Realität gespickt. Er hat Dramaturgie und Rollen säuberlich entlang eines Erzählstrangs ausgerichtet, der zwischen solidem Heimatkrimi und absurder Komödie changiert. Das kam seinem Hauptdarsteller Daniel Brandl, der als Möchtegern-Künstler und Wirtshaus-Erbe wider Willen eine gepflegte Hysterie auf die Bühne legte, besonders entgegen. Ihm gerieten jene Szenen am Rande des Wahnsinns am besten, in denen er durchs Schicksal taumelte und an den bodenständigen Ortsbewohnern um ihn herum keinen Halt mehr fand: dem jovialen und in sich ruhenden Kellner Helmut (überzeugend und gewinnend: Hans-Jörg Diekhoff), der verzweifelt um Anerkennung und ein Gymnasium ringenden Bürgermeisterin Maria (g'schaftig, solide: Brigitte Knauer) und dem geschäftstüchtigen Sepp (abgebrüht: Andreas Hergenröther). In Sachen "Darstellung eines durchgeknallten Künstlers" zog er allerdings den Kürzeren gegenüber Matthias Neugebauer, der als Kunststudent Maurice eine Glanzvorstellung ablieferte. Ähnlich skurril gab Josephine Baum die Metzgerstochter "Josy", die im Zwiegespräch mit der Schweinehälfte über ihrer Schulter dem Volkstheater-Prinzip "Rein zur Tür, raus zur Tür" eine völlig neue Spielart bescherte und ihren Schwarm Jan (locker und lässig: Max Wagner) nebenbei fleißig mit Leberkassemmeln heranfütterte wie die Hexe den Hänsel.

An den Rollen der beiden Messeropfer zeigte sich, dass der Weiherspiele-Moralist Josef Schmidt in Raffael Scherer vielleicht schon einen Nachfolger gefunden hat: Denn wie die Karriere- und München-Sucht von Polizistin Isabella (berechnend und kühl wie ein Eisblock: Isabella Walter) und Reporterin Karla (überspitzt bis überdreht: Regina Czapek) an einer Messerklinge enden, ist die bittere Moral von der Geschicht': Wenn dir unser Dorf nicht gut genug ist, dann wirst' schon schauen, wo du bleibst... Am Ende ohne Grabstein, aber zwischen zwei Semmelhälften. Das abschließend gewünschte Beileid, "das sagt man bei uns auf dem Land so", hört sich fast schon an wie "Mahlzeit" und gerät vollends zur Farce.

Mit seinem Menü aus überzeichneten Dialogen, hemdsärmeligem bis hintergründigem Humor und einer locker dahingespielten Variante des Volkstheater-Themas "Stirbt das Wirtshaus, stirbt das Dorf" hat Raffael Scherer eine appetitanregende Leistung abgeliefert. Vor allem in den Momenten größten Chaos' hat er seine Truppe zur Höchstleistung geführt. Dafür spürte man an mancher erklärungsvoller Textschwemme im Handlungsstrang noch sein Suchen nach einer gangbaren Furt durch die dahinströmende Logik. Das Stück ist erkennbar auf Ensemble und Ortsatmosphäre abgestimmt, weshalb sich die globalen Perspektiven nach dieser "Welturaufführung" in Grenzen halten dürften. Dem Publikum aus der Nachbarschaft im ausverkauften Haus hat's geschmeckt und es hat beim Applaus ein großzügiges Trinkgeld dazugelegt.

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