Testfahrt in Poing:Selbst ist der Passagier

Poing Versuch Expressbuch nach Messe Riem

"Die Bahn schafft es nicht, also müssen wir ran", sagt Bürgermeister Albert Hingerl. Der Expresszug aus Erding wird auch künftig nicht in Poing halten.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Als Alternative für die anfällige und oft überfüllte S-Bahnlinie 2 teste die Poinger SPD einen Bus zur Messestadt.

Viktoria Spinrad, Poing

Montagmorgen, 7.20 Uhr in Poing. Ute Schenke tippt mit dem Finger gegen die Fensterscheibe. "Da kommt die Bahn. Und dann auch noch pünktlich!". Dass die S 2 Richtung Münchner Innenstadt an diesem kalten Morgen ohne sie losbraust? Ganz wie geplant, denn heute ist Schenke nicht auf den Schienenverkehr angewiesen.

Auch nicht auf ihr Auto, auf das sie immer wieder ausweichen muss, wenn die S 2 mal wieder ausfällt. Schenke sitzt in einer mittleren Sitzreihe eines beheizten Reisebusses, der sie gleich innerhalb von 17 Minuten von Poing zur Messestadt Ost bringen wird.

An anderen Tagen gehört sie auch zu denjenigen, die sich in die überfüllte S-Bahn quetschen. Schenke kennt die chaotischen Szenen, sie begrüßt die Testfahrt der Poinger SPD mit einem Bus zur Messestadt - was langfristig eine Alternative sein könnte.

Szenen aus Poing dienten kürzlich als bundesweites Vorzeige-Beispiel für die Versäumnisse im öffentlichen Nahverkehr. Im Fernsehen lief dazu eine ARD-Reportage unter dem Titel "Mit Vollgas in den Verkehrskollaps - der Kampf um die Mobilität von morgen".

Was aber ist die Mobilität von morgen? Am Montagmorgen feilt man in Poing genau an dieser Frage. Mit dem Expressbus, einem Reisebus für 50 Fahrgäste, der jetzt mit einem knappen Dutzend Mitfahrer gen Feldkirchen rauscht, soll der Bedarf für solche Fahrten austariert werden. Die Straßen sind noch fast leer - perfekte Bedingungen für die Testfahrt.

Der wohl bekannteste SPDler Poings skizziert auf seinem Sitzplatz im vorderen Bereich des Busses die Botschaft des Projekts: "Die Bahn schafft es nicht, also müssen wir ran", sagt Bürgermeister Albert Hingerl. In der vergangenen Woche musste er seinem Gemeinderat bekanntgeben, dass die Express-S-Bahn, die Passagiere aus Erding ohne Stop zum Münchner Ostbahnhof bringt, wegen der dichten Taktung der übrigen S-Bahnen und Züge auch künftig nicht in Poing halten wird. "Das ist einfach nicht hinnehmbar", sagt Hingerl jetzt, so energisch, dass sein Hut bebt.

Vom Geschubse an der Bahn genervt, nahm eine Poingerin doch das Auto

Zu seiner Linken sitzt Lidia Marijanovic. Als sie vor zwei Jahren nach Poing zog, trafen sie das Warten, das Geschubse und Gedränge am Bahnsteig unvorbereitet. Irgendwann sei sie so genervt gewesen, dass sie morgens statt nach der MVV-Karte zum Autoschlüssel griff, um pünktlich nach München-Giesing zu kommen. "Das kann doch nicht die Lösung sein", sagt sie. Für Menschen wie sie, die im Münchner Osten arbeiten, wäre eine regelmäßige Expressfahrt wie am Montag "ideal", sagt sie.

Und möglicherweise auch für viele andere Poinger Pendler. Zwar winken die meisten um sieben Uhr im S-Bahn-Tunnel ab auf die Frage der SPDler, ob sie zur Messestadt müssten: "Muss zum Marienplatz", "leider keine Zeit", "natürlich nicht", so die Antworten. Aber Poing wächst und wächst; das Wirtschaftsmagazin Capital kürte die 16.000-Einwohner-Gemeinde kürzlich zur attraktivsten Umland-Kommune im Süden der Bundesrepublik.

Doch bei allem Zulauf ist auf den überfüllten Schienen keine Entlastung in Sicht. Im Gegenteil: Nach den aktuellen Prognosen für die zweite Stammstrecke sollen Entlastungszüge zwischen Markt Schwaben und Riem wegfallen, so dass es morgens noch gedrängter zugehen könnte als bisher. Und ob die S-2-Strecke von zwei auf vier Gleise ausgebaut wird, steht in den Sternen.

Im Bus sind es noch wenige Minuten zur Messestadt, Bürgermeister Hingerl redet sich fast in Rage. Etwa darüber, dass die Bahn eine eigene Express-Bus-Verbindung für Poing abgelehnt habe, weil eine Parallelverbindung "finanziell und organisatorisch nicht gewünscht" sei.

Dann hellt sich sein Gesicht auf. Der Bürgermeister erinnert sich an ein kürzliches Gespräch mit einem Verkehrsexperten. Der, so Hingerl, habe mit Blick auf das Express-Projekt gesagt: "Für Poing gibt es keine bessere Lösung."

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