Süddeutsche Zeitung

Tanzshow zum Frühstück:Körper und Jazz

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Die Gruppe "Isar Hoppers" serviert beim Festival-Brunch am Sonntagmorgen eine appetitanregende neue Zutat

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Es durfte getanzt werden beim Swing-Brunch in der Grafinger Stadthalle. Trotz Pancakes mit Sirup, Rührei mit Speck und weiteren soliden Grundlagen für einen satten Sonntagmorgen (oder gerade deswegen), nahmen erstaunlich viele Gäste diese Einladung an. Hatten sie mit der Showtanzgruppe Isar Hoppers doch auch ein überaus anregendes Vorbild, wie sich Musik und Bewegung zu einem höchst sehenswerten Auftritt kombinieren lassen, ohne dass man frisch der Ballettschule entsprungen sein muss. Als großartiger Muntermacher erwies sich zudem das Instrumental-Sextett The Big Swing Party, die mit einem erfrischend präsentierten Repertoire an Klassikern nicht nur Wind in die Bude brachten, sondern auch locker über die Nebenwirkungen des Eröffnungsabends tags zuvor hinwegspielten. Jazz, so ließ sich am Sonntagmittag beobachten, belebt ungemein.

Das war zum Beispiel an dem Umstand zu beobachten, dass die Tanzkunst der jungen Hoppers-Paare deutlich stärker war als der Duft des Buffets. Ob bei jenen Auftritten, bei denen ihnen der Tanzboden allein gehörte, oder ob bei den Gelegenheiten, als sie sich unters Tanzvolk mischten, legten sie ein derart hohes Maß an Improvisationskunst an den Tag, dass man sich gar nicht mehr traute, auch für einen Moment die Aufmerksamkeit dem gefüllten Teller zuzuwenden. Als zum Beispiel beim "Basin Street Blues" immer wieder der Drummer Werner Schmitt seine sagenhaften Rhythmuswechsel einstreute, antworteten die Tänzerinnen und Tänzer so spontan, souverän und elegant, dass es eine wahre Freude war. Echte Tanzschritte mit viel Beinarbeit waren da bei beiden Partnern zu sehen, von der Fantasie her mindestens zwei Ligen über den durchchoreographierten Tanz-Shows, die heute das Meinungsbild bestimmen.

Zu Melodien wie "Bei mir bist du schön" zeigt sich, worin die bewegende Kraft des Swing besteht, dem Rhythmus, bei dem man mit muss. Nicht zuletzt die Hebefiguren mit maximal lässiger Nebensächlichkeit machen in solchen Momenten sichtbar, wo der Unterschied liegt zwischen gekonnt und gelernt. Wo es aber am besten sichtbar wurde: Die Körper der Tanzpartner bewegten sich nicht nur, sie kommunizierten miteinander - und statt Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit, wie sie sonst bei Formationen dominieren, siegten hier Individualität und Lust an der Freiheit.

Siehe da, war mancher staunenden Zuschauermiene zu entnehmen, hier bekommt der Jazz ja Körper. Der Vergleich trifft mehrfach zu: Es braucht eine sehr gute Beherrschung der Standards, um solch fliegende Wechsel hinzuzaubern, es braucht ein feines Ohr, um die sich ankündigenden Wechsel vorauszuahnen, und es braucht jede Menge Leidenschaft, um mitzugehen, wohin sich die Band bewegt. Die alten Schwarzweiß-Aufnahmen aus den Tanzpalästen der 1920er, 30er und 40er Jahre vermögen nicht annähernd die Vibrationen der Sinne zu vermitteln, wie sie ein solcher Live-Auftritt hervorruft. Als dann zu den Klängen von "München swingt" ein Herr drei Damen zugleich betanzt, explodiert diese Dynamik in einer fast schon circensischen Pracht.

Die Bewegungen vorzuzeichnen, zu tragen und ins Ziel zu bringen, dafür braucht es aber auch eine Band, die nicht nur einen Soundtrack liefert, sondern ihre eigene Bühne bespielt - und dabei Augen-, Ohren- und Gedankenkontakt hält. Das war in Vollkommenheit bei Henri Bettis "C'est si bon" zu spüren, als Musik und Tanz zugleich in einen Schwebezustand gerieten, dorthin getragen von einem geflügelten Bernhard Ulrich, der seine Klarinette und sein Tenorsax wie Zauberstäbe nutzte. Das ließen auch Fats Wallers "Honeysuckle Rose" und "Ain't misbehavin'" erleben, wenn über dem sanft drängenden Rollen, das Thilo Wagner mit ebenso leichter wie sicherer Hand seinem Piano und Andreas Kurz elegant dahingleitend seinem Bass entlockte, die Sonnenstrahlen und die Blitze aus Heinz Dauhrers Trompete und Hans-Heiner Bettingers Posaune zuckten, gipfelnd in einem Strudel der Elemente beim "Bean Street Blues", wie man ihn so lebensnah und farbig nur selten hört.

Für das Landesfestival EBE-Jazz erwies sich der Swingbrunch erneut als befeuerndes Element. Der Grundton im vollbesetzten Saal, diese unvergleichliche Mischung aus Plaudereien, Geschirrklappern, Gläserklingen verlieh dem musikalischen Programm eine feine Würze. Die Premiere von getanztem Jazz darf zudem schon jetzt als köstliche Zutat gelten, die Appetit auf mehr macht. Dem anerkennenden, intensiven Applaus nach zu schließen, freut sich das Publikum schon auf den nächsten Gang.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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