Süddeutsche Zeitung

Talentiade 2019:Kleiner Verein, große Bilanz

Fünf Medaillen bei den Süddeutschen, gleich drei Qualifikationen für die Deutschen Meisterschaften - der SV Grafing-Ebersberg schwimmt auf einer Erfolgswelle - und ist für die Talentiade der SZ nominiert

Von Franziska Spiecker, Ebersberg

Am Beckenrand im Ebersberger Hallenbad stehen hölzerne Rechenschieber, wie sie manch einer noch aus dem Mathematikunterricht von früher kennt. Im Wasser ziehen die Nachwuchsschwimmerinnen und -schwimmer des SV Grafing-Ebersberg eifrig ihre Bahnen. Ist eine geschafft, dann wird eine bunte Holzkugel auf dem Rechenschieber zur Seite geschoben. So könne man sich bei Serien, etwa 30 mal 50 Meter, besser merken, wie viel man schon geschwommen ist, erklärt eine junge Leistungsschwimmerin.

Um sie herum herrscht Hochbetrieb: Im Wasser trainieren Kinder und Jugendliche verschiedener Alters- und Leistungsklassen die Stile Rücken, Kraulen, Brust und Schmetterling, an Land üben andere mit Yogamatten und Hanteln Körperspannung, Balance und Kraft. Es ist ein normaler Trainingsabend beim SV Grafing-Ebersberg, aber eben auch kurz vor dem Saisonhöhepunkt: den deutschen Jahrgangsmeisterschaften, die an diesem Dienstag in Berlin beginnen. Gleich drei Schwimmerinnen und Schwimmer des kleinen Vereins haben sich dafür qualifiziert - und das nicht zum ersten Mal.

"Im letzten Jahr ist mein Sohn Florian schon deutscher Vizemeister geworden", erzählt Markus Kühn, Trainer der leistungsstärksten Gruppe "Rubine". In diesem Jahr habe der 16-Jährige zudem gemeinsam mit der 13-jährigen Luisa Rumler fünf Medaillen bei den Süddeutschen Meisterschaften geholt: einmal Silber und viermal Bronze.

Dass dieser Erfolg nicht einfach vom Himmel fällt, verdeutlicht das Trainingspensum der "Rubine": Acht Mal die Woche trainieren sie im Wasser, zusätzlich gebe es noch Krafttraining und Laufen, erzählen Florian und seine Schwestern Silvia und Luisa, die alle schon zum - mindestens - zweiten Mal bei den Deutschen Jahrgangsmeisterschaften starten. Damit dieses Pensum möglich ist, "gibt es drei Frühtrainings morgens um sechs Uhr vor der Schule", sagt Trainer Markus Kühn: "Obwohl es ein altes, kleines Bad ist, haben wir Trainingsbedingungen wie bei einem großen Verein."

Tatsächlich handelt es sich - auch wenn die Erfolge anderes vermuten lassen - beim SV um einen kleinen Verein. Weniger als 200 Mitglieder zähle er, berichtet ein weiterer Trainer, Michael Krecik, während seine Schwimmgruppe, "die Hinkelsteine", im Wasser an ihren Kraulbewegungen feilen. Darunter seien gut 100 aktive Schwimmer im Alter von sechs bis etwa 20 Jahren, die sich auf zwölf Schwimmgruppen verteilten. Angefangen bei den Meerestieren: Seepferdchen, Goldfische, Krebse und Delfine, über die Asterix-Gruppen: Römer, Idefix, Gallier und Druiden, bis zu den vier Leistungsgruppen: Hinkelsteine, Smaragde, Saphire und Rubine.

"Für die Kids ist es cooler, wenn es Gruppennamen gibt", sagt Krecik, der früher selbst aktiv für den Verein geschwommen ist. Heute gehört er zu einem Team von zehn ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainern - "in Bestbesetzung", wie er ergänzt. Viele von ihnen sind wie Krecik schon seit den 90ern oder sogar den 80ern dabei und da sie alle ehrenamtlich arbeiten, ist viel Engagement gefragt. Etwa von der alleinerziehenden Mutter, Sabrina Hable, die neben dem Training noch die komplette Wettkampfordnung von zu Hause übernehme. Oder aber von der Familie Kühn, mit Stephanie Kühn als erster Vorsitzender und Markus Kühn, der acht Mal die Woche Training gebe, so Krucik: "Bei unserer Größe ist das Erfolgsgeheimnis, dass es immer ein bis drei Leute geben muss, die sich den Arsch aufreißen für den Verein."

Während sich seine "Hinkelsteine" ihre Trinkflaschen vom Beckenrand schnappen, füllt sich das Wasser schnell mit neuen Schwimmgruppen. Auch Niki von den "Smaragden" stößt vom Krafttraining dazu. Sein Trainer Jean Wichmann, so erzählt er, würde die Schwimmbewegungen häufig mit der GoPro unter Wasser filmen. "Das finde ich ganz cool", sagt der 13-Jährige, weil man dann die Technik gut sehe.

Und die, das betont auch der Trainer der Hauptleistungsgruppe, Markus Kühn, müsse nun mal "von Anfang an ordentlich gelernt werden". Den SV Grafing-Ebersberg halte er für besonders, weil er "Breiten- und Leistungssport gut kombiniert" - von wettbewerbsfreiem Schwimmen über Kreismeisterschaften bis zu den Deutschen Meisterschaften sei alles dabei.

Außergewöhnlich ist laut Kühn auch das unkonventionelle Training. "Es geht bei uns nicht um das klassische Meterschrubben", entscheidend sei, dass der Kopf, der alles steuere, dabei sei. Seine Frau und er würden daher für die Jugendlichen mit höherem Schwimmniveau ein Mentaltraining anbieten. Inmitten des Stresses, der sie von allen Seiten umgebe, so Kühn, helfe es, den Fokus darauf zu behalten, "was wichtig ist im Leben".

Für Florian, Silvia und Luisa, die in den Schlussvorbereitungen für die Deutschen Jahrgangsmeisterschaften stecken, ist der Fokus ohnehin klar. Schwimmen sei ihr Leben, sagen sie einstimmig - "oder zumindest ein großer Teil davon".

Mit der Talentiade 2019 zeichnet die Süddeutsche Zeitung zum zehnten Mal die Leistung junger Sporttalente (bis Jahrgang 2000) aus München und den umliegenden Landkreisen aus sowie die hervorragende Nachwuchsarbeit ihrer Vereine. Wir suchen deshalb junge Sportlerinnen und Sportler, die in den vergangenen beiden Jahren - unabhängig von Sportart, Meisterschaften oder Titeln - besonderes sportliches Engagement gezeigt haben. Vergeben werden unter anderem neun Förderpreise à 1500 Euro.

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SZ vom 28.05.2019
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