Tag des Notrufs:Von W-Fragen und der richtigen Nummer

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Nur etwa die Hälfte aller Bürger weiß, dass sie über die 112 in allen EU-Ländern eine Rettungsleitstelle erreicht. Zum Tag des Europäischen Notrufs spricht der Ebersberger Kreisbrandrat Andreas Heiß über die Arbeit der Feuerwehr

Interview von  Johanna Feckl, Glonn

An diesem Montag ist der Europäische Tag des Notrufs 112 - passend zum 11.2. also. Ein Anlass, um bei Andreas Heiß in Baiern anzurufen, der seit 2014 Ebersberger Kreisbrandrat ist. Im Interview mit der SZ erzählt der 52-Jährige von der Arbeit der etwa 2200 Feuerwehrler, die sich im Landkreis in 47 Freiwilligen und einer Werkfeuerwehr engagieren.

SZ: Herr Heiß, was schätzen Sie: Wie viele Deutsche wissen, dass sie in allen EU-Ländern und sogar darüber hinaus bei einem Notfall die 112 wählen können?

Andreas Heiß: Ich kenne eine Untersuchung, da waren es etwa 42 Prozent.

Mittlerweile sind es ein wenig mehr: Laut einer Eurobarometer-Umfrage würden 57 Prozent im EU-Ausland die 112 wählen. Fast die Hälfte weiß also nichts von der europaweiten Gültigkeit der Nummer.

Wir kriegen zum Teil sogar mit, dass Notrufe immer noch bei der Polizei, also unter der 110, eingehen.

Dauert es in solch einem Fall länger, bis Feuerwehr oder Rettungswagen an Ort und Stelle sind?

Nein, das nicht. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass man da bei jemandem am Schreibtisch rauskommt und der dann erst einmal verwirrt irgendwo nach einer Nummer suchen muss, an die er den Anruf weiterleiten kann. Die Polizeileitstelle, bei der man unter der 110 rauskommt, leitet das genauso weiter, wie die 112-Einsatzleitstelle.

Moment, das müssen Sie etwas genauer erklären: Was passiert, wenn ich in Ebersberg stehe und die 112 wähle?

Normalerweise sollte man dann bei der nächstgelegenen Leitstelle rauskommen, in dem Fall wäre das die in Erding. Bei dem Disponenten ploppt eine Karte am Bildschirm auf, die anzeigt, von wo der Notruf in etwa abgegeben wurde. Er fragt wahrscheinlich nach, was der Anrufer sieht, wenn er sich umschaut - dann kann er den Ort noch genauer einschränken und ähnlich wie mit einer Nadel in die Karte hineinpinnen. Damit ist schon die erste der fünf W-Fragen geklärt, nämlich das "Wo?". Ist der nächstgelegene Ort beispielsweise Ebersberg, wird vorgeschlagen, die Ebersberger Einsatzkräfte zu alarmieren. Bestätigt der Disponent das, dann wird der Notruf bei der Feuerwehr entweder über Funkmeldeempfänger oder Sirene ausgelöst.

Andreas Heiß ist seit 2014 Ebersberger Kreisbrandrat. (Foto: Christian Endt)

Und die anderen vier W-Fragen?

Was ist passiert, also ein medizinischer Notfall oder ein Brand? Wie viele Verletzte? Wer ruft an? Wo ist der Brand oder Unfall? Und ganz wichtig: Warten auf Rückfragen.

Das klingt, als ob sehr vieles automatisiert abläuft.

Genau. Rettungsdienst und Feuerwehr haben fest definierte Einsatzmittel bei einzelnen Stichwörtern hinterlegt. Bei einem Verkehrsunfall mit einer eingeklemmten Person etwa werden grundsätzlich zwei Rettungsspreizer losgeschickt - einer als Reserve, falls der andere aus- fällt. Das passiert alles automatisch, sobald der Disponent die entsprechenden Infos über das Abfragetool am Bildschirm eingibt.

Einige Berufsfeuerwehren informieren heute via Twitter, Instagram und Facebook in unterschiedlichen Formaten über ihre tägliche Arbeit - in Bayern machen die in München, Fürth und Augsburg mit. Ist im Landkreis auch so etwas geplant?

Nein, das funktioniert bei uns nicht so einfach. Jeder geht ja seiner normalen Arbeit nach. Bei uns in der Freiwilligen Feuerwehr geht es immer darum: Kapazitäten freischaufeln. Das gilt auch, wenn wir zum Beispiel Brandschutzaktionen an Schulen machen - dafür muss sich jemand extra freinehmen oder derjenige übernimmt es, der zufällig an dem Tag frei hat.

Haben Sie denn den Eindruck, dass den Menschen überhaupt klar ist, dass alle Feuerwehrler im Landkreis ihren Job ehrenamtlich machen?

Ja und Nein. Es gibt mit Sicherheit einen Bevölkerungsanteil, der weiß, dass wir keine Berufsfeuerwehr sind, sondern jeden Einsatz ehrenamtlich und freiwillig machen. Aber ich glaube auch, dass es viele gibt, die das nicht wissen. Und da liegt es auch an uns, dass wir immer wieder darauf aufmerksam machen: Leute, das sind lauter Freiwillige! Deshalb bringen wir auch eine eigene Feuerwehrzeitschrift heraus und zeigen darin, was wir so machen.

Inwiefern ist es ein Problem, wenn Leute nicht wissen, dass Ihre Arbeit kein bezahlter Vollzeitjob ist?

Manche nehmen das als Selbstverständlichkeit hin: Ja, da ruf ich halt bei der 112 an und dann kommt da schon jemand. Was man zum Beispiel doch immer mal wieder mitbekommt: Es liegen Äste auf der Straße - und dann kommt ein Stück Bequemlichkeit durch: Man zückt das Handy, ruft die Feuerwehr - die räumen das dann schon weg. Das ist natürlich ärgerlich, wenn ich als Ehrenamtlicher von der Arbeit oder meiner Freizeit wegen solch lapidarer Einsätze weggeholt werde.

Aber einfach mal das Auto abstellen und auf der Bundesstraße im Forst rumturnen, um einen Ast zu beseitigen, kann gefährlich sein. Ist es also nicht besser, in einem solchen Fall die Feuerwehr zu rufen?

Natürlich: Mit dem Schneebruch der vergangenen Tage und Wochen etwa haben wir viele Einsätze gehabt, die absolut gerechtfertigt waren. Das waren große Äste, die man mit bloßer Muskelkraft gar nicht wegbekommen hätte. Da braucht es schweres Gerät und es wäre viel zu gefährlich gewesen, das ohne Hilfe wegzuräumen. Aber häufig sind es kleine Äste auf wenig befahrenen Nebenstraßen. Dazu muss man eigentlich nicht extra die Feuerwehr rufen.

Stichwort Gaffer: Immer wieder behindern Menschen Feuerwehrler und Rettungskräfte bei ihren Einsätzen. Ist das auch im Landkreis ein Problem?

Das ist eine ganz natürliche Sache: Wenn etwas passiert ist, dann schaut man. Eine gewisse Neugierde ist ja immer gegeben. Das Problem: Früher hatte keiner einen Fotoapparat dabei. Jetzt ist es nicht mehr nur das Schauen, sondern die Sensationslust. Fotos und Videos werden sofort im Internet verbreitet. Die Hemmschwelle ist mittlerweile sehr nach unten gesunken. Und das kriegen wir auch bei uns im Landkreis mit.

Zum Beispiel?

Ich erinnere mich an einen Fall, als ein Kollege während eines Einsatzes seinem Chef gesagt hat, dass er nicht mehr zurück in die Arbeit kommen kann, weil er hier noch gebraucht wird. Der Arbeitgeber hatte online ein Foto von dem Einsatz gesehen, auf dem offenbar einige Einsatzkräfte abgebildet waren. Daraufhin meinte er zu unserem Kollegen: Wieso kommst du nicht mehr in die Arbeit? Da sind doch genügend Leute vor Ort! Der Feuerwehrler musste sich daraufhin erst einmal erklären - und so etwas ist einfach ärgerlich.

Und trotz all der Ärgernisse sind Sie immer noch bei der Feuerwehr ...

(lacht) ... ja logisch, seit mehr als 30 Jahren!

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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