SZ-Serie Teil 3: Wohnen für alle:Schön oder schimmelig

Die Unterschiede in der Ausstattung von Sozialwohnungen im Landkreis sind groß. Während sich die Bewohner in Neubauprojekten über den hohen Wohnstandard freuen, gibt es auch Unterkünfte, die der Gesundheit ihrer Mieter nicht unbedingt zuträglich sind.

Von Carolin Fries, Ebersberg

Karl Bauer ist 73 Jahre alt, außer einem hartnäckigen Husten, der ihn schon seit Wochen quält, geht es ihm gut, "irgendwie", sagt er. In diesen Tagen richtet er das Brennholz her, wer weiß schon, wie viele warme Tage dieser Sommer noch bereit hält. Er zerteilt Paletten und sucht ein trockenes Plätzchen für die Vorräte, der Schuppen sei nicht mehr ganz dicht. Der Grafinger bekommt Grundsicherung und wohnt in einer Wohnung der Stadt im Kapellenweg. Vor vier Jahren ist er eingezogen, für die zwei Zimmer geht die Hälfte seiner Bezüge drauf, sagt er, zweihundert Euro. Obendrauf kommen die Heizkosten für den Ölofen und das Holz. Die Stadt hat angekündigt, den maroden Häuserblock abzureißen, Bauer hätte nichts dagegen, doch noch hat er keine Kündigung bekommen. Die Blöcke sind sichtlich baufällig, der Putz ist an vielen Stellen abgebröckelt, in den Wohnungen schimmeln die Wände. Bauers Nachbarwohnung sei deshalb nicht mehr nachbelegt worden, sagt er.

Bevor der 73-Jährige in den Kapellenweg zog, wohnte er in der Wasserburger Straße in einer Genossenschaftswohnung. Auch das Ehepaar Gorte lebte hier. Inzwischen wurden die alten Wohnblocks abgerissen und durch neue, moderne Wohnungen ersetzt. Bauer fand im Kapellenweg eine neue Bleibe, Emilia und Alexander Gorte bekamen den Zuschlag für eine der neuen Wohnungen in der Wasserburger Straße: Holzverkleidete Fassade, knallrote Türen, eigener Garten. Wie waren sie glücklich! 15 Jahre hatten sie in ihrer alten Wohnung mit Kohle und Holz geheizt und dennoch neben den undichten Fenstern gefroren. Karl Bauer blickt wehmütig darauf zurück: "Wenigstens konnten wir dort das Holz im Keller lagern."

Die Gortes allerdings müssen sich nicht mehr ums Heizen kümmern, sie haben Zeit für die fünf Töchter und deren Familien, die zwölf Enkel und drei Urenkel - und für Spaziergänge. Als sie 1995 aus Russland nach Deutschland kamen, war Alexander Gorte 55 Jahre alt, seine Frau 52. Landwirte, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet hatten und die jetzt im Garten einen kleinen Apfelbaum stehen haben. Zwei Jahre wohnten sie in Kirchseeon, als die jüngste Tochter auszog, mussten sie in eine kleinere Wohnung umziehen, dann kamen sie nach Grafing. Sie suchten sich Arbeit, haben geputzt und gekocht. Dass sie nun, mit 75 und 73 Jahren, eine Fußbodenheizung in einer barrierefreie Wohnung haben, eine kleine Holzterrasse dazu, können sie kaum glauben. "Wir sind sehr zufrieden", sagt Emilia Gorte. Knapp 400 Euro müssen sie für die einkommensorientiert geförderte Wohnung zahlen.

Serie Sozialer Wohnungsbau

Alexander und Emilia Gorte genießen den Garten ihrer neuen Wohnung in Grafing. Mit über 70 sind sie froh, dass es dort eine Fußbodenheizung gibt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

80 Genossenschaftswohnungen gibt es in Grafing und weitere 66 städtische Wohnungen, die nach sozialen Kriterien vergeben werden. Nicht jede Wohnung ist zugig und hat Schimmelbefall. Aber viele der Berechtigten haben schon einmal in einer Wohnung in schlechtem Zustand gelebt. Auch die fünfköpfige Familie, die vor zwei Jahren in eine fast 100 Quadratmeter große Wohnung am Kurt-Rhode-Platz in Ebersberg eingezogen ist. Der Schimmel in der alten Wohnung? Es hieß, sie hätten nicht ausreichend gelüftet. Die Eltern, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen wollen, schütteln dazu nur den Kopf. Sieben Jahre haben sie mit ihren zwei Kindern in der alten Drei-Zimmer-Wohnung gelebt. Als das dritte Kind zur Welt kam, durften sie in die größere Wohnung am Kurt-Rhode-Platz umziehen. Ihnen gegenüber wohnt eine alleinstehende Dame, die ein bisschen unglücklich mit ihrem neuen Domizil ist: Kein Fahrstuhl, keine Tiefgaragen und mit der Klinik praktisch eine Dauerbaustelle vor der Nase. Das Dachfenster habe kein Rollo, sondern nur eine windige Innenjalousie. Und weil sie keinen aufgeklebten Plastikboden wollte, sondern Naturfliesen, muss sie auf die Monatsmiete 20 Euro drauflegen. Am meisten stört es sie, im "Sozialbau" zu wohnen, obwohl sie gar keine Sozialleistungen bezieht. Dabei gehe es nicht um die Nachbarn, sondern um die öffentliche Wahrnehmung, betont sie. Die einkommensorientierte Förderung schafft bewusst eine Mischung der Bewohner, die in unterschiedliche Einkommensklassen eingeteilt sind.

In Vaterstetten gibt es diese Mischung kaum, da stehen die Wohnblocks mit den Sozialwohnungen in der Baldhamer- und Carl-Orff-Straße. Eine Frau aus der Nachbarschaft spricht vom "Klein-Venedig da vorne". Eine Bewohnerin der Blocks konkretisiert: Nicht jeder Mieter habe die Mülltrennung verstanden. Ansonsten funktioniere es ganz gut. Zuletzt habe die Gemeinde sogar die Grünanlagen herrichten lassen. Nahezu alle der 78 gemeindeeigenen Sozialwohnungen hat Vaterstetten hier Anfang der Neunzigerjahre gebaut. Der Zweite Bürgermeister Martin Wagner (CSU) ist nicht ganz glücklich mit der Situation. Er sagt: "Die ursprüngliche Klientel ist nicht mehr drin, wenn sich nur ein oder zwei Parteien nicht an die Regeln halten, kippt es."

Stephanie Lohner hält sich an die Regeln. Die alleinerziehende Mutter wohnt seit 2011 mit ihrem Sohn in einer Einzimmer-Wohnung. "Ich war so froh, dass ich was hatte", sagt sie. Doch seit einem Jahr will sie raus. Benedikt ist inzwischen sechs Jahre alt, er spielt auf dem Fußboden im Wohnzimmer, das gleichzeitig Kinder- und Schlafzimmer ist. Sie habe es mit einem Hochbett probiert, um irgendwie mehr Platz zu zaubern, erzählt Lohner. Die 27-Jährige macht gerade eine Umschulung zur Metzgereifachverkäuferin. Doch letztlich blieb es bei den zwei Sofas, die abends zu Betten werden.

SZ-Serie Teil 3: Wohnen für alle: In Vaterstetten sind die Wohnungen zwar nicht schlecht, aber mitunter zu klein.

In Vaterstetten sind die Wohnungen zwar nicht schlecht, aber mitunter zu klein.

(Foto: Christian Endt)

Die Wohnung ist klein. Außer dem einen Zimmer gibt es noch eine Küche, ein Badezimmer und einen Abstellraum. 507 Euro Monatsmiete zahlt Lohner, warm. "Auch wenn es teurer ist, wir brauchen ein zweites Zimmer", sagt sie. Doch einfach umziehen, das geht nicht. Auf dem freien Wohnungsmarkt hat sie keine Chance, im Sozialwohnungsbereich wiederum ist die Fluktuation gering. Pro Jahr finden durchschnittlich nur drei Mieterwechsel im Vaterstettener Bestand statt. Hinzu kommt: Der Bedarf ist mehr als groß, 170 Bewerber stehen auf der Warteliste. "Da haben wir eine Flanke offen, das ist uns bewusst", räumt Wagner ein.

Nicht nur in Vaterstetten. In Zorneding ist die Lage vergleichbar: 140 Bewerber warten darauf, eine der 70 gemeindeeigenen Wohnungen zu bekommen. Und jeder will möglichst in ein hübsches, modernes Zuhause einziehen.

Wie wehrt sich Ebersberg gegen die Wohnungsnot in einem Landkreis, der schneller wächst als alle anderen? Die Ebersberger SZ sucht in einer achtteiligen Serie nach Antworten. Die vierte Folge erscheint am Freitag.

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