SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 5:Das Lebenswerk einer tragischen Figur

Der Baldhamer Karl-Heinz Krehbiel hat in technischer Perfektion mehrere tausend Kopien von großen und kleineren Meisterwerken angefertigt: Die Erben überließen das gewaltige Oeuvre der Stiftung Sankt Zeno, doch mehrere Ausstellungen erzielten kaum Resonanz

Von Friedhelm Buchenhorst

Mit zu den eigentümlichsten Kunstschätzen im Landkreis gehört wohl auch der Nachlass des 2005 im Alter von 78 Jahren verstorbenen Baldhamer Kunstmalers und früheren Kulissenbauers Karl-Heinz Krehbiel. Zurückgezogen in seine Wohnung hat er in akribischer Kleinarbeit wie besessen über viele Jahre hinweg mehrere tausend Bilder geschaffen: Anscheinend wahllos, kreuz und quer durch alle Kunstrichtungen und Epochen, malte Krehbiel in technisch vielfältiger und zum Teil kreativer Vorgehensweise große und kleinere Meister nach.

Allerdings respektierte er dabei stets die Ehre der Kopisten: Er schuf keine Fälschungen, sondern setzte die Originale stets in andere Formate um, benutzte abweichende Farben oder Techniken. Mit größter Präzision widmete sich Krehbiel so den unterschiedlichsten Stilrichtungen, malte höchst Modernes, Naturalistisches, Pop-Art und Klassiker wie etwa Rubens "Madonna im Blumenkranz". Dieses Lebenswerk ungeahnter Größe schlummerte in den 14 Jahren, in denen Krehbiel in Baldham wohnte, unentdeckt hinter den tristen Mauern eines alten Mehrfamilienhauses.

Ein gewaltiger Nachlass, den der Kunstmarkt indes nicht zu honorieren vermochte. Das haben wohl auch die Erben Krehbiels, zwei Töchter, geahnt, als sie die in der gesamten Wohnung raumfüllend aufgetürmte Hinterlassenschaft ihres Vaters 2006 der Stiftung Sankt Zeno vermachten, allerdings mit der Auflage, nichts davon zu verkaufen. Nach einer dreitägigen Räumungsaktion wurde der Bestand im Berufsbildungswerk in Kirchseeon eingelagert. Eine informelle Expertise durch die Zornedinger Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer bestätigte denn auch die Vermutung, dass mit dem Nachlass wohl "kein Geld zu verdienen sei". Die technische Fertigkeit an sich, so Niemeyer-Wasserer, erzeuge noch keinen Kunstwert. Erst die "Fähigkeit, sich in den Entstehungsprozess des Originals hineinzuversetzen", eine "unverwechselbare Handschrift", die Entwicklung eines "eigenen Stils", mache den Kopisten zu einem Künstler, das alles aber liege hier eigentlich nicht vor. Darin habe wohl die Tragik von Krehbiels Lebens gelegen. Gleichwohl könne es durchaus lohnend sein, so die Kunsthistorikerin, die Werke im Sinne einer "Entwicklungsgeschichte der Kopie" einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Was also tun mit einem "Kunstschatz", der sowohl in streng künstlerischem Sinne als auch monetär kein Schatz ist, sondern allenfalls ideellen Wert hat? Von dem nur einzelne Stücke bei dem ein oder andern Liebhaber eine gewisse Wertschätzung hervorrufen? In verschiedenen Ausstellungen wurde Krehbiels Werk der Öffentlichkeit präsentiert, aber leider ohne größere Resonanz. Unmittelbares Interesse fand allein Krehbiels Sammlung von hochwertigen Kunstbildbänden, die zum größten Teil schon nach kurzer Zeit an neue Leser abgegeben werden konnten.

Von seinen Werken wurden einige zeitweise zu dekorativen Zwecken in den Internatsgruppen und Mitarbeiterbüros des Berufsbildungswerkes sowie in den zur Stiftung Sankt Zeno gehörenden therapeutischen Wohngemeinschaften aufgehängt, andere wurden bei Weihnachtsfeiern verschenkt, wieder andere wurden auf speziellen Wunsch an einzelne Mitarbeiter weitergegeben.

Heute, elf Jahre nach Übergabe des Nachlasses Krehbiel, sind im Berufsbildungswerk noch hier und dort an Wänden oder in Abstellkammern Bilder zu bestaunen, die das breite, aber freilich auch unspezifische Spektrum Krehbiels erahnen lassen: Landschaftsbilder und Bauernidyllen in Öl, Aquarelle, Pastellarbeiten, fotomechanische Reproduktionen in serieller Anordnung und Kolorierung im Stil von Andy Warhol und noch manches andere. Auch im Internet kursieren einige Angebote zu Bildern von Krehbiel.

So verliert sich nach und nach die Spur der Bilder im Dunkel der Zukunft, Bilder, hervorgebracht von einem wohl einsamen Menschen, dessen inneren Antrieb niemand kennt. Und heute hat vielleicht so mancher, ohne es zu ahnen, einen echten Krehbiel in der Wohnung hängen.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

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