SZ-Serie: Was bleibt?, erste Folge:Und ewig schuften die Erben

1890 entstandenes Panoramagemälde von Nikolaus Gumberger, südlicher Landkreis Ebersberg mit Alpenkette

Das 1890 entstandene Panoramagemälde des südlichen Landkreises von Nikolaus Gumberger im Grafinger Museum.

(Foto: Anja Walz/oh)

Wenn Künstler oder Sammler ihre Schätze einem Museum oder Archiv vermachen, ist das für die Empfänger mit viel Arbeit verbunden. Das beginnt schon bei der Frage, ob man die Sachen überhaupt annimmt

Von Wieland Bögel

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Diese einst von Karl Valentin formulierte Weisheit hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren, Künstler zu sein, ist oftmals anstrengend. Aber auch wer sich mit dem Nachlass eines Künstlers beschäftigt, hat viel zu tun. Bilder, Skulpturen oder Manuskripte müssen gesichtet, konserviert und gegebenenfalls restauriert werden. Und natürlich ist es mit dem bloßen Erhalt nicht getan, die Werke sollen schließlich nicht in Kisten und Schränken dem Vergessen anheim fallen, sondern angemessen präsentiert werden. Wie dies gelingen kann, wie sich verschiedene Institutionen, Vereine oder auch Einzelpersonen um die oft sehr umfangreichen Nachlässe von Künstlern kümmern, ist Inhalt einer SZ-Serie. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Ebersberger Stadtarchiv und dem Museum der Stadt Grafing und deren Umgang mit künstlerisch wertvollen Erbstücken.

Für den Rest einer einst tödlichen Waffe gibt sich die Archivalie sehr unproblematisch. Die Kanonenkugel aus dem Dreißigjährigen Krieg, eine von mehreren im Ebersberger Stadtarchiv, ist pflegeleicht und sogar rostfrei, wie Archivleiterin Antje Berberich erläutert. Weit mehr Arbeit als mit den Hinterlassenschaften der schwedischen Truppen im 17. Jahrhundert hat man im Archiv dagegen mit dem, was von Künstlern und Sammlern am Ende ihres Lebens übrig bleibt. Fotos, Schriftstücke, Bücher, Bilder - alleine davon mehr als 2000 Stück - genau wie Skulpturen, aber auch historische Uhren, Kerzenleuchter und Türschlösser lagern derzeit im Archiv - und es wird stetig mehr.

SZ-Serie: Was bleibt?, erste Folge: Die Schreibmaschine samt Reisesouvenirs des Drehbuchschreibers und Romanschriftstellers Kurt Heuser.

Die Schreibmaschine samt Reisesouvenirs des Drehbuchschreibers und Romanschriftstellers Kurt Heuser.

(Foto: Christian Endt)

Manchmal landen Einzelstücke bei Antje Berberich im Archiv, etwa wenn irgendwo ein Speicher oder Keller ausgeräumt wird und sich dort beispielsweise ein Bild findet, das möglicherweise einem für die Stadt und ihre Geschichte bedeutenden Maler zuzuschreiben ist. "Bis aus Amerika" habe sie bereits Sendungen von Zeichnungen, Ansichtskarten, Fotos bekommen, sagt Berberich, etwa von Kindeskindern und entfernten Verwandten ehemaliger Ebersberger. Nach dem Tod von Opa oder Uropa wüssten viele nicht, was mit dessen Sammlung oder auch Schöpfungen passieren soll, "manche haben auch den Platz nicht dafür", sagt Berberich, "ich habe viel davon".

Dennoch ist dieser nicht unbegrenzt, darum kann auch nicht jeder Nachlass Teil des Stadtarchivs werden. Dafür müssten die Stücke schon einen Bezug zu Ebersberg und seiner Historie haben, wie Berberich sagt. Diesen Anspruch hat auch Bernhard Schäfer, Leiter des Grafinger Stadtmuseums, an mögliche Erbfälle. "Nur wenn es mit dem Grafinger Raum zu tun hat", könne das Museum Stücke annehmen, seien es nun Bilder, Skulpturen oder Schriftstücke. Oft sei dieser Bezug auch wichtiger als etwa der künstlerische Wert - sogar als der Marktwert, sagt Schäfer. Das Werk eines berühmten Malers, der allerdings weder in seiner Biografie noch in seinen Bildern einen Bezug zu Stadt und Region hatte, sei für das Museum unter Umständen weniger bedeutend als die Werke eines Grafinger Amateurmalers oder -fotografen, wenn darauf vielleicht Ansichten der Stadt zu sehen sind, die es längst nicht mehr gibt.

SZ-Serie: Was bleibt?, erste Folge: Der im Ebersberger Stadtarchiv verwahrte Nachlass von Hans-Heinrich Müller-Werther.

Der im Ebersberger Stadtarchiv verwahrte Nachlass von Hans-Heinrich Müller-Werther.

(Foto: Christian Endt)

Manchmal sei ein Nachlass auch einfach ungeeignet für das Museum, sagt Schäfer, "das ist für die Erben dann auch nicht schön, wenn man ablehnen muss, weil man es nicht brauchen kann". Aber schon alleine aus Platzgründen "kann ich nicht irgendein Bild ins Museum hängen, das nichts mit der Stadt oder der aktuellen Ausstellung zu tun hat". Gelegentlich könne man den Erben insofern helfen, dass man andere Institutionen vorschlägt, die vielleicht Interesse haben könnten. Was aber auch nicht immer gelinge, "manchmal müssen sich die Leute klar machen, dass es zwar ein Riesenschatz ist, den sie haben, mit dem aber keiner etwas anfangen kann".

Und auch, falls die Stücke an sich von Interesse sind, "muss man realistisch sein", sagt Schäfer. Die Frage sei "Was kann man leisten?" Konkret: Kann der Nachlass in angemessener Form erhalten und präsentiert werden? Bilder etwa "kann man nicht einfach in eine Kiste stecken, die sollten hängen". Dazu gibt es im Museum zwar einige Roll-Wände, an denen die Bilder aufgehängt und so platzsparend und übersichtlich gelagert werden können - aber der Platz ist eben trotzdem begrenzt.

Nachlass Otto und Hildegard Dressler

Auch Skulpturen, wie die von Otto Dressler geschaffenen kleinen Stelen gibt es im Archiv.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Ebersberger Stadtarchiv werden die Bilder voraussichtlich in den kommenden Monaten nach und nach an solche Rollwände umziehen, wenn der neue, "archivgerecht angelegte Großraum" im Keller des Familienzentrums fertig eingerichtet ist. Derzeit lagern die meisten noch, dick in Luftpolsterfolie eingepackt, an verschiedenen Stellen im Archiv. Der wohl größte Einzelnachlass stammt vom Ebersberger Künstler Hans-Heinrich Müller-Werther, der 2008 verstorben ist. Insgesamt sind dort rund 1000 seiner Porträts, Zeichnungen, Karikaturen, Drucktafeln, Aquarelle, Öl- und Acrylbilder, darunter zahlreiche seiner Pferdestudien, eingelagert. Müller-Werther hatte bereits 2003 mit 92 Jahren seine Werke Berberich persönlich als Dauerleihgabe überlassen. Auch der Sohn des Künstlers händigte Antje Berberich etwa 20 Gemälde und Skizzen aus.

Dass ein gutes Verhältnis mit den Erben und Nachkommen eines Künstlers oder Sammlers wichtig ist, bestätigt auch Schäfer. "Die rechtliche Seite muss man immer im Auge behalten", am besten sei es, besonders bei größeren Nachlässen, sich vertraglich abzusichern. Schließlich seien für Erhalt und Pflege der Werke auch gewisse Investitionen nötig, "wenn dann nach 30 Jahren einer kommt und es haben will, steht man vor dem Nichts". Etwa wenn der ursprüngliche Eigentümer es dem Museum geliehen habe und eigentlich vermachen wollte, die anderen Erben dies aber anfechten. Knifflig könnte unter Umständen auch die Frage des Urheberrechts werden, etwa wenn ein Maler oder Fotograf dem Museum seine Werke überlassen hat, nach dessen Tod aber die Nachkommen Ansprüche an der Verwertung anmelden, beispielsweise in Katalogen oder auf Postkarten. "Das Urheber- und Nutzungsrecht lässt sich nicht so ohne weiteres übertragen", sagt Schäfer. Allerdings habe es in Grafing bislang einen solchen Fall nicht gegeben, so Schäfer, zum Glück, "denn dafür bräuchte man einen Juristen".

Auch in Ebersberg hat man mit den Nachkommen der Künstler eher gute Erfahrungen gemacht, sagt Berberich, etwa mit der Witwe des 2006 verstorbenen Otto Dressler. Diese habe dem Archiv quasi freie Auswahl gelassen, welche Werke des Künstlers dort aufgenommen werden sollten. Zum Beispiel sechs Steinskulpturen aus dem Garten vor Dresslers Haus in Moosach, so gut eingewachsen, "die wären fast vergessen worden", sagt Berberich. Fünf der steinernen Stelen sind derzeit in einem Fundus des Archivs untergestellt, die sechste steht noch bei der Familie.

Beim jüngsten Neuzugang im Archiv unterstützen die Angehörigen sogar die Erfassung und Einordnung des Nachlasses. Es geht um das Erbe des Schriftstellers und Drehbuchschreibers Kurt Heuser, der bis zu seinem Tod im Jahr 1975 in Ebersberg gelebt hatte. Zwischen 1934 und 1967 hatte Heuser die Bücher für rund 50 Filme verfasst, teilweise sogar die Filmmusik dazu geschrieben. Genau wie mehrere Romane, darunter "Malabella - Geschichte einer Pflanzung", ein autobiografisches Werk über Heusers Zeit als Farmer in der damals portugiesischen Kolonie Ostafrika in den 1920er und 30er Jahren. Seine Aufzeichnungen und Manuskripte, tausende Fotos, Kunsthandwerk aus Afrika, Bücher und sogar seine Schreibmaschine, auf der viele der Romane und Drehbücher entstanden sind, gingen nach dem Tod von Heusers Sohn Kaspar ans Archiv.

SZ-Serie: Was bleibt?, erste Folge: Ebersbergs Stadtarchivarin Antje Berberich mit einem Buch aus dem Nachlass von Kurt Heuser.

Ebersbergs Stadtarchivarin Antje Berberich mit einem Buch aus dem Nachlass von Kurt Heuser.

(Foto: Christian Endt)

Zusammen mit der Lebensgefährtin Kaspars war die Stadtarchivarin wochenlang damit beschäftigt, das Haus der Familie Heuser zu räumen. Die Schätze, insgesamt mehr als 30 Umzugskartons, werden derzeit im Archiv von Kaspar Heusers Lebensgefährtin und Berberich gesichtet und sortiert. Auch ein Buch über Heuser ist geplant, sagt Berberich, verfassen soll es ein in diesem Ressort bekannter Professor und Afrikaforscher. Dieses soll zusammen mit anderen Stücken aus Heusers Nachlass im kommenden Jahr in einer umfangreichen Sonderausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Anspruchsvoller, als sich mit den Nachkommen eines Künstlers ins Vernehmen zu setzen, sei es oft, für die Nachlässe eine angemessene Verwendung zu finden. Für die Dressler-Stelen beispielsweise sei das mittlerweile gelungen, sie sollen bald in der Altstadtpassage aufgestellt werden. Künftig werden die Steinskulpturen die Treppen bei der Rampe des Stadtsaales schmücken - auch dies geschieht im Einverständnis mit den Nachkommen des Künstlers, sagt Berberich. Denn auch wenn ein Nachlass zur freien Verfügung überlassen wird, sollte man in so einem Fall trotzdem nachfragen: "Die Erben haben es ja in dem Vertrauen übergeben, dass damit angemessen umgegangen wird."

SZ-Serie: Was bleibt?, erste Folge: Grafings Museumsleiter Bernhard Schäfer mit einer Sammlung von Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.

Grafings Museumsleiter Bernhard Schäfer mit einer Sammlung von Fotos aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.

(Foto: Christian Endt)

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

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