SZ-Serie: Postkarten aus dem Landkreis:Kunstwerke als Grußbotschaften

Wer aktuelle Fotoaufnahmen von Vaterstetten verschicken will, hat Pech: Es gibt keine. Die Gemeinde bietet zwar eine künstlerische Alternative an, doch die gedruckten Ortsansichten von heimischen Malern finden fast keine Abnehmer

Christian Hufnagel

Eine Postkarte von Vaterstetten? Da muss der stellvertretende Bürgermeister passen: "Ich habe noch nie eine gesehen", sagt Martin Wagner, der derzeit die Geschäfte führt. Er wüsste nicht, dass es eine solche gebe. Der Interims-Rathauschef will sich aber gerne kundig machen. Und während er das tut, bleibt Zeit, sich auf die Suche nach einer aktuellen Ansicht aus der größten Landkreisgemeinde zu machen. Im Schreibwarenladen vielleicht, dessen Eingang im Einkaufszentrum geradezu vollgestellt ist - mit Ständern von Postkarten: Aber mit Grüßen aus Vaterstetten könne sie nicht dienen, bedauert die Verkäuferin. "Leider nein", lautet auch die Antwort in der Buchhandlung am Baldhamer S-Bahnhof: "Momentan gibt es nichts", sagt Matthias Pickelmann. Auch in der ehemaligen Aussegnungshalle am Friedhof, in der die Kulturhistorische Sammlung Vaterstetten untergebracht ist, könnte Brigitte Schliewen einem Touristen nicht weiterhelfen. Alte Ansichten hat sie zwar genügend, aber mit einer aktuellen könne sie nicht dienen. Nicht anders fällt das Ergebnis bei Georg Reitsberger aus, einem alteingesessenen Landwirt, Ortschronisten und eben Sammler derartiger Objekte: Luftaufnahmen aus den 90er Jahren sind alles, an was er sich erinnern kann.

Zurück im Rathaus ist der Bürgermeister inzwischen doch fündig geworden. An der Pforte gäbe es welche. Dass ihm dies entfallen war, mag nicht verwundern. Denn die Nachfrage ist "sehr, sehr gering", wie Empfangsdame Brigitte Weinberger sagt: ein Interessierter in zwei Monaten, mehr nicht. Zehn Stück verkauft sie im Jahr, zumeist an Einheimische, die Freunden einen visuellen Eindruck ihrer Heimat schicken wollen. Dabei würden die Postkarten Aufmerksamkeit verdienen: Die Gemeinde präsentiert sich auf Kunstwerken, auf vier Motiven, die aus den regelmäßigen Ausstellungen im Rathaus stammen.

Allesamt sind es natürlich Landschaftsbilder, die der 23 000 Einwohner zählenden Kommune einen beschaulichen Charakter verleihen: Das Pastell "Vaterstetten City" von Gertraud Winkler lässt den Blick über ein goldgelbes Getreidefeld auf Pfarrkirche und Rathaus schweifen. Näher herangezoomt und in den Winter versetzt hat Heinz Leutloff dieses Motiv. Seinen "Blick auf den Rathausplatz" verpasst er einen Schuss Moderne, in dem er eine der geometrisch-nüchternen Eisenplastiken aus dem Skulpturenpfad von Ingo Glass hineinkomponiert hat. Drittes Motiv ist eine Zeichnung des Reitsberger-Hofes von Melanie Kirchner. Und schließlich bereichert Ernst Strom die kleine Sammlung mit einem Ausschnitt aus Purfing, in dem in reduzierter Formensprache eine Straße auf bäuerliche Gebäude hinführt

Kunst ist also selbst als preiswerte Angelegenheit von einem Euro das Stück nur schwer verkäuflich. Und die klassische Foto-Postkarte gibt es derzeit nicht. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. So sei Vaterstetten kein Urlaubsort: "Dass Münchner zur Erholung zu uns fahren", kann sich Wagner "nicht vorstellen". Und wo keine Touristen, da ist auch kein Bedarf an Grußbotschaften. Der Bürgermeister räumt zudem ein, dass das Angebot an Kulturdenkmälern, die sich ablichten ließen, gering sei. Eine Ansicht, die Kunsthistorikerin Schliewen teilt: "Wahrscheinlich ist Vaterstetten nicht so anschaulich." Reitsberger kennt noch einen anderen Aspekt: "Es wird heute auch weniger geschrieben."

Im vergangenen Jahrhundert war dies anders. Historische Postkarten über Vaterstetten gibt es aus allen Zeiten: Angefangen von der Dorfstraße mit dem ehemaligen Wasserturm von 1912 über die "Anna-Wagner-Schule des B.D.M." von 1934, den Blick auf das noch sehr bewaldete Baldham von 1955 oder auf die späteren Reihenaussiedlungen dort aus den 70er Jahren. Die Siedlungsgeschichte lässt sich wunderbar an den alten Fotografien nachvollziehen. Deshalb plädieren die Ortschronisten dafür, neue Fotopostkarten aufzulegen: Es wären wertvolle Erinnerungsstücke, sagt Schliewen, während Reitsberger vor Augen führt, was sich in der Gemeinde mit ihrer anhaltenden Bautätigkeit und dem damit einhergehenden Abriss alter Häuser vollzieht: "Was verschwunden ist, ist verschwunden."

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