SZ-Serie: Pflegekräfte im Porträt:Mit Herz und Verstand

Pflegeserie - Patricia Auberger

Vor 25 Jahren begann Patricia Auberger im Vaterstettener Seniorenwohnpark zu arbeiten. Inzwischen leitet die 50-Jährige einen Bereich der Einrichtung, in dem bor allem demenzkranke Menschen leben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

An ihrem erstem Arbeitstag konnte Patricia Auberger kein Wort Deutsch. Heute leitet sie den geschlossenen Bereich für die meist schwer demenzkranken Bewohner im Vaterstettener Seniorenwohnpark

Von Viktoria Spinrad, Vaterstetten

Als ein Besucher sie erblickte, war er außer sich. "Sie? Das kann doch nicht sein, dass Sie hier in unserem Land als Wohnbereichsleiterin arbeiten!", schimpfte er. Eine Frau wie Patricia Auberger in leitender Funktion in einer deutschen Pflegeeinrichtung - das war für den Mann ein Affront. Die Frau mit der dunklen Haut und den dichten schwarzen Haaren hätte allen Grund gehabt, sich lautstark zu empören. Aber sie blieb ruhig - und schickte den Mann zu ihrem Chef.

15 Jahre später, die Geronto-Psychiatrische Abteilung im Vaterstettener Seniorenwohnpark. Helles Licht, im Hintergrund laufen deutsche Chansons, es ist Mittagszeit. Nach und nach nehmen die älteren Menschen an den Tischen Platz. Nur einen Bewohner zieht es in die andere Richtung. Burkhard Meisel, der eigentlich anders heißt, steht vor der Glastür, die den geschützten Bereich mit einem Pincode vom Rest der Einrichtung trennt. Auberger, 50 Jahre alt, Herzchenohrringe, Herzchen-T-Shirt, nimmt den Mann sanft am Arm. "Gehen Sie wieder spazieren? Sie haben es ja gut!", scherzt die gebürtige Nigerianerin, der Mann lacht und lässt sich von ihr bereitwillig in die Richtung bugsieren, wo es jetzt Milchreis und Auflauf gibt.

Dass Patricia Auberger den geschlossenen Bereich des Wohnparks, also den mit den Senioren mit meist schwerer Demenz, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn käme die gerontopsychiatrische Fachkraft heute ohne Ausbildung nach Bayern, würde sie noch nicht einmal mehr an einer Bayerischen Pflegeschule angenommen werden. Der Grund liegt in einer Formalität: Sie hat das B2-Sprachzertifikat nicht. Das mit dem Genitiv und dem Konjunktiv II, ohne das Bewerber aus dem Ausland ihre Ausbildung zumeist gar nicht erst antreten dürfen und ohne das ausländische Pflegeabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden.

Auberger hatte Glück. Sie kam noch zur richtigen Zeit. Als sie vor 25 Jahren zum ersten Mal den Wohnpark zum Probearbeiten betrat, ging es noch unbürokratisch zu. Und das war auch vonnöten: Denn sie konnte kein Wort Deutsch. Wie hat sie das geschafft? "Die Kollegen und Bewohner haben mich sehr unterstützt: Sie waren meine Sprachlehrer", schildert Auberger mit einem Schmunzeln. Sie zeigten auf Tische und Flaschen, korrigierten die junge Frau. "Ich habe nicht das Gefühl, dass das damals ein Nachteil für mich war", sagt Auberger. Vielleicht war die Unterhaltung mit Händen und Füßen ja in mancherlei Hinsicht sogar ein Vorteil. So oder so entwickelte sie ihre ganz eigene Philosophie der Altenpflege.

Während die Bewohner im Milchreis rühren und zu den Liedern summen, steht ein Mann an einem kleinen Tischchen an der Seite. Er nimmt sich ein Handtuch vom Stapel, wirbelt es auf, faltet es, legt es zurück auf den Stapel, den er dann flach drückt. Minutenlang geht das so. Viele in der Altenpflege mögen denken, sie tun etwas Gutes, wenn sie die Bewohner kontrollieren und die Regeln blind befolgen. "Aber die Bewohner wollen auch selber entscheiden", sagt Auberger. Autonomie wahren statt entmündigen, das ist ihr Ansatz. Zum Beispiel, wenn einer eben keine Lust auf Duschen hat. Dann macht sie eben Katzenwäsche - "und beim nächsten Anlauf sagt der Bewohner dann: Sie haben ja Recht, es ist wieder Zeit." Heute nach 25 Jahren, verrät nur noch ein leichter Akzent, dass Auberger keine deutsche Muttersprachlerin ist. Überhaupt, findet sie, wird verbale Sprache überbewertet. Ein "Schmarrn" sei es, dass ihre Kollegen, angehende Pflege-Fachkräfte abends nach acht Stunden schlauchender Arbeit noch müde in Volkshochschulen und Goethe-Instituten sitzen müssen, um die deutsche Sprache zu pauken. "Das bringt niemandem etwas, die Sprache können sie im Arbeitsalltag lernen." Und dann gibt es die Pflegehelfer, die genau deswegen auf der Karriereleiter hängen bleiben: Zwar wuppen sie den Alltag im Wohnheim "besser als manche Fachkräfte" - aber scheitern an der Grammatik im B2-Test.

Ein Problem nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für den Wohnpark. Der Grund: Die Zahl der Pflegehelfer darf die der Fachkräfte eigentlich nicht übersteigen. Anders gesagt: 50 Prozent sollen examinierte Pfleger sein. Nur sie dürfen Wunden versorgen, Blasenkatheter legen oder Spritzen geben. So aber lässt sich die Vorgabe noch schwieriger erfüllen. Auch wegen der Sprachtest-Barriere hält Auberger die 50-Prozent-Vorgabe für unrealistisch - aber auch für überflüssig. "Das mag gut für die Politiker klingen. Dabei können Pflegehelfer 99 Prozent der Aufgaben machen, wenn man sie richtig schult", ist sie überzeugt.

Mittlerweile hat sich auch eine weitere Frau an den Tisch gesetzt. "Schön, dass Sie rausgekommen sind. Sonst sind Sie ja immer im Zimmer", bemerkt Auberger, die Frau strahlt. Auberger zupft ihr etwas schiefes T-Shirt zurecht. "So, jetzt ist's richtig". Anzupacken gibt es viel aus ihrer Sicht. Nicht nur hier, im geschützten Bereich. Sondern auch auf der großen politischen Bühne. Kürzlich haben das Arbeits-, Wirtschafts und Familienministerium des Bundes gemeinsam ein Bündel an Maßnahmen angekündigt: Unter anderem wollen sie ausländischen Pflegekräften sechs Monate geben, um hier einen Job zu finden. Kann das funktionieren? Auberger ist skeptisch. "Sechs Monate sind zu wenig", sagt sie. Und überhaupt würde das nur funktionieren, wenn andere Pflegekräfte frei gestellt würden, um die neuen Kollegen gut einzuarbeiten. Um die Helfershände aus dem Ausland zu integrieren, ohne die das deutsche Pflegesystem wohl längst zusammengebrochen wäre.

Wären da nicht Menschen wie Patricia Auberger, die sich nicht unterkriegen lassen. Nachdem sie der Besucher seinerzeit rassistisch beleidigt hatte, stellte ihn der Leiter des Wohnparks vor die Wahl: Die farbige Stations-Leiterin akzeptieren - oder sich für seinen Angehörigen eine neue Einrichtung suchen. Der Mann zog seinen Vater aus dem Wohnpark um. Auberger blieb.

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