Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie Kunst im Rathaus:Im Blick der alten Dame

Lesezeit: 3 min

Ein kleiner Rundgang durch die Amtsstuben des Landkreises: Wer Lust auf Museales hat, kann sich im Rathaus Ebersberg umschauen

Von Franziska Langhammer

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hatte eine Vorliebe für die Grafikdrucke von Edward Ruscha, Helmut Schmidt bevorzugte nordische Künstler wie Emil Nolde. Doch was hängt wohl über den Schreibtischen unserer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister? Dieser Frage geht die SZ Ebersberg in der Serie "Kunst im Rathaus" nach: ein kleiner Rundgang durch die Amtsstuben im Landkreis.

Wenn Walter Brilmayer von seinem liebsten Gemälde spricht, steht ihm die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. "Diese Technik, dieser absolut authentische Eindruck - das ist einfach unglaublich faszinierend", sagt er und deutet auf ein mit Kohlestift gefertigtes Porträt aus der Feder des Ebersberger Künstlers Josef Brendle. Es zeigt die Kastenwirtin von Grafing um 1920, die mit ernstem Blick dem Betrachter entgegen schaut; erst bei näherem Hinsehen entdeckt man die unzähligen feinen Kohlestriche, die ein stimmiges Gesamtbild zaubern - das Ganze ist auf derbem, rötlichem Packpapier festgehalten. "Daran sieht man, was für ein unglaublicher Künstler dieser Brendle war", sagt Brilmayer. Das Porträt ist eine Schenkung und hängt rechts neben dem Schreibtisch des Ebersberger Bürgermeisters; jeden Morgen, wenn er sein Büro betritt, wird er also von dem stummen, würdevollen Blick dieser alten Dame empfangen.

Die Frau, die sich linker Hand vom Schreibtisch des Bürgermeisters auf einem Ölbild präsentiert, ist die Malerin Elsa Plach in einem Selbstporträt. Eine schwarze, kurze Lockenmähne umspielt ihr Gesicht; ernst und distanziert blickt sie am Betrachter vorbei ins Leere. Der Matrosenkragen, der aus ihrem Hemd spitzt, lässt sie dabei jünger und kindlicher wirken, als sie wahrscheinlich ist.

Beide Künstler - Elsa Plach, die bis 1953 lebte, und Josef Brendle, der 1954 starb - stammen aus Ebersberg und waren schon zu Lebzeiten überregional angesehene Künstler. Um ihr Andenken hochzuhalten, wurden nicht nur Straßen in der Kreisstadt nach ihnen benannt; viele ihrer Werke zieren heute das Rathaus und sind damit auch für die Besucher immer zugänglich. Im Bürgermeisterzimmer etwa finden sich außerdem zwei Landschaftsmalereien Brendles, der selbst passionierter Bergsteiger und Naturfan war. Zudem stammt von Brendle ein Bildnis des Mäzenen und Arztes Theodor Floßmann, das einen ganz besonderen Ehrenplatz im Rathaus einnimmt: Es befindet sich im Sitzungssaal und blickt dort gewissermaßen dem Bürgermeister über die Schulter.

Die Bilder und Kunstwerke, die das Rathaus schmücken, sind zum Teil angekauft, zum Teil durch Schenkungen in den Besitz der Stadt gelangt. Manche haben abenteuerliche Geschichten hinter sich. "Wir warten, was der Zufall uns vorbeibläst", formuliert das Bürgermeister Brilmayer. Gut 25 Gemälde von Elsa Plach zum Beispiel, die trotz ihrer Bekanntheit zeitlebens kaum Geld hatte und für ein Butterbrot schon einmal eine Kohlezeichnung anfertigte, tauchten Anfang der 2000er Jahre im Nachlass einer alten Dame auf. Die Frau hatte der Stadt ihr Haus vermacht. Es stellte sich heraus, dass sie früher mit Plach und ihrer Familie zusammen unter einem Dach gelebt und später einige ihrer Kunstwerke beherbergt hatte. Nach dem Tod der Dame tauchten überall im Haus Gemälde auf - hinter dem Kühlschrank, auf dem Speicher, im feuchten Keller. "Viele von den Bildern waren in grässlichem Zustand", erinnert sich Antje Berberich, Archivarin und Galeristin der Stadt. Vor einigen Jahren waren Plachs Werke in einer Ausstellung zu sehen, nun sind viele davon Bestandteil des Ebersberger Kunstarchivs.

Als wahre Fundgrube geschichtsträchtiger Werke entpuppt sich der Sitzungssaal des Rathauses. An den Wänden entspinnt sich in filigraner Schrift ein Fries von Erich Zmarsly (1919 bis 1996), das die Geschichte Ebersbergs bis ins Jahr 1951 zusammenfasst. Zmarsly war vor allem ein Künstler des öffentlichen Raumes, er bemalte die Außenseiten von Gasthöfen genauso wie Schilder und Hauswände.

Und auch sonst heißt es im Ebersberger Sitzungssaal eher Klotzen als Kleckern: Die Kronleuchter wurden von dem Kunstschmied und Ehrenbürger Manfred Bergmeister gefertigt; in einer Ecke steht eine Originalnachbildung der Altöttinger Madonna, gefertigt etwa zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Bis in die 1980er stand das gute Stück an der Außenseite des Rathauses, musste dann aber wegen der zunehmenden Luftverschmutzung hereingeholt werden. Nun blickt eine Kopie aus Gips von den Außengemäuern des Rathauses auf die Passanten herab. Immer noch nicht vollständig geklärt ist die Identität der Heiligenfigur, die mit einem goldenen Turban und goldenem Leintuch bestückt eine weitere Ecke des Saales ziert. "Zu meinen Schulzeiten hieß es immer, das ist der Heilige Sebastian", sagt Brilmayer, "obwohl ihm die Pfeile abgehen." Archivarin Berberich will dem Ganzen demnächst mit einer Expertin auf den Grund gehen.

Liebhaber moderner Kunst werden sich schlussendlich im Treppenhaus des Rathauses wohlfühlen: Hier hängen Werke aus den vergangenen dreißig Jahren, die vornehmlich aus den vergangenen Jahresausstellungen des Kunstvereins Ebersberg angekauft wurden, darunter ein Werk des international bekannten Künstlers Peter Casagrande.

Mittlerweile verfügt die Stadt Ebersberg über etwa 3000 Originale, die nun in einem neuen Archiv untergebracht werden sollen. Wer also in Museumslaune ist, aber keine Lust auf die Fahrt nach München hat, kann stattdessen dem Rathaus Ebersberg einen kleinen Besuch abstatten; das Angebot ist so reichhaltig wie abwechslungsreich - und in einer einzigen Tour geschichtlich kaum aufzuarbeiten.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2018
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