SZ-Serie "Kraftakt", Folge 10:Gesicht zeigen

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Den Menschen im Patienten sehen - das ist das oberste Gebot der Palliativmedizin. Alexander Daxenberger befolgt es sehr gerne. (Foto: Christian Endt)

Alexander Daxenberger arbeitet als Krankenpfleger in der ambulanten Palliativmedizin - aus Überzeugung

Von Johanna Feckl, Ebersberg

"Und, macht's denn Spaß, anderen Menschen den Arsch abzuwischen?" Solche und ähnliche rhetorische Fragen hört Alexander Daxenberger immer wieder. Er arbeitet als Gesundheits- und Krankenpfleger in der ambulanten Palliativversorgung. Und sagt: Der Respekt in der Gesellschaft vor seinem Berufszweig sei gering - so gering, dass nur wenige mit Stolz und Freude von ihrer Arbeit erzählen würden. Stattdessen verstummen sie. Bedauerlicherweise, meint Daxenberger. Denn so verfestigten sich die Vorurteile nur. "Die Pflege hat einfach viel zu wenig Gesicht!" Der 25-Jährige hingegen zeigt seines: Ein Pseudonym kommt für ihn nicht in Frage. Er trägt ein grünes Sweatshirt, seine langen blonden Haare hat er zu einem Zopf gebunden, aus seinem Gesicht sticht eine schwarze eckige Brille hervor. Und Daxenberger spricht bei einer Apfelschorle ganz offen über seine Arbeit.

"Ich bin stolz darauf, eine Pflegekraft zu sein." Aus Daxenbergers Stimme spricht keine Spur von Arroganz. Sondern die feste Überzeugung, dass seine Arbeit etwas Gutes bewirkt, dass er damit Menschen hilft, dass er einen Teil zum Funktionieren der Gesellschaft leistet. Es gehöre viel dazu, Pfleger zu sein, betont Daxenberger: Einfühlungsvermögen. Toleranz. Respekt. Und viel Fachwissen. Nicht jeder sei für diesen Job geeignet. "Von einem Ausbildungsjahrgang, der mit 32 Leuten beginnt, bleiben am Ende vielleicht 15 oder 16 übrig."

Alexander Daxenberger ist einer von den Übriggebliebenen. Seit fast drei Jahren arbeitet er im ambulanten Palliativteam der Caritas - dazu absolvierte er eine Weiterbildung zur Fachpflegekraft Palliativcare. Diese Therapieform kommt dann zum Einsatz, wenn eine Krankheit nicht mehr heilbar ist. Dann geht es darum, den Patienten ihr verbleibendes Leben mit medizinischer Hilfe so angenehm wie möglich zu gestalten.

Für Daxenberger ist das palliative Spektrum ein besonderes. "Dort heißt es nicht: Das hier am Fenster ist die Schenkelhalsfraktur 22b, gib dem mal eine Spritze", erklärt er. Stattdessen: "Das hier ist Herr Müller. Er gehört der Kriegsgeneration an und hat panische Angst im Dunkeln, deswegen bitte immer das Licht anlassen." Es ist diese Ganzheitlichkeit, die ihn von seiner Arbeit überzeugt: Man betrachte den Patienten eben nicht nur als Krankheitsbild, sondern immer auch als Menschen.

Freilich gelte eine solche Herangehensweise eigentlich für alle Bereiche der Pflege, betont der 25-Jährige. Aber: Die Palliativpflege hat einen höheren Personalschlüssel, und das gilt nicht nur für den stationären Bereich. "Wenn ein Pfleger im normalen ambulanten Bereich arbeitet, peitscht er durch die Tage und Touren hindurch", sagt Daxenberger. Wenig Pflegekräfte, die sich um viele kranke Menschen kümmern müssen, bedeutet: Weniger Zeit für den einzelnen Kranken. Und dieser Zeitmangel zwinge dazu, über manche Dinge hinwegzusehen. Andernfalls würde man es gar nicht schaffen, alle Patienten zu sehen, so der 25-Jährige.

Es ist noch nicht lange her, da hatte Daxenberger eine andere Meinung über die palliative Patientenversorgung. "Ich dachte, dass ich dort tote Menschen wasche", erinnert er sich an seine Ausbildungszeit. Mit seiner Einstellung war der 25-Jährige nicht alleine. Er erzählt von einer Ärztin, die ihm einmal sagte, dass es ein Grab für sämtliche Ambitionen sei, Patienten ohne Perspektive auf Heilung zu behandeln. Nach einigen Tagen auf der Palliativstation war ihm aber klar, dass die Ärztin falsch lag - und dass er selbst auch einem Vorurteil aufgesessen war. Denn obwohl klar ist, dass ein Mensch an seiner Erkrankung in absehbarer Zeit sterben wird: "Man kann noch so viel tun!"

Damit Daxenberger etwas tun kann, spannt sich während seiner Schichten ein schwarzes schnurloses Headset um sein rechtes Ohr. Manchmal klingelt es. Was er dann zu hören bekommt, ist sehr unterschiedlich: Es kann sein, dass ein Angehöriger nicht weiß, was er tun soll, weil der Patient schwer atmet, röchelt. Oft helfen hier schon ein paar beruhigende Worte und klare Anweisungen am Telefon. In anderen Fällen berichtet der Angehörige aber von starken Blutungen. Dann fährt Daxenberger sofort los. Beim Patienten ist er aber niemals alleine. Das ambulante Palliativteam besteht immer aus einer Pflegekraft und einem Arzt oder einer Ärztin. So sind die Vorschriften. Denn: "Ohne ärztliche Anweisung darf ich nichts tun, zum Beispiel Medikamente an- oder absetzen", erklärt Daxenberger. Obwohl er solche Dinge während seiner Ausbildung gelernt hat.

Daxenberger ist sich sicher, das Ansehen von Pflegekräften wäre anders, würde ihnen mehr Autonomie eingeräumt. Aus seiner Sicht wird die Pflege in Deutschland nicht als eigenständige Berufsgruppe wahrgenommen. "Für viele sind wir Hiwis" - also Hilfskräfte.

Wenn man dem 25-Jährigen zuhört, wie er von seiner täglichen Arbeit erzählt, ist klar, dass er kein Handlanger ist. Er ist Bestandteil eines multiprofessionellen Teams. Auch das bedeutet Ganzheitlichkeit: Jeder hat seinen Aufgabenbereich, und nur, wenn diese miteinander verbunden sind, ergibt das eine optimale medizinische Versorgung.

Diesen Grundsatz rundet ab, dass Daxenberger auch Trauerbegleiter ist. "Unsere Arbeit endet nicht, wenn der Patient stirbt oder stationär verlegt wird." Die Trauerbegleitung ist ein Angebot der Caritas für Angehörige eines Verstorbenen: Trauertreffen und -cafés oder Gedenkspaziergänge - die Auswahl ist groß. "Trauern ist bunt und etwas ganz individuelles, immer richtig und niemals falsch", sagt Daxenberger. Die Aufgabe von ihm und seinen Kollegen sei es, das jeweilige "wie" des Trauerprozesses zu unterstützen. Er lächelt. "Wenn man zu den Menschen geht und das Gefühl hat, etwas zu bewegen, dann ist die Resignation ziemlich weit weg", sagt der 25-Jährige. "Und ein solches Gefühl habe ich."

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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