Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie:Im Gänsemarsch aufs Schafott

Seit dem Sommer zieht Elisabeth Gerlmaier auf ihrem Geflügelhof Federvieh auf, das als Festtagsbraten endet. Zuvor will die Landwirtin den Tieren das Leben aber so schön wie möglich machen

Alexandra Rudhart

- "Ihr Ziel befindet sich auf einer schwer befahrbaren Straße", moniert das Navi. Und tatsächlich führt ein holpriger, steiniger Schotterweg zum Geflügelhof Gerlmaier in Forstern. Auf einer Anhöhe, umgeben von Wiesen und Feldern, deren saftiges Grün mitten im Dezember nur zu erahnen ist, befindet sich der landwirtschaftliche Betrieb von Martin und Elisabeth Gerlmaier, die hier schon seit Generationen Enten, Gänse, Hähnchen und Puten aufziehen, schlachten und seit 17 Jahren auch im eigenen Hofladen verkaufen. Ein Pfau schreitet majestätisch über den Hof und wirkt in dieser Umgebung irgendwie fehl am Platz. Hinter den Stallungen schnattern die Gänse und bewegen sich wie eine Woge von einer Ecke des Gatters hin zu einem Tümpel, wo das Federvieh plantscht und ständig in Bewegung ist.

Da kommt Elisabeth Gerlmaier mit einem kleinen Lieferwagen die Straße hinaufgezuckelt, steigt schwungvoll aus und ist pünktlich wie die Uhr da, zum vereinbarten Termin. Warm angezogen ist sie, bei der Arbeit auf dem Hof muss man sich im Winter richtig rüsten, um der Kälte zu trotzen. Ställe ausmisten, die Tiere füttern, mit dem Traktor herumfahren - die Arbeit hier ist nichts für zimperliche Gemüter. Unter einer dicken Wollmütze strahlen einen wache, eisblaue Augen an und man sieht, auf dem Hof ist Elisabeth Germlaier in ihrem Element. 800 namen- und sogar nummernlose Gänse werden hier seit dem Sommer aufgezogen und gemästet, damit sie pünktlich zum Fest als duftende Braten in den guten Stuben auf festlich gedeckten Tischen stehen. "Weihnachten sind sie alle tot", sagt sie. "Leider. Gott sei Dank." Da schlagen zwei Herzen in ihrer Brust, "einerseits mag ich die Tiere schon", erklärt elisabeth Gerlmaier. "Aber andererseits leben wir ja auch davon".

Bei den Gerlmaiers haben die Gänse eine Lebenserwartung von vier bis fünf Monaten. Damit sind die Tiere im Vergleich zu polnischen oder ungarischen Mastgänsen, die mit neun bis zwölf Wochen geschlachtet werden, echte Omas und Opas. Überhaupt haben es die Freilandgänse au fdem Hof in Forstern ziemlich gut. Sie haben ausreichend Auslauf, im Spätsommer dürfen sie sogar zum Abweiden raus auf die abgeernteten Felder und sie bekommen hochwertiges Kraftfutter, das aus eigenem Getreide hergestellt wird. Aber am Ende steht allen das unausweichliche, bittere Ende bevor. Noch nicht einmal davonfliegen könnten sie, sähen sie ihr Schicksal denn kommen. Die Eigenschaft des Fliegens ist diesen Züchtungen nicht mehr gegönnt, auch eine natürliche Fortpflanzung ist für sie nicht mehr vorgesehen. Eine Woche vor Weihnachten ist dann auf dem Geflügelhof Gerlmaier Ausnahmezustand, denn da wird geschlachtet. Die ganze Familie ist mit dabei: die vier erwachsenen Kinder, Schwester, Mutter - alle kennen das Prozedere seit Jahren oder Jahrzehnten, da sitzt jeder Handgriff und das muss er auch. 800 Gänse zu schlachten, das ist nicht nur Knochenarbeit, sondern auch nervlich eine besondere Herausforderung, lässt sich doch kein Tier so ganz freiwillig buchstäblich den Kopf abhacken. Erst einmal muss die Gans gefangen werden, dann wird sie betäubt, geköpft und in heißem Wasser abgebrüht. Das Rupfen der Federn übernimmt eine Rupfmaschine, die Eingeweide werden dann wieder per Hand ausgenommen und anschließend kommt die Gans in die Kühlung. "Was den Gänsen bei uns erspart bleibt, ist der Transportweg zum Schlachthof", sagt die 49-jährige Hofchefin . "Das Adrenalin, das die Tiere dabei ausschütten, ist Gift für die Fleischqualität, es schmeckt dann nicht mehr gut", sagt Gerlmaier und ergänzt: "Es gibt nicht mehr viele Betriebe, die eine eigene Schlachtung haben, dafür braucht man ja auch eine Menge Wissen und Erfahrung."

Die Tage vor Weihnachten herrscht dann im Hofladen Hochbetrieb, wo neben ein paar Wochenmärkten der Großteil der Gänse verkauft wird. Trotz der guten Lebens- und Schlachtbedingungen verlangen die Gerlmaiers einen verhältnismäßig günstigen Preis: 8,90 Euro pro Kilogramm, was bei einer durchschnittlichen Gans von sechs Kilogramm etwa 53 Euro ausmacht. Gerlmaier kennt andere Betriebe im Umkreis von München, die zehn bis zwölf Euro pro Kilogramm verlangen. Deswegen heben sie aber ihre Preise nicht an, nur weil der Markt es eventuell hergeben würde: "Wir verlangen das, was wir aus unserer Sicht auch bereit wären, zu bezahlen." Natürlich können sie nicht mit Discounter-Preisen mithalten, wo ein ganze Gans schon für 25 Euro zu haben sei. "Aber es gibt genug Leute, denen es wert ist, für ein regionales Produkt, von deren Haltungsbedingungen sie sich überzeugen können, auch entsprechend mehr zu zahlen". Auch die Gerlmaiers essen zu Weihnachten Gans, da sitzt dann die ganze Familie gemeinsam in der Stube und verzehrt die Früchte der eigenen Arbeit. Bis August gibt es dann keine Gänse auf dem Hof - bis der Kreislauf wieder von vorn beginnt, wenn die Gänse im Alter von zwei Wochen aus der Brüterei auf dem Hof eintreffen.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2012
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