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SZ-Serie: Heimatforscher:Das Leben in den Akten sehen

Von Rom bis zum Landtag: Peter Maicher aus Zorneding pflegt zwei Leidenschaften, Politik und Geschichte. So nimmt es nicht wunder, dass der 77-Jährige Heimatforscher sich zuletzt intensiv mit zwei der ersten bayerischen Abgeordneten beschäftigt hat

Dass Peter Maicher sein Berufsleben mit Politikern verbracht hat, bemerkt man an Kleinigkeiten. Zum Beispiel an der Fähigkeit, zwischen zwei Sätzen eine Denkpause einzulegen, die fast schon kunstvoll lange andauert, bevor sich aus der Stille ein neuer Gedanke löst. Als ob Martin Schulz, ein Paradebeispiel für diese Politikerpausen, da gerade auf der Pöringer Terrasse sitzt und selbstgebackenen Erdbeerkuchen isst. Wobei Schulz für Maicher ansonsten kein guter Vergleich ist: Der Pöringer ist CSU-Mitglied, er hat kein rotes Parteibuch. Was wieder zu seinem Berufsleben in der unmittelbaren Nähe von Politikern führt: Der 77-Jährige war kulturpolitischer Referent der CSU-Fraktion im Landtag, Pressesprecher des damaligen Kultusminister Hans Zehetmair, dann Geschäftsführer der Fraktion unter Alois Glück und schließlich, bis zu seiner Pension 2009, Direktor des Bayerischen Landtags. Schon seit seiner Kindheit fasziniert ihn neben der Politik auch die Geschichte, seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit der Ortsgeschichte seines Wohnorts Zorneding und von Moosach, wo Maicher zuvor lange wohnte.

Die Faszination für die Vergangenheit habe er schon gespürt, als er im Klassenzimmer der Volksschule saß. Sein Vater unterrichtete, wie damals üblich, mehrere Jahrgänge auf einmal - und weil Maicher oft schneller mit seinen Aufgaben fertig war, hörte er eben beim Stoff der älteren Jahrgänge zu. Seitdem liebe er die Antike. Er erinnere sich auch an einen Urlaub in seiner Kindheit und daran, wie er als kleiner Junge damals ganz fasziniert vor einer Römerstatue in Mainz gestanden sei. Aus der Faszination entstand auch sein Berufswunsch: "Mit zehn Jahren hab ich schon gewusst: Ich will Lehrer für Latein und Griechisch werden."

Ein paar Jahre kommt es auch so, lange unterrichtet Maicher aber nicht am Gymnasium. Schuld daran: "meine journalistische Tätigkeit". Maicher schrieb damals schon für das Magazin "Schule und Wir" des Kultusministeriums. 1976 wurde er kulturpolitischer Referent der CSU-Fraktion im Landtag. In dem Gebäude "habe ich dann den Rest meines Berufslebens verbracht." Dass er sich selbst als "Mann der konservativen Mitte" sieht, habe da indes keine Rolle gespielt, versichert er: Bei seiner Besetzung habe man gar nicht gewusst, dass er bereits CSU-Mitglied war. Ein Geheimnis hat Maicher wahrscheinlich auch nicht draus gemacht.

Zumindest war er damals nicht erst seit gestern in der CSU. Als Student habe er die 68er an der Uni erlebt. "Die haben die Professoren von den Pulten gezerrt", erinnert er sich, "das habe ich als entwürdigend empfunden". Das sei letztlich der Grund gewesen, warum er bei den Christsozialen eingetreten sei. Und weil ihn eine Aufgabe in der Abiturklasse politisch nachhaltig geprägt hat: Er habe über Robespierre ein Referat gehalten, der es ja geschafft habe, nach der Französischen Revolution ein Terrorregime aufzubauen, das manche die Monarchie vermissen ließ. Eine zweifelhafte Ehre. Maicher sah darin "einen Mann, der vom Idealismus zerfressen wurde". Das habe ihn zeit seines Lebens geprägt, deswegen lehne er jedweden Extremismus ab, sagt er noch heute, Jahrzehnte später. Für ihn bedeute Fortschritt immer das Weiterentwickeln des Bestehenden, das sei der konservative Gedanke. Maicher vergleicht das mit einem altem Haus: Er würde ein solches immer lieber erhalten und modernisieren - anstatt es abzureißen.

Für ein bedeutendes Haus war Maicher dann auch lange, von 1998 bis 2009, verantwortlich, als Direktor des Bayerischen Landtags. Da sei man für alles zuständig, was mit dem Haus zusammenhänge. Wirklich alles. Maicher erzählt von einem Empfang, er war gerade im netten Small Talk, was man eben so macht bei gesellschaftlichen Anlässen. Als ein Mitarbeiter auf ihn zugelaufen kam: "Herr Maicher, das Klopapier ist alle", so erinnert sich der 77-Jährige und schmunzelt. Als Direktor sei man eben dafür zuständig, dass alles im Landtag seinen Gang nehmen könne, von der hohen Politik bis zur Toilette.

Vermutlich interessiert den Historiker Maicher auch wegen seines Berufslebens das historische Parlament ganz besonders. So hat er sich zum Beispiel ausführlich zwei Landtagsabgeordneten der ersten Stunde gewidmet: Als König Max I. Joseph 1819 die Ständeversammlung eröffnete, standen sich Anton Grandauer, Zornedinger Bauer, und Anton von Hofstetten, Schloss- und Hofmarkherr des Falkenberger Schlosses, gegenüber. Maicher wühlte sich hinein in die Archive und die Arbeiten des Zornedinger Heimatkundekreises, um die so unterschiedlichen Persönlichkeiten darzustellen. Dabei ist Maicher sehr wichtig zu betonen, dass historische Arbeit nur im Team möglich sei.

An Grandauer und von Hofstetten erzählt der Pöringer vom Bayern des frühen 19. Jahrhunderts, als das Kurfürstentum dem Königreich wich und die Säkularisierung die Klöster verschlang. Wer diese Aufsätze liest, versteht Maicher besser, wenn er sagt: "Ich sehe immer das Leben in den Akten." Denn was er zum "g'standenen Bauern Grandauer" zusammengetragen hat - nun ja, mehr Leben geht wohl kaum: "Im Jahre 1805, Grandauers vormalige Stiefmutter und jetzige Ehefrau ist inzwischen 66 Jahre alt, wird ihm ein unehelicher Sohn Georg geboren. Dessen Mutter ist die erst 19-jährige Wirtstochter Katharina aus Lampferding. Dann tritt eine weitere junge Frau in Grandauers Leben: die 32 Jahre jüngere Elisabeth. Von ihr bekommt Grandauer 1814 die uneheliche Tochter Antonia." Soso.

Direkt langweilig wirkt dagegen das Leben des Kollegen von Hofstetten, wenngleich sich seine Laufbahn dramatisch gestaltete: Wenn man so will, flog er gleich zwei Mal aus den Regierungsgeschäften. Das erste Mal, als sein Vater den Reformen Montgelas' zum Opfer fiel und der Sohn die sicher geglaubte Nachfolge im Regierungsamt am Königshof verlor. Nach einigen Jahren in der Justiz, unter anderem als Richter, folgte die Wahl in die Ständeversammlung. Doch schon nach ein paar Jahren war wieder Schluss, obwohl er 1825 eigentlich mit einem fabelhaften Ergebnis wiedergewählt worden war. Allerdings ließ der König von Hofstetten nicht mehr zur Abgeordnetenkammer zu. Offizielle Begründung: Dieser habe die Sitzungen nur zur "Erholung und Gemüths-Erheiterung" genutzt - dabei war er, wie Maicher anhand von Reden und Anträgen belegt, ein umtriebiger Vertreter seines Standes gewesen. Vielleicht zu umtriebig? "Allen war klar, dass der Ausschluss ausschließlich politische Gründe hatte", bewertet Maicher. Möglicherweise hatte sich von Hofstetten zu aktiv gegen die überbordende Bürokratie und für seine Mitarbeiter eingesetzt, zumindest erscheint das plausibel.

Historikerserie

Das Porträt von Peter Maicher aus Zorneding ist die zweite Folge einer Serie über Ortschronisten und Historiker, die in den Gemeinden und im Kreis Ebersberg dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht vergessen und die Gegenwart in historischen Kontext gesetzt wird. Die Teile der Reihe werden in lockerer Folge in den kommenden Wochen im Ebersberger Teil der SZ erscheinen.

In der Gegenüberstellung der beiden Abgeordneten, die gerade einmal zehn Kilometer voneinander entfernt gelebt haben, gelingt Maicher vieles zugleich: Er skizziert die Anfänge des bayerischen Parlaments, zeigt dessen politische Grenzen auf - und gibt Einblick in eine Gesellschaft im Umbruch. Sein Fazit? "Ich glaube, dass der Grandauer glücklicher war." Klar, da war mehr Leben in den Akten.

Bei Maicher selbst kommt das Leben trotz der vielen historischen Akten nicht zu kurz. "Meine Frau sorgt dafür, dass wir immer wieder Golf spielen." Er kümmere sich außerdem um den Garten. Als es noch möglich war, reiste das Paar auch viel. Wie damals, als der junge Peter Maicher vor einer römischen Statue stand und die Faszination von Geschichte für sich entdeckte.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2021
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