Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Der Start ins Amt:Kathrin Alte ist in Anzing als Bürgermeisterin angekommen

Die neue Anzinger Rathauschefin Kathrin Alte schaut mit einem weiblichen Blick auf die Kommunalpolitik und will die Gemeindeentwicklung entsprechend prägen.

Von Alexandra Leuthner, Anzing

"In Anzing sind die Wege kurz", hatte Kathrin Alte geschrieben auf die Anfrage nach einem Besuch und einem Resümee ihrer ersten 100 Tage im Amt als Bürgermeisterin. Also, ja, einen Spaziergang durch den Ort, den könne sie sich gut vorstellen. Nun ist es zwar nicht so, dass es rund um den Ortskern mit Rathaus, Kirche und Wirt nicht noch mehr gäbe, was die Anzinger beschäftigt, ein neues Wohngebiet am Ortsrand Richtung Parsdorf etwa, um dem Siedlungsdruck gerecht zu werden, oder die Suche nach Flächen für neues Gewerbe - um die Infrastruktur für die kommenden Neubürger auch finanzieren zu können.

Doch auf einer kleinen Wanderung von der Grundschule und der dahinter liegenden Baustelle für das Flexhaus vorbei an Rathaus, zwei Bäckereien, dem einzigartigen Gemischtwarenladen Lettenbichler und einem Supermarkt bis zu Apotheke und Post, kann die neue Bürgermeisterin dem Besucher schon viel von dem zeigen, was die Inhalte ihrer Amtszeit in den kommenden Jahren bestimmen wird.

Wobei der Spatenstich für das Flexhaus schon gesetzt ist, die Planungen noch unter der Ägide ihres Vorgängers Franz Finauer unter Dach und Fach gebracht worden sind. Der Ausbau der Grundschule zur offenen Ganztagsschule soll mit dem Gebäude zur Kinderbetreuung inklusive Mensa ermöglicht werden. Annähernd 6,7 Millionen Euro gibt die Gemeinde dafür aus, weitere knapp 4,3 Millionen investiert sie in ein Kinderhaus für den Nachwuchs zwischen null und sechs. 2022 soll alles fertig sein, 180 Kinder dann ganztägig untergebracht werden können, aber Corona hat alles erst einmal verzögert. "Zwei Jahre sind eine lange Zeit, da sind Kredite aufgenommen worden. Das müssen wir jetzt erst einmal über die Bühne bringen", sagt Alte.

Sie sei keine, die viel versprechen und dann nichts halten wolle, das macht sie deutlich. Große Sprünge könne man sich angesichts des Haushalts und der bereits beschlossenen Investitionen nicht leisten. Eine Sanierung des Ortskerns, für die Anzing gerade 30 000 Euro aus dem Programm der Bayerischen Städtebauförderung erhalten hat, wird noch ein wenig warten müssen. Was nicht heißt, dass nichts vorangehen soll. "Mir ist wichtig, dass der Einzelhandel im Ortskern bleibt", sagt Alte. Aber abgesehen davon kommen auch jede Menge drängende Pflichtaufgaben auf die neue Bürgermeisterin zu. Die Erneuerung der Schulturnhalle etwa, "Pflichtaufgabe", wie Alte erklärt, die müsse auf jeden Fall in den nächsten Jahren saniert werden. Gleiches gelte für die Schultoiletten, "nicht gerade ein Prestigeprojekt", sagt sie mit einem Schmunzeln.

Mehr Öffentlichkeitswirkung wird sie wohl mit dem Einbau einer Fußgängerampel erreichen, die sie unbedingt zu einer festen Einrichtung machen will, auch wenn sie sich dafür mit dem Straßenbauamt anlegen muss. Momentan steht eine mobile Ampelanlage an der Hörgerstraße zwischen Rat- und Gemeindehaus, bis Dezember soll sie dort bleiben.

"Wir müssen 50 Drücker haben zwischen sieben und neun Uhr, das aber schafft niemand", schimpft sie. "Eine Ampelverhinderungsvorschrift ist das. Aber Sicherheit geht vor", sagt sie, für Senioren, die zum Pflegestern wollen, für Kinder auf dem Weg zur Schule. "Wir haben hier zwei Schulweghelfer stehen in der Früh. Und in der Rush-Hour kommt man kaum über die Straße". Bei Stau auf der A94 - wenn Anzing als Umgehung genutzt wird - sei es noch schlimmer. "Ich sehe keine Alternative." Im Zweifel werde die Gemeinde die Ampel selber bezahlen müssen. "Eine nicht unerhebliche Investition", für die sie die Entscheidung des Gemeinderats brauche.

Ob sich Kathrin Alte ihre Entschiedenheit bewahren kann, wird auch ein anderes Projekt zeigen: der Ausbau der Fahrradwege im Ort. Ein zweiter Bürgerworkshop soll sich im Herbst mit dem Thema beschäftigen. Auch eine weitere Querungshilfe über die Hörgerstraße, auf Höhe der Apotheke, soll dann aufs Tapet kommen, auch das "ein Hotspot", gerade für Ältere. Und auch hier gibt es bereits Einwände seitens der Experten - die Straße ist schmal, bietet nicht die erforderlichen Sichtachsen. "Da brauch' ich von allen Beteiligten eine konkrete Auskunft, warum etwas geht oder nicht."

Die Entschlossenheit nimmt man ihr ab, und sie hat vielleicht mit dem "etwas anderen Blick" auf die Kommunalpolitik zu tun, einem speziell weiblichen, den sie mit ihren Kolleginnen in anderen Rathäusern teile, sagt Alte. Dass es aber für eine Frau in der immer noch männlich dominierten Kommunalpolitik besonders hart sei, davon will sie nichts wissen. "Man muss sich einfach saugut organisieren." Der Rathausalltag in Coronazeit, der "Krisenmodus", wie sie sagt, verlangt da wohl noch ein bisschen mehr.

Alte kommt nicht viel zur Ruhe in diesen Tagen. Sie hat gerade drei Tage Bürgermeisterseminar hinter sich - viel später als geplant, weil wegen der Pandemie verschoben. Dort saß sie unter anderem mit Inge Heiler aus Egmating zusammen, auch sie hat im Frühjahr des Zepter von einem langjährigen Vorgänger als Rathauschefin übernommen. "Es tut gut, sich auszutauschen." Heiler ist ebenfalls Mutter, Altes zwei Kinder besuchen die Anzinger Grundschule, ein paar 100 Meter hinter dem Rathaus. Jetzt in den Ferien sind sie in der Mittagsbetreuung beim Kindergarten. Einmal über die Straße. Die Wege sind wirklich kurz in Anzing. Wenn's mal brennt ist die 41-Jährige in einer Minute drüben. Das macht die Sache leichter, Verwaltungsleitung und Familienleben unter einen Hut zu bringen.

Homeschooling, Kinderbetreuung in der Lockdownzeit, Zugang zu Unterrichtsportalen, all das kennt die CSU-Bürgermeisterin aus eigener Erfahrung. Wenn es jetzt für die Gemeinde darum geht, den Grundschulunterricht digital zu vernetzen, dann ist das für sie mehr als Theorie. Das meint sie mit dem "anderen Blick." Wer die "Neue" im Anzinger Rathaus besucht, gewinnt den Eindruck, dass die Politikwissenschaftlerin, Historikerin und ausgebildete Journalistin genau da angekommen ist, wo sie hinwollte. Auch wenn sie, wie sie sagt, noch nicht wieder die "selbstverständliche Gelassenheit" erlangt habe, die sie mit ihrem vorherigen Job verbinde.

Sechs Jahre lang hat sie als persönliche Referentin von Landtagspräsidentin Ilse Aigner gearbeitet, zuvor als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit für die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag und Geschäftsführerin der CSU Oberbayern. Kommunalpolitische Erfahrungen hatte sie schon gesammelt, bevor sie den Anzinger Florian Alte heiratete und vor zehn Jahren in die Gemeinde zog. Mit 23 saß sie als Kreisrätin im Kreistag von Kronach, drei Jahre war sie zugleich Gemeinderätin in ihrer Heimatgemeinde Stockheim.

Im Juli vergangenen Jahres nominierte sie dann die Anzinger CSU als Kandidatin für die Kommunalwahl. Mit dem Segen und der Unterstützung ihrer vorherigen Dienstherrin Ilse Aigner. "Sie hat mir gesagt, ich soll's tun", erzählt Alte. Dass sie überhaupt kandidierte, das habe sich so entwickelt, erzählt sie. Ehemann Florian war vor Jahren für die CSU in Markt Schwaben angetreten, wolle sich jetzt aber mehr auf seine Anwaltskanzlei konzentrieren, erzählt Alte. Und auf die Kinderbetreuung. Als Selbständiger ist er der beruflich Flexiblere von beiden.

Zu bereuen scheint Kathrin Alte ihre Entscheidung bisher nicht - auch weil Anzing eine großartige Gemeinde sei, in der alle zusammen hielten, eine, in der es keinen "Rat für Soziales" brauche. Ein gutes Rathausteam tue das Übrige dazu, es ihr leicht zu machen. "Und was man nicht kann, muss man sich erarbeiten." Aber wo habe sie schon sonst als Frau so viele Möglichkeiten, sich gerade für weibliche Belange einzusetzen, fragt sie? Auf keiner politischen Ebene - das müsse man gerade den jungen Frauen sagen, für die es schwieriger sei, sich zu engagieren. "Aber man kann so viel machen, etwa was die Sitzungszeiten betrifft." Oder den Umgang miteinander, weg von den parteipolitischen Zwängen. "Ein toller Job!"

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Quelle:
SZ vom 19.08.2020/aju
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