Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Das erste Jahr:Fast schon zu friedlich

Ausgerechnet das für die Kommunalpolitik schwierigste Jahr verläuft in Vaterstetten trotz vieler wichtiger Beschlüsse und finanzieller Engpässe außerordentlich harmonisch. Verantwortlich dafür sind vor allem die von der Pandemie bestimmten äußeren Umstände

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Es ist ruhig hier - zu ruhig". Diesen Satz kennt man aus dem klassischen Action-Kino, kurz bevor es richtig knallt. Geknallt hat es in den vergangenen Jahren im Vaterstettener Gemeinderat auch hin und wieder - nur seit gut einem Jahr ist es dort vergleichsweise ruhig. Ist es vielleicht auch zu ruhig? Da gehen die Meinungen auseinander.

Wer das Gremium noch aus seinen unruhigeren Tagen kennt, dürfte sich schon gelegentlich wundern über die sehr knappen und wenig kontroversen Debatten. Das war schon einmal anders, auch und gerade kurz nach einer Kommunalwahl. So war etwa 2014 der neue Gemeinderat gerade einmal einen Monat im Amt, als sich das Gremium über einen eigentlich nachrangige Frage - es ging um den Standort eines neuen Kindergartens, der letztlich ganz woanders entstand - ziemlich nachhaltig zerstritten hatte und in zwei Sitzungen vier sich widersprechende Ergebnisse erzielte. Nur durch einen formalen Trick der Verwaltung formte man dies noch in einen gültigen Beschluss um.

Die folgenden Jahre wurde es zwar nicht mehr ganz so chaotisch, aber an Kontroversen und teilweise scharfen - oft auch sehr langen - Debatten herrschte kein Mangel. Ob es um den Neubau der Grund- und Mittelschule ging, um die Planung der Umgehungsstraße Weißenfeld-Parsdorf, um Siedlungsbau, Verdichtung oder Haushalt, die Zuhörer durften sich auf eine ausführliche Diskussion einstellen - wie eigentlich zu fast alle anderen Themen auch.

Seit dem vergangenen Jahr ist das anders, die Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse sind deutlich kürzer und die Debatten deutlich knapper - wenn sie überhaupt stattfinden. Was im übrigen sicher nicht daran liegt, dass im Gremium weniger Entscheidungen anstehen, eher im Gegenteil. Denn in den vergangenen zwölf Monaten haben die Vaterstettener eine durchaus beachtliche Agenda abgearbeitet. So wurde das neue Kinderhaus bei Maria-Linden auf den Weg gebracht, genau wie der Bau der Sozialwohnungen an der Dorfstraße und der neuen Turnhalle für die Wendelsteinschule, der Bebauungsplan für das ehemalige Schulgrundstück an der Gluckstraße sowie die Sanierung des Feuerwehrhauses und der Gemeindewohnungen an der Baldhamer Straße. Seit Januar gehen Ehrenamtliche bei der Sicherheitswacht auf Streife, auch dies hat der aktuelle Gemeinderat beschlossen. Außerdem, dass es bald ein neues Jugendzentrum geben wird, die ehemalige Hauptschule wird derzeit dafür umgebaut.

Nun mag man einwenden, dass diese Dinge wenig kontrovers sind, schließlich steht ihre Notwendigkeit meist außer Frage. Was erstens in der Vergangenheit nicht immer ein Grund war, nicht dennoch ausgiebig darüber zu streiten und zweitens gab es in den zurückliegenden zwölf Monaten durchaus auch explosiver Themen, bei denen es aber nicht geknallt hat. Etwa, als sich herausstellte, dass die Gemeinde 5,5 Millionen Euro bei der Bremisch-Australischen Pleitebank Greensill angelegt hat, die wohl größtenteils verloren sind. Im Gemeinderat waren dazu lediglich Sachfragen aber keine Vorwürfe zu hören.

Still blieb es auch, als Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) erklärte, die Planungen für die Umfahrung Weißenfeld-Parsdorf auf Eis zu legen. Grund ist ein laufendes Verfahren beim Verwaltungsgericht, eine Form von höherer Gewalt, welche auch die Fraktionen von CSU, SPD und FDP, die den Bau der Straße seit Jahren vehement fordern, bereitwillig akzeptierten. Einen Knall hätte es auch geben können, als im Sommer das Budget für die Rathauskonzerte zusammengestrichen wurde und gleichzeitig eine neue Ausrichtung der beliebten Konzertreihe beschlossen wurde. Es gab einige Worte des Bedauerns aber keine Gegenstimme.

Das einzige Thema, das zumindest eine kleinere Kontroverse in die Debatte brachte, war die Frage, ob die Gemeinde den Bau des Glasfasernetzes selber organisieren oder an eine Firma abgeben soll. Ersteres befürwortet die große Mehrheit im Gremium und beruft sich auf die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit, als man keine Privatunternehmen für das Vorhaben gewinnen konnte. Dagegen ist die SPD, diese warnt vor den hohen Kosten und dem großen Aufwand für Bau und Betrieb einer kommunalen Internetinfrastruktur.

Fragt man Sepp Mittermeier, Sprecher der SPD-Fraktion nach der Stimmung im Gremium seit gut einem Jahr, lobt er zunächst "das gute Zusammenarbeiten", genau wie den "respektvollen Umgang" der Mitglieder untereinander. Den manchmal scharfen Ton früherer Jahre vermisst Mittermeier nicht, aber dass es bei vielen Themen überhaupt kein Diskussionsbedarf besteht, ist ihm dann wieder ein bisschen zu viel Harmonie: "Ich vermisse die großen Diskussionen und die harten Auseinandersetzungen", sagt er, "einfach abnicken ist nicht unbedingt die Aufgabe eines Gemeinderates."

Dass es ruhiger, ja "verträglicher geworden" sei, sagt auch Michael Niebler, Fraktionschef der CSU. Insgesamt sei das Gremium "sehr diszipliniert", was wohl auch der aktuellen Lage geschuldet sei: "Das vergangene Jahr war eines, wie es die Gemeinde noch nie hatte." Ähnlich klingt das bei Axel Weingärtner, Sprecher der Grünen-Fraktion, "ich bin mit der Zusammenarbeit im Gemeinderat sehr zufrieden". Natürlich gehöre der Austausch unterschiedlicher Meinungen dazu, den Ärger manch früherer Sitzung vermisse er aber nicht. "Es ist fast schon zu ruhig", sagt Renate Will und lacht, wenn man sie auf die Stimmung im Gremium anspricht. Die langjährige FDP-Gemeinderätin ist aber grundsätzlich ebenfalls zufrieden: "Man geht anders miteinander um, ich glaube, dass es mehr von gegenseitigem Respekt geprägt ist." Das lobt auch Roland Meier, Fraktionssprecher der Freien Wähler und Dritter Bürgermeister: "Es ist friedlicher geworden und die Debatten sind nicht mehr so hart."

Dass es im Gremium weniger kontrovers zugeht als zu manch früheren Zeiten, ist auch Bürgermeister Spitzauer nicht entgangen. Er ist zwar erst seit einem Jahr Rathauschef, aber war in der vergangenen Wahlperiode Mitglied des Gemeinderates. Dass er als Bürgermeister etwas anders vorgeht als sein Amtsvorgänger Georg Reitsberger (FW), merkt man als Zuhörer, und Spitzauer hat auch diesen Anspruch: "Ich versuche schon, es von der Sitzungsleitung her straffer zu machen." Ganz grundsätzlich hat er den Eindruck, "die Disziplin im Gemeinderat ist gut" - was wohl auch an einem anderen Faktor liege: "Bei 1,5 Meter Abstand ist es auch schwieriger, zu ratschen."

Denn selbstverständlich hat Corona einen großen Einfluss auf die Arbeit sowohl des Bürgermeisters als auch im Gemeinderat. Das fange schon mit der Kommunikation untereinander an, sagt Spitzauer: "Wenn man sich besprechen will, muss man das online machen - das ist nicht dasselbe." Ähnlich sieht das Weingärtner, "vieles findet gar nicht statt oder nur virtuell", etwa Arbeitskreise oder Besprechungen. Da man die Sitzungen kurz halten soll, wegen des Infektionsschutzes, würde auch viel mehr in solch virtuelle Vorbesprechungen verlagert. Was im Sinne der Zeitökonomie sicher Vorteile bringe, sagt Renate Will, sie vermisst aber "dass man mal nach der Sitzung auf ein Bier gehen kann". Auch Niebler beklagt, dass "die Begegnungen sehr eingeschränkt sind - untereinander und auch mit den Bürgern". Genau wie Roland Meier: "Schade, dass wir im vergangenen Jahr so wenige soziale Kontakte hatten." Besonders bedauerlich findet der Dritte Bürgermeister, dass er eine seiner wichtigsten Aufgaben in diesem Amt nicht richtig ausüben konnte: Jubilaren zu gratulieren.

Dass es die kommenden fünf Jahre so ruhig weitergehen wird, erwarten die Gemeinderatsmitglieder indes auch nicht. "Ich denke, dass es schon noch intensiver wird", sagt Meier, wenn kontroversere Themen auf die Agenda kommen. Etwa die von Spitzauer angekündigte Prioritätenliste für die gemeindlichen Projekte von Schulsanierungen über Ortszentrum bis zum Neubau von Bücherei und Rathaus. Diese Priorisierung nennt auch Niebler "ein ganz schwieriges Thema", gerade vor dem Hintergrund des nicht gerade üppigen finanziellen Spielraums. Auch Weingärtner erwartet um die Frage, wie das knappe Geld auszugeben ist, "sicher noch interessante Debatten", etwa wenn final zu entscheiden ist, ob man sich die Umfahrung noch leisten kann und will. "Corona überdeckt einiges", sagt Mittermeier, "es gibt schon Kontroversen". Die wohl wieder deutlicher würden, wenn die Pandemie nicht mehr so präsent sei. Damit rechnet auch Will und zwar aus einem ganz praktischen Grund: "Es wird vielleicht etwas lebhafter, wenn man sich mal wieder ohne Maske im Sitzungssaal gegenübersitzt."

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Quelle:
SZ vom 11.06.2021
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