SZ-Serie: A Ruah is:Heilsame Unterbrechung

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In der Baldhamer Unterkirche ist alles im Gleichgewicht: Der Blick ins Atrium, der warme Fußboden, die Schwimmkerze im Taufbecken. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Baldhamer Unterkirche befindet sich im Keller der Petrikirche - ein perfekter Ort für Stille und Besinnung

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Das heftige Rauschen des Alltags noch in den Ohren, geht man die Treppe hinunter. Fein beleuchtet sind die hell getünchten Wände, die den Abgang in die frühere Abstellkammer unter der Petrikirche säumen. Seit 2011 ist der dunkle Kellerraum Vergangenheit, seit Pfarrer Stephan Opitz die Unterkirche unter der eigentlichen Kirche seiner neuen Bestimmung übergeben konnte, als ein Ort der Stille und der Besinnung.

Dicke Mäntel, Schals und alles, was in diesen Zeiten an winterlicher Überkleidung einengt, kann man vor der Tür an die Garderobe hängen. Ein erster kleiner Akt der Befreiung. Und dann geht es hinein, durch die schräg gestellte Tür in einen lichtdurchfluteten Raum, dessen große Fensterfront sich nach draußen zu einem halbkreisförmigen Atrium öffnet. Die Steinstufen, die, einem kleinen Amphitheater ähnlich, schräg nach oben angeordnet sind - dahinter liegt der Pfarrgarten - kann man allerdings durch die unregelmäßig strukturierten Scheiben nur erahnen. Aber das ist gerade schön, es lässt die Draußenwelt im Ungewissen, verwehrt dem Blick das ruhelose Suchen in der Ferne.

Die milden, durch die Scheibe gebrochenen Sonnenstrahlen tun den Augen gut, ohne sie anzustrengen. In diesem Raum ist alles im Gleichgewicht: Das Licht, das sich in zwei raumhohen Prismen aus blauem und rotem Glas bricht, die Wärme, die der helle Eichenboden atmet, die sanfte Schwingungen des Wassers im Taufbecken, deren Spiegelungen manchmal über die in warmem Gelb gehaltenen Wände gleiten, wenn eine der bereit liegenden Schwimmkerzen ins Wasser gesetzt wird. In ihrer Form wiederholt sich die flache Rundung des Beckens. Der Blick verharrt auf der Wasseroberfläche, die in kreisförmige Bewegung gerät, wenn die Kerzen darauf schaukeln. Mal ist es nur eine, mal sind es vier oder fünf. "An den Kerzen sehe ich, wie viele Menschen die Stille gesucht haben", sagt Pfarrer Opitz.

Oder auch die Nähe zu Gott. Das Kreuz im dicken Glas der Taufschale ist unauffällig, aber es ist da. Die Unterkirche ist ein sakraler Raum, der auch für Taufen oder kleine Andachten genutzt wird. Der in den Holzboden eingelassene Halbkreis aus Granitsteinen, der sich jenseits der Glasfront zu einem Kreis schließt, hat viel Symbolik: Er steht für die Verbundenheit des Einzelnen mit dem Ganzen, oder, wie Pfarrer Opitz es ausdrückt: für die Verbindung der Schöpfung mit uns, mit dem Menschen.

Doch muss man kein regelmäßiger Kirchgänger sein, um sich von der Stille des Orts jenseits allen Handyempfangs umarmen zu lassen und der gestressten Seele Raum zu geben. Gerade jetzt, in der vermeintlich staden Zeit vor Weihnachten, merke er, wie sehr die Menschen es nötig haben, mal beiseite zu treten, sich ab und an eine "heilsame Unterbrechung" zu gönnen, sagt Pfarrer Opitz. "Es ist ja die vollste Zeit des Jahres, wir geben doch in der Adventszeit noch mal Speed oben drauf." Spätestens beim Weihnachtsgottesdienst "merke ich dann, wie fix und fertig die Menschen sind." Einmal in der Woche, immer dienstags um 19.30 Uhr, bietet er eine "Zeit der Stille" an. Eine knappe halbe Stunde lang kann sich, wer mag, vom Pfarrer und seiner Frau, Birgit Deppe-Opitz, an der Hand nehmen lassen - bildlich gesprochen -, und zur Ruhe kommen. "Da machen wir gar nicht viel", erzählt der Pfarrer, "aber die Leute kommen trotzdem, gerade jetzt." Offenbar braucht es diese Unterbrechungen im Rennen ums rechtzeitige Mit-allem-fertig-Werden bis zum Vierundzwanzigsten. "Da zeigt sich ein tiefes Bedürfnis nach Vereinfachung, nach Verlangsamung", sagt der Pfarrer und zitiert eine Zeile aus einem Herbert Grönemeyer-Song, in der es ums "Wenden auf der Schussfahrt" geht. Nun, vielleicht muss es nicht gleich eine Wende im Steilhang sein, aber für ein kurzes Anhalten und Verschnaufen ist die Unterkirche in Baldham genau der richtige Ort.

Evangelisch-Lutherische Petrikirche, Martin-Luther-Ring 28, Baldham-Vaterstetten. Tagsüber ist das Gotteshaus geöffnet. Immer dienstags, 19.30 Uhr, ist dort Zeit der Stille.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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