SZ-Schulratgeber:Kleckerei in der Pancake-Bäckerei

SZ-Schulratgeber: Noch sieht es geordnet aus in der Schulküche. Ganz ordentlich sind alle Zutaten nebeneinander aufgereiht - Äpfel, Bananen, Mehl und Zucker.

Noch sieht es geordnet aus in der Schulküche. Ganz ordentlich sind alle Zutaten nebeneinander aufgereiht - Äpfel, Bananen, Mehl und Zucker.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Ei landet im Spülbecken und zu viel Milch im Teig. Egal. Die 25 Kinder der 5g des Gymnasiums Vaterstetten haben am Kochen großen Spaß. Nach fast sieben Stunden mit ihnen steht fest: So eine Ganztagsklasse ist eine tolle Sache, aber anstrengend.

Von Sophie Burfeind, Baldham

Mit seinen kleinen Fingern versucht Adrian, das Eigelb aus dem Ausguss zu pulen. Keine Chance. Es ist schon fast ganz durchgeflutscht. Eigentlich hätte er das Eiweiß ja nur vom Eigelb trennen sollen - aus Versehen hat er einen Teil aber ins Spülbecken gekippt. Na ja. Auch sonst läuft es bei der Palatschinken-Gruppe noch nicht ganz rund. Der Teig ist ziemlich flüssig geraten. Vielleicht war ein ganzer Liter Milch doch zu viel? "Das ist ein bisschen ungünstig", kommentiert Frau Renz nach einem Blick in die Rührschüssel. Egal. Dann werden die Fladen eben dicker. Auf den Herdplatten und den Arbeitsflächen kleben Teig und Apfelreste, auf dem Boden ist Mehl verstreut. Die Lautstärke in der Schulküche hat ihr Maximum erreicht, wer etwas sagen will, muss schreien. Die 25 Kinder der 5g aber haben einen Riesenspaß.

Eineinhalb Stunden später ist es vollbracht: Die Pancake-, Palatschinken-, und Pfannkuchen-nach-Omas-Art-Bäcker richten ihre Teigfladen auf großen Tellern an, auch das Apfelmus ist nun gekocht. Die Palatschinken-Bäcker befüllen ihre Küchlein, rollen sie zusammen und verteilen bergeweise Puderzucker darauf. Bei den Pfannkuchen für die beiden Lehrerinnen geben sie sich besonders viel Mühe: Sie sind extra dick und gleich mit Nutella, Erdnussbutter, Marmelade und Zimt und Zucker gefüllt.

Stolz und erschöpft

Um 15.30 Uhr gehen die Schüler nach oben in den Aufenthaltsraum, dort haben sie ein kleines Buffet errichtet. An bunt gedeckten Tischen verzehren die stolzen Köche ihre selbst gebackenen Pfannkuchen. Auch die Klassenleiterin Heike Renz setzt sich auf einen Stuhl, vor ihr der monströse Lehrerinnen-Palatschinken. Sie sieht erschöpft aus. "Irgendwie bin ich jetzt echt geschafft", sagt sie, seufzt und blickt auf ihren Teller. "Kochen wir morgen noch mal?", ruft Severin. Die Lehrerin schüttelt den Kopf. Kochen will sie mit den Schülern auf jeden Fall wieder - aber nicht sofort.

Es ist das Ende - also beinahe das Ende - eines langen Tages. Um 7.55 Uhr hat der Unterricht für die Schüler der 5g, der gebundenen Ganztagsklasse des Humboldt-Gymnasiums Vaterstetten, begonnen. Mit zwei Stunden Mathe. Um 9.35 Uhr, nach der großen Pause, steht Deutsch mit Frau Renz auf dem Stundenplan. Das Thema der Stunde: Vorgangsbeschreibungen. Es werden drei Gruppen gebildet, die am Nachmittag drei verschiedene Pfannkuchensorten backen sollen. Am Tag drauf soll dieser Vorgang in Worte gefasst werden. Doch zuvor, erklärt die Lehrerin, sollen die Kinder Mengenangaben des Rezepts mal drei nehmen. "Sollen wir die Pfanne auch mal drei nehmen?", fragt ein Junge. Ein Tintenkiller fliegt durch den Raum. Nach zwanzig Minuten sind die meisten fertig. "Frau Re-enz, Frau Re-enz, wir sind fertig", schreien die Schüler.

Nun dürfen sie erzählen, wie ihnen ihre Ganztagsklasse gefällt. "Ich finde es gut, dass ich zu Hause mehr Zeit habe und nicht mehr üben muss", sagt Finn. Waldemar ergänzt: "Die Arbeitsstunden sind gut, da können wir unsere Hausaufgaben machen." Sebastian sagt: "Die Neigungsangebote in der Mittagspause finde ich gut." Philipp mag die Fat-Boy-Kissen in der Bücherei. Adrian findet, dass man einen besseren Bezug zu den Lehrern hat. Severin sagt: "Der einzige Nachteil ist: Das Essen ist abartig." Dazu später mehr.

Mit ihren Aussagen sprechen die Schüler schon das Wesentliche ihrer besonderen Klassenform an. In der gebundenen oder rhythmisierten Ganztagsklasse sind die Schüler bis um 16.15 Uhr in der Schule. In einer zweistündigen Mittagspause können sie nach dem gemeinsamen Essen an Neigungsangeboten wie Sport, Schach, Theater oder kreativem Gestalten teilnehmen. Denn Lernen und Übung soll in einem Ausgleich mit Bewegung oder kreativen Aktivitäten stattfinden. Außerdem haben die Kinder je eine Stunde mehr als Regelklassen in den Hauptfächern und vier Arbeitsstunden pro Woche, in denen Hausaufgaben erledigt und Gelerntes wiederholt wird. "Das ist das, was mit Rhythmisierung gemeint ist", erklärt Renz nach dem Unterricht. "Die Kinder haben mehr Übungsphasen und können das Erlernte besser verinnerlichen."

Zwei Jahre bleibt die Ganztagsklasse bestehen. "Das ist natürlich eine ganz andere Zusammenarbeit, weil wir mehr Zeit miteinander verbringen", sagt die Lehrerin. "Das finde ich sehr schön." Auch die Klassengemeinschaft sei meist besser als in Regelklassen - als Lehrerin sei sie allerdingsstärker als Bezugsperson gefordert als sonst. "Die Kinder kommen mit unterschiedlichen Problemen zu mir, manchmal komme ich mir vor wie die Mama", sagt sie und lacht.

10.20 Uhr, Ethik mit Frau Duffhaus. "Warum riecht's hier so nach Nudelsuppe", schreien die Kinder, als sie den Raum betreten. Die Lehrerin weiß es nicht. "Gu-ten Mor-gen, Frau Duff-haus", sagen sie dann im Chor und setzen sich. "Kann ich den Stuhl wechseln? Er kippelt!", ruft eine Schülerin. Erst nachdem auch dieses Problem gelöst ist, kann die Lehrerin mit dem Unterricht beginnen. Die Schüler sollen ein Tier erraten - es könne bis zu 25 Kilo schwer werden, lebe in der Toskana und habe lange Stacheln.

Zum ersten (und letzten) Mal an diesem Tag ist es mucksmäuschenstill. Die Kinder überlegen. "Das ist ein Stachelschwein", löst Luan das Rätsel. Um Stachelschweine geht es nämlich auch im Text von Arthur Schopenhauer, den die Schüler anschließend besprechen. Das Fazit seines philosophischen Essays: Menschen sind wie Stachelschweine, weil sie sich brauchen und doch immer wieder abstoßen, also quasi "wegstacheln".

Offene und gebundene Ganztagsschule

Grundsätzlich leisten sowohl die offene als auch die gebundene Ganztagsschule einen Beitrag zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf - in beiden Fällen werden die Kinder bis etwa 16 Uhr in der Schule betreut. Zwischen diesen beiden Formen der Ganztagsschule gibt es jedoch gravierende Unterschiede, auch darin, welche Ziele verfolgt werden. Die offene Ganztagsschule etwa bietet Schülern jahrgangsübergreifend, häufig bis zur zehnten Klasse, im Anschluss an den regulären Unterricht und das gemeinsames Mittagessen verschiedene Betreuungsangebote an. Das kann Hausaufgabenbetreuung sei, den Kindern stehen aber auch verschiedene Freizeitangebote zur Verfügung. Diese werden in der Regel von außerschulischem Personal wie Sozialpädagogen durchgeführt. Im Unterschied dazu ist eine gebundene oder rhythmisierte Ganztagsklasse in einem festen Klassenverband organisiert, der zwei Jahre in derselben Konstellation bestehen bleibt. Das betrifft meist die fünfte und sechste Klasse. Der Unterrichtstag ist rhythmisiert, das bedeutet, Übungs- und Lernzeiten wechseln sich ab mit sportlichen, musischen, künstlerischen oder die Sozialkompetenz fördernden Angeboten. Die Schüler essen gemeinsam zu Mittag, die Teilnahme an einem verschiedenen Angebot - sei es Kunst, Musik, Sport oder Spiel - am Nachmittag ist verpflichtend. Zudem haben die Schüler einer gebundenen Ganztagsklasse mehr Stunden in den Hauptfächern und damit mehr Wiederholungs- und Übungsphasen. Damit soll das Tempo und der Lerndruck reduziert werden. In speziellen Arbeitsstunden, die es mehrmals die Woche gibt, können die Schüler ihre Hausaufgaben erledigen, die somit zu "Schulaufgaben" werden. Nur Vokabeln müssen sie noch zu Hause lernen und manchmal Hausaufgaben über das Wochenende. Die Arbeitsstunden werden stets von Lehrkräften der jeweiligen Schule abgehalten. Das Ziel einer gebundenen Ganztagsklasse ist also zum einen, die Kinder stärker individuell fördern zu können - auch in fachlicher Hinsicht. Schüler beispielsweise, die von ihren Eltern schulisch kaum unterstützt werden können, aber für das Gymnasium geeignet sind, sollen so dieselben Chancen wie andere, die zu Hause mehr gefördert werden, erhalten. Zum anderen dient der enge Klassenverbund dem Zweck, die Sozialkompetenzen der Schüler zu stärken. Gebundene Ganztagsklassen an weiterführenden Schulen gibt es im Landkreis Ebersberg seit drei Jahren am Humboldt-Gymnasium in Vaterstetten und in der Realschule Poing. Offene Ganztagsschulen gibt es an allen weiterführenden Schulen im Landkreis, seit diesem Schuljahr auch an den Realschulen in Ebersberg und Vaterstetten. sobu

Alexandra Duffhaus liest Aufgabe drei auf dem Arbeitsblatt vor: "Fällt euch ein Sprichwort ein, das zu dieser Geschichte passt?" Die Schüler überlegen. Einem Mädchen fällt die "goldene Regel" ein, die sie in der Grundschule gelernt hat: "Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu." Die Lehrerin schreibt den Satz an die Tafel. "Wie nennt man solche Texte im Deutschunterricht?", fragt sie. Keiner weiß es. "Parabel", schreibt sie dazu. Dann gongt es, Raumwechsel.

Es ist 11.25 Uhr, Erdkunde mit Herrn Pink. Der Lehrer hat eine große Deutschlandkarte aufgestellt. Als die Schüler sich nicht mehr erinnern können, was die verschiedenen Farben - die Höhenschichten - bedeuten, wird er ungehalten. "Ihr habt wohl alles vergessen in den Ferien, man sollte sie abschaffen!" Als es noch viel, viel länger dauert, bis die Kinder sich unter lautem Reden und Rufen zu zweit einen Atlas geholt haben, wird er noch wütender. "Kommt, ein bissl flotter! Das kann nicht wahr sein, dass ihr so lange braucht!" Die Kinder sollen wiederholen, wie man die Strecke auf der Karte in reale Kilometer umrechnet. Eigentlich haben sie das vor den Ferien gelernt.

Nur das Mittagessen schmeckt nicht

Chantal muss nach vorne an die Karte gehen, mit einem großen Lineal misst sie die Strecke von München nach Hamburg aus. Aber wie das noch mal mit dem Maßstab und so war, hat sie leider vergessen. Mit viel Unterstützung des Lehrer gelingt es schließlich Philipp, an der Tafel die Strecken umzurechnen: 600 Kilometer lautet sein Ergebnis. "Eben nur Luftlinie" und "ein Messfehler", konstatiert Wolfgang Pink - aber vom Prinzip her richtig. Das Umrechnen sollten die Schüler in einer Arbeitsstunde besser noch mal üben, sagt er zum Schluss. Um 12.10 Uhr läutet es, Mittagspause.

Tja, das Schulessen. Es ist so, wie man es erwartet: Mit 4,50 Euro kein Schnäppchen, der Grünkernburger reichlich trocken, das Kartoffelgratin okay. Immerhin gibt es Salat dazu. Und von Plastikresten oder Fliegen - wovor die Schüler gewarnt haben - zum Glück keine Spur. Nach dem Essen gehen einige Kinder in den Aufenthaltsraum der offenen Ganztagsschule - oder anderen Beschäftigungen nach. Vieles machen sie gemeinsam, mittlerweile verstehen sich die meisten gut.

Wolfgang Pink, der den Ganztagsbetrieb als Mitglied der Schulleitung verantwortet, sitzt in seinem Büro. Er spricht über die Vorteile der Ganztagsklasse, ihre Herausforderungen - und weshalb er in der Erkundestunde so schnell gereizt war. "Seit Oktober üben wir das mit dem Sich-einen-Atlas-nehmen und die Kinder tun sich noch immer so schwer", beklagt er. Den Schülern falle es deutlich schwerer, solche Abläufe zu erlernen und ruhig zu bleiben, als anderen Fünftklässlern. Denn einige seien nicht nur wegen der berufstätigen Eltern in der 5g - sie hätten auch einen "besonderen Förder- und Betreuungsbedarf." Dies könnten etwa leichte Verhaltensauffälligkeiten sein. "Deswegen versuchen wir, den ganzen Tag sehr strukturiert ablaufen zu lassen, damit die Kinder gut zurecht kommen." Auch die Kästen und Aufbewahrungsboxen im Klassenzimmer, in denen die Schüler ihr Arbeitsmaterial verstauen können, sollen ihnen helfen, Strukturen zu erlernen.

Die Kinder müssen sich verstehen

Nicht jedes Kind sei für die gebundene Ganztagsklasse geeignet, erklärt Pink. "In einem pädagogischen Gespräch suchen wir die Kinder nach einer Einschätzung ihres Sozialverhaltens aus. Sie verbringen ja den ganzen Tag miteinander - sie müssen sich verstehen." Und mehr als 24 Kinder solle die Klasse ohnehin nicht haben. Bisher hielten sich Angebot und Nachfrage noch einigermaßen die Waage. Schon jetzt gebe es allerdings zu wenig Räume für die Klassen, sagt der Lehrer. "Alle Ganztagsklassen müssten einen eigenen Aufenthaltsraum haben, das ist leider nicht möglich."

Eine zweite gebundene Ganztagsklasse wäre also nur schwierig umzusetzen. Außerdem sei es gar nicht so einfach, Kollegen zu finden, die am Nachmittag arbeiten wollten. Das Unterrichten in den Ganztagsklassen nämlich sei freiwillig. Im Großen und Ganzen ist Pink aber zufrieden mit der Entwicklung der Ganztagsklassen. Das habe kürzlich eine Schülerbefragung gezeigt - die Schüler fühlten sich wohl und besser betreut als in einer Regelklasse.

Um 13.30 Uhr, eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, kommt die 5g wieder im Klassenzimmer zusammen. Sie sehen auf Youtube ein englisches Video von Jamie Oliver an, der mit Daisy und Poppy - seinen beiden bezaubernden Töchtern - in nur zwanzig Minuten perfekte Pancakes in der Pfanne zaubert. Genauso sollen die Schüler es dann auch machen. Mit einigen Komplikationen - wie bereits erwähnt - gelingt ihnen das in eineinhalb Stunden.

Nach dem Essen haben sie noch eine Arbeitsstunde bis 16.15 Uhr mit Frau Simm. Ihre Aufgabe: Die Lücken in einem englischen Pancake-Rezept mit den passenden Verben ausfüllen. Doch nach Kochen und Essen ist die Aufmerksamkeit der Schüler endgültig dahin. Jonna kämmt sich die Haare, die Jungs in den hinteren Reihen quatschen. Über die Ermahnungen der Lehrerin lachen sie nur. Das Fazit nach einem Tag mit der 5g: Für Schüler ist die gebundene Ganztagsklasse eine tolle Sache, für Lehrer eine Herausforderung.

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