SZ-Schulratgeber:Auf Biegen und Brechen

SZ-Schulratgeber: Auch im Grafinger Schülercafé wird eifrig gerechnet und gelernt. Das Angebot an Nachhilfeinstituten im Landkreis ist groß - mehrere Hundert Schüler werden in verschiedenen Instituten für Proben und Exen fit gemacht.

Auch im Grafinger Schülercafé wird eifrig gerechnet und gelernt. Das Angebot an Nachhilfeinstituten im Landkreis ist groß - mehrere Hundert Schüler werden in verschiedenen Instituten für Proben und Exen fit gemacht.

(Foto: Christian Endt)

Immer mehr Grundschüler im Landkreis nehmen Nachhilfe, um den Übertritt an das Gymnasium oder die Realschule zu schaffen. Meist stehen ehrgeizige Eltern dahinter.

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Die Grundschulkinder der vierten Klasse bereiten sich derzeit auf ihren Übertritt an Gymnasium, Mittel- oder Realschule vor. Viele hoffen dabei auf einen guten Notendurchschnitt. Denn die Wahl der weiterführende Schule hat mitunter schon Einfluss auf ihren beruflichen Werdegang. Dementsprechend hoch ist der Druck, in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und HSU (Heimat- und Sachunterricht) möglichst gut abzuschneiden. Und das klappt längst nicht mehr bei allen Kindern ohne Nachhilfe.

Von den etwa 80 Schülern, die in der Schülerhilfe Ebersberg für Proben, Ausfragen und Exen fit gemacht werden, besuchen 15 noch die Grundschule. Sie pauken für ihren Übertritt an weiterführende Schulen. "Ganz besonders Mathe und Deutsch" sei bei diesen Kindern gefragt, erklärt Jutta Klein, Leiterin der Schülerhilfe. Nötig seien vor allem Hilfestellung beim Rechnen sowie Unterstützung bei Rechtschreibung oder Grammatik. Auch Nachhilfe in Englisch sei beliebt, so Jutta Klein. Doch es gehe bei Weitem nicht nur ums Pauken: Bei der Vorbereitung auf den Übertritt sei häufig auch der Aufbau von Selbstbewusstsein entscheidend, viele der Kinder hätten zudem mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen.

Bei den älteren Schülern seien es vor allem diese selbst, die das Nachhilfeinstitut aufsuchten, bei den Grundschulkindern geschehe es meist auf Wunsch der Eltern, erklärt Klein. Es gebe immer wieder Eltern, die ihre Kinder auf Biegen und Brechen aufs Gymnasium bringen wollten - doch oft käme die Motivation auch von den Grundschülern selbst. "Keiner will mehr auf die Hauptschule", erklärt das die Büroleiterin. Auch unter den Kindern sei der Erwartungsdruck, auf Gymnasien oder Realschulen zu gelangen, hoch. Und die meisten Kinder würden sich dabei lieber von einem Nachhilfelehrer unterstützen lassen als von den eigenen Eltern, sagt Klein: "Viele Kinder wollen sich von den Eltern gar nicht helfen lassen". Und somit bietet die Nachhilfeeinrichtung den Schülern auch ein Stück Unabhängigkeit.

Viele, die zum Übertritt Unterstützung benötigen, "kommen nach zwei oder drei Jahren wieder", bestätigt Jutta Klein die Vermutung, dass ein großer Teil der Kinder auch nach dem Übertritt noch auf Nachhilfe angewiesen ist. An dieser Stelle drängt sich natürlich die Frage auf, wie sinnvoll es grundsätzlich ist, Schüler durch Nachhilfe auf Realschul- oder Gymnasialniveau zu trimmen. Denn nach dem Übertritt können diese Kinder ohne Nachhilfestunden im Unterricht meist nicht mithalten.

"Genau da liegt das Problem", bestätigt Ingrid Kessner Leiterin des Grafinger Lernkreises Schülernachhilfe. Sie erlebt, dass der Druck, nach der vierten Klasse das Gymnasium zu besuchen, "höher ist als früher". "Kurz vor knapp" bemerkten die Eltern, dass die Leistung ihres Kindes für den Übertritt an die gewünschte Schule nicht ausreiche. Kessner macht in erster Linie die Eltern als Ursache für den Nachhilfebesuch von Grundschulkindern verantwortlich. "Die Kinder würden sich diesen Stress auch gar nicht antun" sagt sie.

Sie kenne Schüler, so Kessner, die bereits in der sechsten oder siebten Jahrgangsstufe "fast unter Burnout leiden". Die Eltern würden es mit den "überambitionierten" Plänen für ihre Kinder zwar gut meinen. Doch mit der Zeit kristallisiere sich dann bei vielen heraus, dass ein Schulwechsel sinnvoll wäre, weil ihre Kinder an der weiterführenden Schule trotz Nachhilfe nicht mithalten könnten.

Der überzogene Ehrgeiz mancher Eltern ist schon deshalb fragwürdig, weil es auch, wenn man es nicht gleich auf Realschule oder Gymnasium schafft, Möglichkeiten gibt, einen höheren Bildungsabschluss zu erlangen. Falls dies nach der vierten Klasse nicht gelingt, sollte man die Flinte nicht ins Korn werfen, sagt Jutta Klein. Schließlich gebe es auch nach dem Übertritt in die fünfte Klasse noch Alternativen, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben: M-Züge und Fachoberschulen machten das System durchlässiger.

Das Angebot an außerschulischer Unterstützung im Landkreis ist groß: Allein Ingrid Kessner gestaltet beim Grafinger Lernkreis Stundenpläne für bis zu zwölf Nachhilfelehrer. Darunter finden sich Lehramtsstudenten und Schüler, aber auch ein 72-Jähriger gibt bei der Einrichtung Nachhilfe in Latein. In Städten wie Grafing existieren oft gleich mehrere Nachhilfeinstitute. Dazu gehört auch das Lernzentrum Ebersberger Land, das an die 100 Schüler unterstützt. Der dortige Leiter Andreas Schlund bestätigt, dass die Zahl der Grundschüler, die für den Übertritt Nachhilfe in Anspruch nähmen, in den letzten Jahren gestiegen sei. Teilweise kämen diese Kinder schon in der dritten Klasse. Sie seien immer noch eine Minderheit, "doch wir merken schon, dass der Druck steigt", sagte er Leiter.

So habe seine Nachhilfeeinrichtung im vergangenen Jahr etwa acht Schüler auf den Übertritt vorbereitet. Doch das sei nur die Zahl derer, die über einen längeren Zeitraum gekommen seien. Auch Schlund sieht ein Problem darin, dass viele Schüler trotz Untauglichkeit aufs Gymnasium gezwungen würden. Deshalb versuchten er und seine Kollegen, Eltern von Kindern, die das Leistungsniveau der angepeilten Schule nicht erfüllen könnten, frühzeitig darauf hinzuweisen. Nachhilfe sei schließlich nicht dazu da, Schüler "zu einem Übertritt zu drillen", sagt er. Vielmehr solle das Angebot die Heranwachsenden bei dem schulischen Werdegang unterstützen, der auch zu ihnen passt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: