SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 28:Das Prinzip Drehtür

Intensivpflege Fachkraft Kreisklinik Ebersberg

Julia Rettenberger.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Julia Rettenberger über Patienten, die immer wieder kommen

Protokoll: Johanna Feckl

Vor einigen Monaten lag ein Patient mit einer Wirbelkörperentzündung bei uns auf der Intensivstation - Spondylitis nennt sich diese Erkrankung. Die Entzündung birgt die Gefahr, dass sich Eiterherde bilden, die dann angrenzende Wirbelkörper und Bandscheiben schwächen, auch im Bereich der Rückenmuskulatur oder des Rückenmarkkanals können sich weitere Abszesse bilden. Unser Patient war also wirklich arm dran. An einem Abend habe ich ihm das Abendessen gebracht: Es gab Brotzeit. Er war sehr in sich gekehrt und wirkte abwesend. Ich fragte ihn, ob er Hilfe beim Zubereiten brauche. "Ja, ach mei, das wäre sehr schön, wenn Sie das machen könnten", sagte er. Einen Moment hielt ich inne, dann versicherte ich mich, ob er das Zubereiten tatsächlich nicht kann - oder vielleicht nur nicht mag. Er druckste ein wenig herum und sagte schließlich mit leiser Stimme, dass er es eigentlich schon auch selber könne.

Der Mann war Mitte 50 und bereits das dritte Mal bei uns: Normalstation, Intensiv, dann wieder Normalstation und noch einmal Intensiv, zurück auf die Normal und nun war er wieder bei uns. Das alles innerhalb von gut zwei Monaten. Patienten wie ihn nennen wir Drehtürpatienten: Kaum hat sich ihr Zustand gebessert und wir können sie entlassen, sind sie auch schon wieder da.

Bei der Wirbelkörperentzündung des Mannes tauchten immer wieder neue Wundgebiete auf, die einen Eingriff unter Narkose notwendig gemacht haben - danach kam er jedes Mal zu uns. Jeder Eingriff hatte seinen Zustand zurück geworfen. Es brauchte Tage, bis er wieder so fit war, wie wir ihn eigentlich bereits hatten.

So etwas ist massiv frustrierend für uns Pflegekräfte. Wir stecken so viel Energie in die Pflege all unserer Patienten - und letztlich scheint bei manchen von ihnen nichts auf Dauer zu helfen. Aber auch die Patienten selbst nimmt dieses ewige Hin-und-Her mit. Es ist ein kleiner psychischer und körperlicher Verfall, den wir da beobachten. Klar bekommen sie bei uns wie auf jeder anderen Station ausreichend zu essen, dennoch wird ihr Ernährungszustand mit jedem Mal, das sie bei uns sind, schlechter. Sie wollen einfach nicht mehr essen. Förderlich für ihre Genesung ist das freilich nicht, aber es ist eine normale Reaktion.

Dem Mann mit der Wirbelkörperentzündung habe ich sein Essen nicht zubereitet. Stattdessen habe ich ihm Mut zugesprochen: "Dann machen Sie es lieber selber - Sie können es doch!" Und falls es doch nicht klappe, sei ich ja da, dann würde ich ihm natürlich helfen.

Es hat funktioniert. Der Mann griff zum Besteck und machte sich an die Zubereitung. Er schaffte es. Ganz ohne meine Hilfe. Es war einfach nur ein bisschen gutes Zureden nötig.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 28-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.

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